Täuschen, zuschlagen -betr.: "Eine ganz normale Abschiebung", taz vom 21.5.94

Betr.: “Eine ganz normale Abschiebung“, 21.5.94

Das beschriebene Verhalten in der Hamburger Ausländerbehörde ist absolut kein Einzelfall. Insbesondere dann, wenn der Petitionsausschuß der Bürgerschaft mit der Aufenthaltsangelegenheit eines Ausländers/einer Ausländerin beschäftigt ist, wird die Abschiebung durch die zuständigen Beamten der Ausländerbehörde durch Vortäuschung falscher Tatsachen geradezu provoziert.

Für die Bearbeitung der Petition benötigt die Bürgerschaft bzw. ihr Eingabenausschuß einen Zeitraum von ein bis fünf Monaten. Für diese Dauer kann der Petent selbstverständlich in Hamburg bleiben. Die Ausländerbehörde allerdings vergibt grundsätzlich nur Aufenthaltspapiere mit einer Gültigkeit zwischen zwei und vier Wochen. Sie zwingt die Petenten/Petentinnen von daher, regelmäßig bei ihr zu erscheinen. Wenn diese Menschen dann am Tag vor dem im Regelfall ganztägigen Besuch in der Ausländerbehörde ihre Anwältinnnen oder Anwälte aufsuchen, bekommen sie von diesen gesagt, daß bisher keine Gefahr bestehe. Da von einer Entscheidung des Eingabenausschusses noch nichts bekannt sei, brauchen die betreffenden Menschen auch (noch) nicht auszureisen.

Hier fängt jedoch die Täuschung der Behörde an. Es gibt eine rege Kommunikation zwischen der Ausländerbehörde und der Bürgerschaftskanzlei. Auf telefonischem Wege wird mitgeteilt, wessen Petitition abgelehnt wurde. Dies geschieht bereits wenige Stunden nach Ablehnung. Die Anwältinnen und Anwälte hingegen werden erst zwei bis drei Wochen nach der gefällten Entscheidung informiert. Sie sind also in dem Glauben, daß tatsächlich eine Entscheidung noch nicht getroffen ist, glauben auch, daß ihren Mandantinnen und Mandanten nichts passieren kann. Dementsprechend sagen die betroffenen Petenten/Petentinnen in der Ausländerbehörde auch, daß sie nicht ausreisen wollen. Denn genau diese Frage wird ihnen ohne irgendeine Erklärung gestellt.

Doch dieses „Nein“ ist für die meist in einer Baumschule ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde das Signal, endlich zuschlagen zu können. Die Festnahme zur Sicherung der Abschiebung ist in diesem Moment gestattet. Den betreffenden Menschen zu erklären, worum es geht, macht sich niemand die Mühe. Dies ist auch nicht gewollt. Davon abgesehen hat die Ausländerbehörde dafür auch überhaupt keine Dolmetscher.

Das sofort zu Protokoll genommene „Nein“ der betreffenden, inzwischen festgenommenen Person reicht auch für das Amtsgericht zum Erlaß eines Abschiebehaftbefehls aus. Wenn es in einzelnen Fällen möglich ist, mittels kurzfristig herbeigeschaffter Dolmetscherinnen oder Dolmetscher in der Untersuchungshaftanstalt noch vor der Vorführung bei der HaftrichterIn mit den Leuten zu sprechen, so nützt das meist nicht mehr viel. Das Gericht sieht dann eine Erklärung, wonach der betreffende Ausländer/die betreffende Ausländerin erst nach anwaltlicher Rücksprache verstanden habe, worum es gehe, und nun bereit sei auszureisen, als reine Schutzbehauptung an. Damit hat die Ausländerbehörde erreicht, was sie wollte. Die Menschen können abgeschoben werden.

Interessanterweise finden die meisten Abschiebungen am Freitag nachmittag oder abend statt. Dies gibt den betreffenden Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der Ausländerbehörde, die die Abschiebung gern übernehmen, noch die Möglichkeit, ein schönes Wochenende z.B. in Istanbul zu verbringen.

Mit freundlichen Grüßen

Ernst Medecke, Rechtsanwalt

Betr.: „Völlig abgeturnt“, 21.5.94