Hochleistungsknaller

Geht es um die Mühen der antiolympischen Ebene, ist Justitia alles andere als fußlahm / Jüngstes Opfer: ein „autonomes Tretbootgeschwader“  ■ Von Uwe Rada

Zu Fuß, zu Lande und zu Wasser – die Olympiagegner waren immer schneller: In Lausanne fand die Anti-Bewerbung der NOlympics eher ihr Ziel als die offizielle des Herrn Diepgen, beim Besuch der IOC-Kontrollkommission im vergangenen April sprach deren Vorsitzender zuallererst mit der antiolympischen Prominenz, und während der Eröffnung des renommierten Deutschen Olympischen Instituts (DOI) am Kleinen Wannsee eröffnete ein nach dem revolutionären Matrosen Max Reichpietsch benanntes Tretbootgeschwader die nolympische Seefront. Derart blamiert, versucht nun die Justiz mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit gutzumachen, was die Politik so schmerzlich vermissen ließ: den Nachweis olympischer Mindestqualifikation.

Die Nase vorn im Winkelziehen der Advokaten hat derzeit eine Richterin beim Amtsgericht Tiergarten mit Namen Görlitz. Weil ein Matrose namens Markus Mohr nicht dafür büßen wollte, daß er als Teilnehmer des „ersten autonomen Tretbootgeschwaders“ bei eben jener Eröffnung des DOI gegen das Sprengstoffgesetz verstoßen habe, zitierte ihn Frau Görlitz vor den Kadi. 80 Mark für den Berliner Nachtragshaushalt sollte Matrose Mohr lockermachen, doch das widersprach seiner radikaldemokratischen Auffassung von Gerechtigkeit. „Nicht genug damit“, schrieb er ans Volk, „daß unser Tretbootmaat vor seinen Genossen nun wirklich bestraft genug dafür ist, daß er die Knaller nicht geworfen hat, jetzt soll er auch noch dafür auf Teufel komm raus verurteilt werden.“ Und so kam das Unvermeidliche im Leben eines jeden Revolutionärs. Markus Mohr plädierte auf Unschuld. So war es nun also an Richterin Görlitz, ihn des Wurfs mehrerer Knallkörper von der Seeseite in Richtung Land („Daume in Sicht“) zu überführen. Da aber auch die Beamten der Wasserschutzpolizei, die das Geschwader seinerzeit gefechtsunfähig gemacht hatten, während der insgesamt vier Verhandlungstage wenig Erinnerungsvermögen bewiesen, mußte Richterin Görlitz, wollte sie einen juristischen Gegentreffer landen, tief in die juristische Trickkiste greifen: Auch die Beteiligung an einer Ordnungswidrigkeit, wog sie her und schließlich hin, sei zu verurteilen und verdonnerte den händeringend seine Unschuld beteuernden Delinquenten zu einer Geldstrafe von fünfzig Mark plus Gerichtskosten. Da half dem schwarz-roten Matrosen auch die demokratische Gesinnung seines Rechtsbeistands nicht mehr, der, ungeachtet der offenen Drohung eines Aufstands seines Mandanten, bei Richterin Görlitz um ein „faires Verfahren“ gebeten hatte, nun aber den Weg nach Karlsruhe in Erwägung zieht.

Bald schon jedoch könnte ein anderer der Richterin Görlitz den Rang ablaufen und auf dem Treppchen des „Komitees für olympische Gerechtigkeit“ in Siegerlaune glänzen. Ebenfalls beim Amtsgericht Tiergarten wird derzeit der Fall eines Olympiagegners verhandelt, den die Polizei im Verlaufe einer Fahrraddemonstration unschädlich gemacht hatte. Der Vorwurf der Justiz: Er sei auf dem Breitscheidplatz mit großer Geschwindigkeit in Richtung eines Fußgängers gefahren, der daraufhin nur mit einem Ausweichmanöver habe reagieren können. Nötigung.

Unnötig war hingegen die Beweisaufnahme. Um die Situation nicht weiter zu eskalieren, bezeugten die Polizeibeamten, habe man auf eine Personalienfeststellung des genötigten Fußgängers verzichtet. Wo kein Zeuge ist, ist auch kein Kläger, sollte man nun vermuten, doch die eingangs zitierte Trickkiste bietet auch hier Verurteilbares: unerlaubtes Fahrradfahren auf dem Breitscheidplatz, ließ der Richter durchblicken, sei eben auch eine Ordnungswidrigkeit. Voraussichtlich am vierten Verhandlungstag im August soll in diesem Fall nun Recht gesprochen werden.

In einem dritten Fall schließlich muß sich ein Fahrraddemonstrant vor Gericht verantworten, dessen Drahtesel von einem olympiafreundlichen Autofahrer derart fachgerecht verbogen wurde, daß der Demonstrant nicht anders reagieren konnte als emotional, dem Autofahrer das Wrack mit den Worten „Sieh, was du angerichtet hast“ vor die Füße warf und nun der Sachbeschädigung bezichtigt wird.

Während auf Justitias Waage allenthalben also Gewichtiges hin- und hergeschoben wird, ist der Wettbewerb um die „Moabiter Säge“, den beliebtesten Gesetzesbrecher des Jahres, bereits entschieden. Das Ergebnis ist, wie man vermuten wird, für die Olympiagegner nachgerade niederschmetternd: Trotz des Tretbootgeschwaders „Max Reichpietsch“ und des hinterlistigen Terrors der inkriminierten Fahrraddemonstranten war es ihnen nicht gelungen, die kriminellen Sympathien der Berliner auch nur annähernd so erfolgreich zu entflammen wie der Funke Dagobert. Der nämlich hat nicht nur Sympathisanten im gemeinen Volk, sondern auch in der Moabiter Justizpressestelle: Dort hängt an einem Aktenschrank unübersehbar ein Plakat mit der Aufschrift: „Freiheit für Dagobert“.