Eher Speicherhallen

■ Ägyptens Schulen sind völlig unzu- länglich, die Lehrpläne viel zu einseitig

Ägyptens Kultur befindet sich in einem Prozeß des Niedergangs – darüber sind sich hier fast alle einig. Dieser Niedergang betrifft Literatur, Theater, Kino, Musik ... alle Künste. Da man sich in diesem Urteil so völlig einig ist, frage ich mich, wie es dazu kommen konnte. Was sind die Gründe unseres Niedergangs?

Kultur kann man nicht unabhängig von Bildung und Erziehung betrachten. Und das Bildungswesen unseres Landes ist in einer Krise. Schon sehr lange. Wir haben weder genügend Schulen noch ausreichend ausgebildete Lehrer. Die Klassenzimmer sind weniger Orte des Lernens, sondern gleichen eher großen Speicherhallen, in die täglich zu viele Kinder hineingestopft werden. Musik, Kunst und Literatur werden in diesen Institutionen kaum je unterrichtet, die im übrigen eher wie Militärkasernen geführt werden und nicht wie Orte, an denen kulturelle Kreativität und Wertschätzung gelernt und gepflegt werden.

In diesen Schulen fehlen die allergrundlegendsten Möglichkeiten, um die Neugier der Kinder zu wecken und ihre natürlichen Begabungen zu fördern. Es gibt kaum Bibliotheken und Leseräume, weder Kunstklassen noch überhaupt Raum für kreative Aktivitäten. Ihre Umgebung und Ausstattung ist grau und niederdrückend und verweigert dem Kind jede Möglichkeit, seine Talente zu entfalten oder die kreativen Talente anderer zu achten.

Wenn Kreativität und Kunstsinn aber schon unseren Kindern vorenthalten werden, dürfen wir uns nicht wundern, daß die kulturelle Szene so steril und ausgetrocknet ist, so bar jeder Schönheit und Lebendigkeit. Das Fernsehen übt einen verheerenden Einfluß aus, indem es Kopf und Herz so vieler Menschen gefangennimmt und ihnen wenig Zeit und Energie läßt, die bedeutenden Werke unserer Kultur zu genießen. Unsere Schriftsteller zieht es in den Strudel der Fließbandproduktion von Episoden für endlose Fließbandserien. Nicht künstlerischer, sondern finanzieller Erfolg macht sie berühmt und zufrieden.

Natürlich hat auch das Fernsehen seine Rolle in der Kultur, aber es darf nicht zu einem Instrument werden, mit dem die Quellen des kulturellen Daseins verschüttet werden, das Ernsthaftigkeit gegen Flachheit eintauscht und wirkliches Verstehen gegen Oberflächlichkeit und Schrillheit.

Bedenkt man daneben die sich verschärfende wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise und das extremistische Denken, das sie verursacht und verstärkt, hat man das ganze Ausmaß dieses wahrlich erschreckenden Zustandes der Kultur unserer Landes vor Augen.

Ein düsteres Bild, anders kann man es nicht sagen. Die Regierung versichert uns, sie habe umfassende Pläne zur Verbesserung der Lage. Wir müßten nur noch ein wenig Geduld haben, die Krise tapfer noch ein wenig länger ertragen, durchhalten. Sie sagen, daß etwas Neues schon unterwegs ist.

Angesichts der Größe unserer Probleme möchte man das lieber nicht bezweifeln. Nagib Machfus

Nagib Machfus wurde 1988 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Nur wenige Monate nach der Fatwa gegen Salman Rushdie wurde auch er exkommuniziert und von Islamisten wegen seiner Werke mit dem Tode bedroht. Karim Alrawi hat ihn für „Index“ in Kairo interviewt.