Der tiefe Sturz der Notgebremsten

Gelegentlich traf der Angestellte Hans-Erich Griwodz aus Steinhagen bei Bielefeld im Urlaub Landsleute aus Deutschland. Wenn von denen einer Griwodz' Heimatdorf kannte, weil da die herausragende Tischtennis-Frauenmannschaft der Republik, zuletzt sechsmal deutsche Meisterin in Folge sowie zweimal Europopokal-Siegerin, beheimatet ist, schwoll Griwodz' Brust, und er pflegte bescheiden anzumerken, daß er als Vereinsvorsitzender für deren Geschicke zuständig sei.

Am vergangenen Montag nun hatte ein verzweifelter Vorstand um Griwodz in Steinhagen versucht, die Muskeln spielen zu lassen: Am Tag vor Meldeschluß für die Frauen-Bundesliga teilte man dem Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) per Fax mit, man ziehe seine hochdekorierte Frauenmannschaft ersatzlos vom Spielbetrieb zurück. Die resignierenden Provinz-Vorständler in Ostwestfalen hatten sich von ihrem früheren Profi-Manager Rüdiger Lamm „erpreßt“ gefühlt, weil man wochenlang vergeblich die Offenlegung aller den Verein betreffenden Verträge verlangt hatte. Zum Meldeschluß sah man sich gezwungen, „die Notbremse zu ziehen“ (Griwodz).

Rüdiger Lamm war vor 20 Jahren als Tischtennisspieler in Steinhagen eingestiegen und hatte seitdem durch eine emsige Sponsorenakquisition dafür gesorgt, daß mit zuletzt 1,5 Millionen Mark Jahresetat nicht nur die Frauen Meister, sondern auch die Herren deutscher Vizemeister wurden. 1987 hatte man eigens „aus steuerlichen Gründen“ (Lamm) eine GmbH gegründet, die für die Vermarktung des Vereins zuständig sein sollte. Nach eigenen Angaben einziger Gesellschafter und Geschäftsführer dieser Cronsbach Werbe GmbH wurde Lamm selbst und schloß als solcher sämtliche Verträge mit Sponsoren und Spielern, „ohne daß sich jemals jemand vom Verein dafür interessiert hätte“.

Im Laufe des letztes Jahres jedoch zog sich der umtriebige Lamm vom Tischtennis zurück, um zum 1. Januar 1994 bei den Fußballern von Arminia Bielefeld als hauptamtlicher Manager einzusteigen. Daraufhin wurde zunächst die erste Herrenmannschaft freiwillig zur nächsten Saison in die zweite Liga zurückgezogen, „obwohl wieder ein Millionenetat zur Verfügung gestanden hätte“ (Lamm). Griwodz aber vermutete, um Geldmittel einzusparen. Um Gewißheit zu erhalten, „haben wir deshalb seit dem 22. März von Rüdiger Lamm Einsicht in alle unseren Verein betreffenden Verträge gefordert“.

Weil in der Woche vor Pfingsten plötzlich auch noch der geplante Etat von 100.000 Mark für die Herren in der zweiten Liga zuviel war, wurde die Mannschaft noch einmal zurückgezogen und die zweite Mannschaft gleich mit, um den neuverpflichteten Spielern nach den Verbandsstatuten die Rückkehr zum früheren Verein zu ermöglichen. Weil Lamm in der letzten Woche auf Mallorca weilte und bis dahin noch keine Einsichtnahme in Kontrakte gewährt hatte, griff der Vorstand zum spektakulären Mittel.

Kaum aus dem Urlaub zurück, trommelte der verschreckte Profi Lamm, der augenscheinlich seine Widersacher unterschätzt hatte, am Mittwoch morgen um 7.30 Uhr zuerst seine Frauen zusammen und gab sich anschließend kämpferisch: „Wir werden alle unsere Möglichkeiten ausschöpfen.“ Schließlich habe ihm der Hauptsponsor zugesagt, auf jeden Fall wieder zur Verfügung zu stehen. Die Finanzierung sei also gesichert. Zudem drohte der Ehemann der eingebürgerten Chinesin Jie Schöpp dem Verein mit einer Schadensersatzforderung von 300.000 Mark. Derart eingeschüchtert, legten die überforderten Vorständler um Griwodz, der für seine ständigen Pressetelefonate schon einen Rüffel vom Arbeitgeber hatte einstecken müssen, noch am selben Abend dem DTTB den offiziellen Antrag auf den Rückzug vom Rückzug vor.

Der Verband schließlich beendete die Provinzposse und Erfolgsära am Donnerstag endgültig. Eine Teilnahme der Steinhagener Damen an der Bundesliga sei „nicht zulässig. Der VfB-TT im VfB Lübeck ist in die Bundesliga nachgerückt, hat damit eine verbindliche Rechtsposition erworben.“ Auch die von der SpVG Steinhagen alternativ angeregte Aufstockung der ersten Frauen- Bundesliga komme nicht in Betracht.

Die Spielerinnen müssen nun schleunigst neue Arbeitgeber finden, denn am 31. Mai läuft die Wechselfrist ab. Deswegen werden vor allem Struse und Schöpp, die bisher etwas über 10.000 Mark monatlich verdienen sollen, Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Wenn Nicole Struse nun vom stolzen Griwodz und dessen Vorstandskollegen erzählt, sind die daher für sie schlichtweg „Idioten“. Die werden sich jedenfalls auf saftige Forderungen vorbereiten müssen, und mit deren Urlaubsruhm ist es nun auch vorbei. Nils Doll