„Urbanität ist, wenn Stadt Spaß macht“

■ Eberhard Kulenkampff, 20 Jahre lang Bremens wichtigster Stadtplaner, geht in Pension – ein Interview

taz: Chef eines der größten Wohnungsbauunternehmen Deutschlands, wohnt aber selbst in einem Häuschen im niedlichen Schnoor. Macht kleine Stickarbeiten aus Seide und macht sich gleichzeitig für eine millionenschwere Bremer Philharmonie stark... Hat diese Vorliebe für das ganz Kleine und das ganz Große bei Ihnen biographische Gründe?

Eberhard Kulenkampff: Sicher, das kann ich mir gut vorstellen. Man könnte denken, Namibia, wo ich aufgewachsen bin, ist ja extrem weiträumig. Da sind dann so kleine Höfe, wo ein paar Menschlein zusammenwohnen und drumherum ist endlose Landschaft. Im Grunde bin ich für mich selbst sehr bescheiden und brauche nicht viel – kleines Häuschen, bißchen Sticckram oder sowas. Aber mein eigentliches Engagement ist sozialer, nicht technischer Natur. Ich interessiere mich eben für die Gesellschaft in der ich lebe, und das ist in Deutschland immer die Stadtgesellschaft gewesen.

Ich habe eigentlich alle beihnahe 50 Berufsjahre gelernt, großräumig und in langem Atem zu denken. Denn wenn es im Städtebau schnell geht, gehen zehn Jahre ins Land, wenn es etwas länger dauert, wie bei der Bremer Philharmonie, auch elf.

Wenn man im Städtebau Vergangenheit haben will, muß man schon lange dabei bleiben. Sonst spielt sich da nichts ab.

Fühlen Sie sich denn wohl als Herr über hunderte von Hochhäusern, die Sie hier zu verwalten haben, wenn ihre Liebe mehr zum Kleinen geht?

Das sehe ich also, denke ich doch, ziemlich cool. Es waren die Notwendigkeiten der Nachkriegszeit, die uns diese massive und schematische Bauform beschert haben. Sich dann aus der Position der begonnenen Ruhe darüber zu mokieren, finde ich nicht ganz berechtigt.

Ich hab selbst allerdings immer schon die Auffassung gehabt, daß das erdnahe Wohnen für alle Aufgaben ausreicht. Ich habe parallel zum Märkischen Viertel in Hannover Stadtrand eine Siedlung gebaut, in der bis auf ein achtgeschossiges Haus das höchste Haus nur dreigeschossig ist, für 10.000 Menschen immerhin. Dahinter steht die Idee, daß, wenn die Mutter aus dem Fenster guckt, sie noch erkennen können muß, ob das Kind lacht oder weint. Höher können eben Häuser für Mütter nicht sein.

Es gab ja 1987, 88 die Diskussion um den Teilabriß von Osterholz-Tenever. Sind Sie traurig, daß das wegen des Mauerfalls dann doch nicht geklappt hat?

Auf einen Teil dieser Häuser könnte man gut verzichten. Wenn man da eine Wohnung hat, in der es eigentlich nur einen einzigen, 70 qm großen Raum gibt, wer soll denn sowas mieten? Vielleicht so ein Luxusjüngelchen, der da seine Stereoanlagen ausbreitet. Aber für einen normalen Bedarf von Familien ist das natürlich absurd.

Aber Vorwerfen würden sie das der Baupolitik in den 60er und 70er Jahren nicht?

Das sind ja zwei Phasen, die Phase Boljahn und die Phase Tenever. Aus der Phase Boljahn stammt als letzte große Siedlung die Neue Vahr, die auch Hochhäuser hat, aber ja doch in ihrem Gesamtcharakter den Traum, daß alle Menschen im Grünen wohnen sollen, wirklich erfolgreich realisiert hat. Während dann dieses Osterholz-Tenever aus einem ganz anderen Geist entstanden ist, aus dem Gedanken Urbanität durch Dichte.

Da haben sich die Intellektuellen gefragt: komisch, der Potsdamer Platz vor dem Kriege war doch viel lebendiger. Wie kann man den Potsdamer Platz wieder bauen? Also mit diesem Scheiß-Grün doch nicht. Wie war das damals? Dicht war das da, Alexander-Viertel, Scheuen-Viertel, das Berlin das so flutete und blühte – also: dicht gleich urban. Und dann haben sie das Konzept für Tenever gemacht und gegen Bremen durchgesetzt. Da finde ich schon, daß Fehler gemacht wurden, die den Beteilgten vorzuwerfen sind.

Das war in der Zeit der sozialdemokratischen Bundesbauminister.

Ja. Und die wollten dieser neuen urbanen Gesellschaft ihre Hülle bauen. Und am Ende hat sich Bremen bereit gefunden, das Projekt zu realisieren, weil man sagte, dafür gibt es Geld, sonst gibt es keins.

Was macht für Sie Urbanität aus?

Mein Formel ist weniger unmittelbar baubar. Ich sage: Urbanität ist, wenn Stadt Spaß macht, egal ob es da ist, wo die Stadt dicht ist oder locker.

Im Schnoor macht es sicher mehr Spaß zu wohnen als im Weidedamm 2 zum Beispiel. Das ist ja nun eins der Projekte aus Ihrer Zeit. Was ist denn da schief gelaufen?

Also Weidedamm 2, das Gebiet an der Gustav-Heinemann-Str. und Heinrich-Böll-Str. das finde ich gut.

Ich habe immer das Gefühl, da ist tote Hose.

Ja, aber das muß man schon unterscheiden. Da ist einerseits die Raumbildung, die Wegeführung, der Umgang mit den Autos, die Maßstäblichkeit, Farblichkeit, Vielgestaltigkeit und so weiter. Und davon getrennt das Problem, daß die Funktionsmischung überhaupt nicht mehr gelingt. Aber das ist nicht eine Folge der städtebaulichen Konzepte, der Dichte oder Lockerheit, sondern einer Entwicklung in der Wirtschaft, speziell im Einzelhandel.

Wenn ich einen Kreis von 30 Kilometern um den Roland schlage, dann sind dort von 1970 bis 1990 1,5 Millionen qm Einzelhandelsfläche neu gebaut worden. Und wenn ich alle Baulücken in der Innenstadt, in Vegesack, in Gröpelingen, in Hemelingen, also in zentralen Lagen, zusammenrechne und sogar annehme, daß dort der Einkauf zweigeschossig wäre, dann kriege ich eine Flächenreserve von allenfalls 100.000 qm. Das heißt, der Einzelhandel hat flächenmäßige Dimensonen angenommen, die in den integrierten Lagen nie und nimmer und nirgends reingepaßt hätten.

Da muß Städtebau-Politik resignieren?

Parallel dazu ist Folgendes passiert: Der Personalbesatz im Einzelhandel ist gesunken, die Umsätze sind gestiegen, und die Preise im Einzelhandel sind hinter allen anderen Preisentwicklungen weit zurückgeblieben. Dadurch ist der heutige Konsumwarenstandard mit 20 Käsesorten auf jedem Arbeitertisch möglich geworden. Genau durch diese bedauerliche Entwicklung. Wer also sagt, das hätte die Politik doch nicht zulassen sollen, der muß zugeben, daß dann der Konsumstandard wesentlich niedriger wäre.

Entweder viel Käse auf dem Tisch oder viel Leben in der Stadt?

Ich habe früher gesagt, wir müssen den nudelgerechten Großraum machen. Meine Überlegung war: Als die Nudeln von Hand gemacht wurden, schmeckte jede Nudel anders, da hatte man Abwechslung, Voraussetzung für Genuß. Heute ist das nicht mehr so. Da werden die in einer Maschine gemacht und jede Nudel schmeckt gleich. Das heißt, wenn man Abwechslung haben will, muß man hundert Nudelsorten zur Verfügung haben. Also Lebensstandard durch Vielfalt nur durch vollen Zugang zu Industrieprodukten. So muß dann der Raum eingerichtet werden. Und das geht nicht mehr in dem klassischen Schnoor-Prinzip.

Heißt das nicht gleichzeitig: Urbanität gibt es nur noch für die obere Mittelschicht?

Wenn ich mich so umgucke, wer in der Lloydpassage oder in der Sögestraße rumläuft, das ist nicht nur das obere Einkommenslevel. Da läuft jedermann herum. Nur, wenn das der richtige Weg ist, dann ist unsere Innenstadt noch unzureichend darauf eingerichtet, weil sie noch viel zu viel Rücksicht auf die Massengüter und viel zu wenig Rücksicht auf Urbanität nimmt.

Kann man das dem Einzelhandel verordnen?

Natürlich nicht. Aber man kann alle Mittel der Verführung einsetzen. Die Umstände günstig machen, das heißt, daß eine absolut störungsfreie Atmosphäre da ist. Es muß – einschließlich Straßenbahn und Busse – alles, was fährt, aus der Altstadt raus. Daß die Straßenbahn noch in der Obernstraße fährt, ist das Verbrechen an der Innenstadt von Bremen.

Da müssen Sie sich mit Claus Jäger zusammentun und 250 Millionen beschaffen...

Das ist doch ein lächerlicher Betrag, wenn damit die Heilung der Bremer Innenstadt als zentraler Ort dieser gesamten Region zwischen Hamburg und Rotterdam verbunden ist.

Man muß sich klarmachen: Das sich vereinigende Europa ist kein Europa der Staaten oder Länder mehr, sondern der Stadtregionen. Und die, die dann kein Profil haben, die werden untergehen. Diesen Lebenserhalt durch Subvention wird es in Europa nicht mehr geben. Und wo will man dieses Profil in Bremen gewinnen? Das geht nur im Bereich Kultur und Wissenschaft. Schon bei der Zusammensetzung der Wirtschaftsbetriebe kann man gegenüber Lyon, Manchester, Leipzig und Warschau kein Profil mehr gewinnen.

Wo hat Bremen ein solches Profil?

Mit dem Neuen Museum Weserburg haben wir ein Stück Profil gemacht. Wir werden mit der Kunsthalle, wenn diese alten, wunderbaren Graphikbestände wieder erschlossen werden, noch mehr Profil machen. Über lange Jahre hat das Überseemuseum Profil gemacht, das kann es vielleicht wiedergewinnen. Die Uni macht inzwischen ganz deutlich Profil. Und im Bereich der Musik, wo Bremen eigentlich eine riesige Tradition hat, haben wir zur Zeit ein Tal und können aber auch dort die Position zwischen Koncertgebouw in Amsterdam und Turnhalle in Hamburg wieder aufnehmen. Das sind Überlebensfragen für die Region.

Und was die Entwicklungsmöglichkeiten in der Bremer Innenstadt angeht, ist es doch so: Wenn ich mir einen Schuh nicht nur besorgen, sondern wirklich kaufen will, lebt das doch vom Vergleich. Und dann muß ich einfach in fünf Schuhläden gehen können, gerade wenn ich wenig Geld habe. Wenn ich aber dafür siebenmal die Straßenbahntrasse queren muß und fünfmal irgendeine blöde Autostraße und die Zufahrt zu einem Parkhaus, dann dreh ich nach dem zweiten Laden ab und sage: Ihr könnt mir mal den Buckel runterrutschen.

Sie waren ja auch 14 Jahre Staatsrat im Bauressort, was haben sie in die Richtung bewegen können?

Eine ganze Menge. Ich habe durchgesetzt, daß die Hinterhoflage Lloydstraße jetzt eine Lloydpassage ist...

Finden sie die denn schön?

Ja, mit ganz kleinen Einschränkungen, was die Ingenieurtechnik dieser Tragegerüste angeht. Und grauenhaft finde ich diese Friedhofsgewächse, die sie da reingestellt haben. Aber die Gesamtwirkung ist absolut schön.

Warum ist das schön?

Weil das vielfältig ist, weil es voll ist, und weil die Menschen sich dort gerne aufhalten. Schön ist ja immer nur der Mensch, und wo der ist, ist es schön.

Ich habe den Hanseatenhof gebaut. Ich habe Bremens gute Stube total entrümpelt. Domshof, Domsheide, Liebfrauenkirchhof: das ist total anders geworden. Im übrigen bin ich bezogen auf die Altstadt sehr, sehr stolz, daß ich dort ein dutzend Hochhäuser, die geplant waren, verhindert habe. Das sieht man natürlich nicht, weil sie eben nicht da sind.

Sie haben im Bauressort hunderte von Ideenzetteln zurückgelassen. Zu Beginn der letzten Legislaturperiode sind die alle auf dem Müll gelandet. War da noch manches Interessante dabei?

Es ist schon schade drum. Wenn man so lange für das bauliche Schicksal einer Stadt verantwortlich ist, dann hat man natürlich zu allem Ideen, was da überhaupt nur vorkommt.

Was ich vor allem nicht geschafft habe, ist die Straßenbahn zwischen Roland und Rathaus raus und in die Martinistraße zu kriegen. Alles, was wir in der Neustadt auf den Fluß zu, mit dem Teerhof und im Bereich Knochenhauerstraße geschafft haben – dazwischen fehlt es.

Da muß der Autoverkehr weg, der zu 90 Prozent aus Durchgangsverkehr besteht. Es ist doch bekloppt, daß wir diese kostbarsten Flächen zum Durchfahren hergeben. Die Pläne von Herrn Schnüll, die jetzt so schnöde abgebürstet worden sind, liegen doch auf der richtigen Linie.

Glauben Sie, daß Sie eine verkehrsberuhigte Martinistraße noch erleben werden?

Ja, denn nachdem diese Ideen jetzt professionell auf hohem Niveau ausgearbeitet sind, bedarf es ja nur noch der politischen Klärung. Und dadurch, daß Bremen das Glück hat, Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen des Sanierungsprogramms zu haben, müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht genutzt wird. Man weiß, daß es notwendig ist, weiß, wie man es tun muß, hat das Geld dafür, und dann wird man es auch tun.

Die Frage ist, ob Ihre Vorstellung, daß Stadt da ist, wo es Spaß macht, auch mehrheitsfähig ist.

Nein, Herr Nölle und Herr Jäger und Frau Lemke-Schulte und Herr Fücks sagen, das ist unser Konzept, und die lügen auch nicht. Sie können sich nur offensichtlich über ein paar Details nicht verständigen.

Aber ich will das keinem vorwerfen, denn ich habe es ja in meiner Zeit auch nicht geschafft.

Fragen: Dirk Asendorpf