Entwicklung verschlafen

Andreas Kühner von der hessischen Werbevermarktungsgesellschaft IPA Plus über eine Studie zum Konsumverhalten der Türken in Deutschland  ■ Von Franco Foraci

taz: Warum tut sich die Werbeindustrie so schwer mit „Multikulti“?

Andreas Kühner: Ich bin in den letzten Wochen nicht mehr ganz so sicher, ob „multikulturell“ in der Öffentlichkeit eindeutig positiv besetzt ist. Das ist schade, weil einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren nichts Besseres passieren kann.

... Aber?

Die rassistischen Anschläge und Übergriffe der letzten Zeit haben, so bedauerlich das ist, „Multikulti“ bei der Werbebranche noch unattraktiver gemacht und aus verschiedenen Gründen bereits vorhandene Berührungsängste mit dem Thema eher verstärkt.

Das bedeutet nun nicht – um Mißverständnissen vorzubeugen–, daß die Werber sich stillschweigend dem rechten Mob angeschlossen hätten. Im Gegenteil. Es gab in den Wochen nach Mölln und Solingen unheimlich viele von der Werbeindustrie und zahlreichen großen Unternehmen gestartete Antirassismusinitiativen. In Zusammmenarbeit mit RTL haben wir zum Beispiel sechs Spots gegen Ausländerfeindlichkeit produziert, die von morgens bis abends in den beiden Programmen des Kölner Privatsenders gelaufen sind und später von allen anderen Privatsendern übernommen wurden.

Ansonsten verkauften die Werber in den Werbesendungen weiterhin die heile Welt.

Das ist sicher richtig, aber Sie können erstens nicht von heute auf morgen peppige, interessante und auffallende Werbegeschichten mit multikulturellem Bezug erfinden. Und zweitens ist Werbung im Grundsatz unpolitisch. Werbung verkauft materielle Träume; sie ist darauf aus, für bestimmte Markenprodukte Sympathie und Akzeptanz zu vermehren; Werbung kann höchstens Unterhaltung sein, sie kann nicht das Risiko eingehen, Ressentiments zu schüren.

IPA Plus, Ihre Werbevermarktungsgesellschaft, ist Anfang des Jahres mit einer GfK-Studie über das Konsumverhalten von Türken in Deutschland (siehe Spalte Seite 20) an die Öffentlichkeit getreten. Wie war die Resonanz in ihrer Branche?

Die Studie ist in unserer Branche gut aufgenommen worden. Ausländische Konsumenten spielten bei der Entwicklung von Marketingstrategien bisher keine große Rolle, obwohl wir vorab schon über Zahlen und Statistiken darüber verfügten. Sie wurden aber so nicht anerkannt. Die deutsche Werbewirtschaft wollte ein Gütesiegel haben, auf dessen Basis sie investieren kann. Und dieses Gütesiegel hat sie jetzt in der GfK, der Gesellschaft für Kommunikationsforschung, gefunden.

Hier haben Ausländer gesellschaftlich nicht die Akzeptanz wie beispielsweise in Amerika, England oder Frankreich, wo die Präsenz von Menschen verschiedener Hautfarben häufiger vorkommt. Eine solche Tradition existiert in Deutschland nicht, zumal die Ausländer hier zusätzlich politisch leider schlechter gestellt sind als die Deutschen.

Die Wirtschaft selbst ist da sicher viel rationaler als die Politik, wenngleich sie – was die sechs Millionen Ausländer in Deutschland und deren Funktion als Konsumenten angeht – sicher eine wichtige Entwicklung über Jahrzehnte verschlafen hat. Aber selbst wenn die Werbewirtschaft erkannt hätte, was da für ein Konsum- und Kaufkraftpotential liegt, hätte sie keine Werbeträger gehabt, keine Medien, um die Personengruppe massiv zu erreichen. Denn zum Beispiel die türkischen MigrantInnen – das ergibt unsere Studie – sind durch deutsche Publikationen oder Sender in keinster Weise zu bewerben, weil sie wenig deutsche Tageszeitungen lesen und fast keine deutschen Fernsehprogramme sehen. Wir haben mit der Studie den Werbetreibenden zum ersten Mal ins Bewußtsein gerufen, daß eine junge und kauftüchtige Zielgruppe brachliegt, die man sehr leicht ansprechen kann. Bei TRT werden jetzt deutsche Spots gesendet, übersetzt und synchronisiert in die türkische Sprache.

Die GfK wird demnächst auch die Einschaltquoten bei ausländischen Familien ermitteln. Wird die Werbewirtschaft sich dann zwangsläufig umorientieren und auf Wünsche der Ausländer eingehen müssen?

Dieser Schritt war dringend notwendig und extrem lange überfällig. Er ist auch ein Beleg dafür, daß die Werbewirtschaft in der Vergangenheit zu wenig Druck gemacht hat, weil sie das Kaufkraftpotential der Ausländer nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Warum sollten sechs Millionen Menschen nicht in ihrer Mediennutzung erfaßt werden? Auch das ist eine Stufe hin zu mehr Normalität im Umgang mit Ausländern. Wir sind hocherfreut darüber und neugierig: Wir mußten diese Studie ja in Auftrag geben, weil andere Daten über das Konsumverhalten von Ausländern überhaupt nicht zur Verfügung standen. Ab 1995 kann man endlich tagtäglich, sekundengenau – wie für alle anderen Zielgruppen – die Mediennutzung dieser Teilpersonengruppe exakt erheben. Ausländer werden damit auch direkt mehr Einfluß auf die Gestaltung von Sendungen nehmen können. Es wird zu Veränderungen kommen. Unsere These ist, daß zum Beispiel private Programme wie RTL davon profitieren werden.

Sie sorgen dafür, daß TRT International seine Werbezeit an deutsche Kunden los wird. Ist Ihnen eigentlich wohl dabei, einen Sender zu unterstützen, der antikurdische Propaganda betreibt?

Ganz klar: Wir sind ein kommerzielles Unternehmen, dessen Aufgabe darin besteht, Programmreichweiten in Umsätze zu verwandeln. TRT ist formal ein öffentlich-rechtlicher Sender. Man kann sich über die journalistischen Maßstäbe bei der Frage der Kurden durchaus streiten. TRT ist aber nicht besser und nicht schlechter als die Privatprogramme in der Türkei. Es ist nicht kurdenfeindlicher als die anderen. Eine Analyse der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz über die Nachrichtensendungen von TRT International hat das eindeutig festgestellt. Von Volksverhetzung kann also keine Rede sein.

Sie beschleicht auch kein schlechtes Gewissen dabei?

Offiziell, nein. Wenn TRT International von den Kurden nicht ernst genommen wird, dann wird es eben nicht ernst genommen. So wie eben ein SPD-Wähler die Artikel im Bayernkurier kaum für bare Münze nehmen kann.