Warten auf die bunte Lila-Kuh-Welt

Wenn deutsche Unternehmen am Markt konkurrenzfähig bleiben wollen, kann deren Produktwerbung die multikulturelle Wirklichkeit nicht länger ignorieren  ■ Von Glyn Atwal

Die deutsche Werbung – ob in Zeitung, Radio oder Fernsehen – negiert die Existenz ethnischer Minderheiten konsequent. Das tut sie weniger aus politischem Opportunismus denn aus tradierten Gewohnheiten heraus, die oft mit ungeschriebenen Tabus und institutionalisierten Scheuklappen zu tun haben.

Türken kommen in der Werbung beispielsweise nicht vor, obwohl sie hierzulande die zweitstärkste Bevölkerungsgruppe darstellen. 1,8 Millionen Menschen fallen in den Marketingstrategien großer und kleiner Hersteller einfach unter den Tisch. Das alles scheint um so unlogischer, als die sonst Einschaltquoten ermittelnde GfK, die Gesellschaft für Kommunikationsforschung, kürzlich in einer Studie festgestellt hat, daß die Türken in Deutschland konsumfreudige Verbraucher sind. Die meisten Unternehmen unterschätzen die Kaufkraft der Ausländer. Damit büßen sie an Umsatz ein. Für die deutsche Werbeindustrie ist die Herausforderung der Zukunft, die lukrative multikulturelle Kundschaft zu locken.

Nun wäre es sehr simpel zu behaupten, in der idealen Welt der „lila Kühe“ bräuchten die beworbenen Marken lediglich Bezugspersonen. Dafür, daß diese Personen nicht türkischen, marokkanischen, pakistanischen, griechischen bzw. anderen ethnischen Ursprungs sein dürfen, gibt es keinen einleuchtenden Grund. Eine solche Argumentation ist zwar vernünftig, aber in der wirklichen Welt muß mit anderen Faktoren gerechnet werden: Konsumenten von Werbefilmen reagieren auf einen oder eine „Fremde“, der/die auf ihrem Fernsehschirm erscheint, völlig unterschiedlich – je nach vorgefaßten Assoziationen und gesellschaftlichen Klischeevorstellungen. Die Gefahr ist deshalb tatsächlich gegeben, daß ein Markenartikler, der seine Spots mit Angehörigen ethnischer Minderheiten besetzt, rassistische Stereotypen eher verstärkt. Schwarze Frauen, zum Beispiel, wurden häufig von exotischen Marken benutzt, um den eigenen Produkten das Image „sexy“ oder „ergeben“ zu verpassen. Für Werbeagenturen speziell in Deutschland ergibt sich ein schier unlösbares Dilemma: Einerseits würde man Ausländer als Verbraucher gerne ansprechen, andererseits könnte Werbung das nur mit dem Preis vorurteilsfördernder Vereinfachungen. Also faßt man dieses „heiße Eisen“, das negative Verbraucherreaktionen hervorrufen könnte, nicht an. Im Prinzip sind Werbeagenturen folglich konservativ. Nolens volens.

Dieser Teufelskreis müßte nicht sein, wäre die gesellschaftliche Offenheit gegenüber dem Multikultur-Thema hierzulande eine andere. In britischen Werbesendungen ist es üblich, Schwarze oder Inder als normale Menschen in ganz normalen Spots über Tees oder Schuhcremes zu präsentieren. Wieso sollte dies nicht auch in Deutschland möglich sein?

Das Hauptproblem in der Bundesrepublik ist – im Unterschied zu England –, daß die nichtdeutsche Bevölkerung politisch wie sozial als „Ausländergruppe“ ausgegrenzt wird, statt ihre Mitglieder als „andere Deutsche“ oder in diesem Fall „Deutsch-Türken“ zu begreifen. Die vorherrschenden Bilder im Kopf der Menschen in der Bundesrepublik sind direkt oder indirekt von Deutschtum geprägt. Für engagierte und mutige Werbeagenturen ergeben sich daraus faktisch die folgenden Hindernisse: a) Viele Deutsche erkennen einen „Ausländer“ nicht als legitime Vertretung ihrer Meinungen und Gewohnheiten an; b) viele Ausländer akzeptieren den vermeintlichen deutschen Konsens, daß ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Lebensmodelle verwässert sind. Provokative Werbung käme hier nicht an, heißt es, sie wurde aber nie wirklich ausprobiert.

Anders verhält es sich bei zielgruppenorientierter Werbung in spezialisierten Medien, unter Fachleuten target advertising genannt. Target advertising richtet sich in der Regel direkt an ein klar definiertes Publikum. Über andere Sprachen oder mit kulturspezifischen Werbegeschichten spricht target advertising vor allem Minderheiten an. Die deutschen Werber entdecken erst jetzt einen neuartigen Markt: in Deutschland empfangbare fremdsprachige Fernsehstationen.

Der auch ins Kabelnetz eingespeiste öffentlich-rechtliche Sender aus der Türkei, TRT International, ist das herausragendste Beispiel. Er wird von etwa 60 Prozent der türkischen Haushalte in der Bundesrepublik gesehen. Solche Sender erlauben den Werbern das, was ihnen in deutschen Fernsehkanälen offensichtlich schwerfällt. Hier können problemlos Werbebotschaften deutscher Firmen auf der Grundlage spezifischer kultureller Erfahrungen der Türken produziert und gesendet werden. Was oft wie eine reine Übersetzung der in ARD, ZDF oder RTL laufenden Werbesendungen aussieht, sind weit darüber hinausgehende multikulturelle Endprodukte. Die Möglichkeiten des Satellitenempfangs müssen von allen deutschen Unternehmen und Werbern früher oder später als eine zusätzliche Dimension der Werbung auf der Suche nach neuen Verbrauchergruppen mit einem großen Kaufkraftpotential betrachtet werden.

Die Nicht-Deutschen – so oder so Bürger dieses Landes – sollten von Firmen, die in einem sich verschärfenden Konkurrenzmarkt konkurrenzfähig bleiben wollen, nicht länger zur quantité négligeable reduziert werden. Unbedingt notwendig sind dabei resolute Werber, die die Bedürfnisse der Ausländer verstehen und diese selbstverständlich in ihre Werbegeschichten einbauen. Mehr Mut, liebe Kollegen, ist gerade in diesen Zeiten angesagt! Wäre die hiesige Werbeindustrie beherzter bereit und willig, Ausländer in eine große Werbekampagne für ein beliebiges, aber renommiertes Mainstream-Produkt zu integrieren – wie die italienische Firma Benetton –, würde die Intoleranz weiter Bereiche der deutschen Gesellschaft gegenüber Fremden langsam in ihr Gegenteil gekehrt. Denn auch Werbung ist in der Lage, langfristig neue Werte zu etablieren. Warum nicht „Multikulti“?

Glyn Atwal arbeitet als Kundenberater bei der Frankfurter Werbeagentur Saatchi und Saatchi.