■ Die USA verlängern die Meistbegünstigungsklausel gegenüber China. Und was ist mit den Menschenrechten?
: The Times they are a Changin'

Neulich hat Bob Dylan die Rechte für „The Times they are a Changin'“ an eine Buchhaltungsfirma zu Werbezwecken verkauft. Damit wird in Zukunft der wichtigste Protestsong der sechziger Jahre mit einem Haufen wohlmanikürter und feingekleideter junger Männer in Verbindung gebracht, deren Vorstellung von einer „Revolution“ darauf hinausläuft, die Buchhaltung zu rationalisieren und Firmen beim Steuersparen zu helfen.

Als die US-Regierung in diesem Jahr endlich ihren Wirtschaftsboykott gegen Vietnam beendete, geschah das ja auch nicht unter dem Druck linker Aktivisten, sondern verdankte sich eher Firmeninteressen, die die Trümmer des Krieges beiseite räumen und wieder ins Geschäft kommen wollten. Kaum eine Stunde nachdem die Aufhebung der Sanktionen verkündet war, wurde auf den Straßen von Ho-Chi-Minh-Stadt Pepsi-Cola verkauft. Von Joan Baez andererseits war nichts zu sehen, und wenn Jane Fonda sich noch einmal in Hanoi blicken läßt, dann nicht als Sprecherin der Empörten, sondern als Ehefrau und Assistentin eines anderen „Revolutionärs“, Ted Turner – Gründer, Eigentümer und Motor von CNN.

Die Rolle der großen Konzerne beim Zustandekommen der amerikanischen Versöhnung mit Vietnam hat mit dazu beigetragen, das Terrain zu verwandeln, auf dem Geopolitik diskutiert wird. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus reiht sich das Big Business zunehmend auf der Seite von „Frieden und internationaler Zusammenarbeit“ ein oder, wie es in einfacheren, weniger heroischen Zeiten genannt wurde, des „uneingeschränkten Freihandels“. In der Kulturdiskussion unserer Tage ist der Kapitalismus die Triebkraft aller sozialen und politischen Dynamik auf Erden, der einzig legitime Vertreter jenes nebulösen Dinges, das wir ja alle so lieben: der Revolution. Das erzählt einem heute jeder gute Amerikaner – ob Demokrat oder Republikaner. Die osteuropäischen Massen durchbrachen den Eisernen Vorhang auf der Suche nach liberté, egalité – und Benetton. Die Mexikaner verzichteten auf ihre unverständliche und blutleere Tradition wirtschaftlicher Unabhängigkeit, damit fleißige Gringos ihnen beibringen können, wie man Fast-food-enchiladas macht. Und wenn der Frieden endlich auch den Nahen Osten erreicht, dann kommt er in der Form von Joint- ventures zwischen Israelis und Arabern, wobei Ost-Jerusalem in den Herrschaftsbereich von Disney World Inc. fällt. (Die Fundamentalisten hätten vielleicht etwas dagegen, aber wer würde schon wagen, Mickymaus und Goofy mit Steinen zu bewerfen?) Wenn jetzt noch die ganze Welt dieselbe Zigarettenmarke rauchen würde, gäbe es auch keine ethnischen Konflikte mehr.

Vor zehn Jahren lachte die kritische Öffentlichkeit verächtlich über Ronald Reagans Pläne zu „konstruktivem Engagement“ in Südafrika. Selbst der große Kommunikator konnte die Amerikaner oder die Welt nicht davon überzeugen, daß mehr ökonomische Beziehungen zu einem rassistischen und unterdrückerischen Regime als moralisch gewertet werden könnten. Die Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika blieben in Kraft, und die weiße Minderheitsregierung mußte Reformen ins Auge fassen oder sich mit ihrem Schicksal als Paria unter den Nationen abfinden. Aber heute greift überall der Glaube um sich, der freie Handel mit China werde „hundert Blumen blühen lassen“ und der zollbegünstigte Import von Enten und der Export von High-Tech-Maschinerie werde für die Menschenrechte in China mehr leisten als eine ganze Schiffsladung Beobachter von amnesty international in einem Jahrzehnt.

Nun hat Präsident Clinton entschieden, daß China den Status als „meistbegünstigte Nation“ beibehalten wird. Die Stimmen jener, die gegen diese zollbegünstigten Importprivilegien opponieren, scheinen zunehmend „blowin' in the wind“.

Offiziell kann der Meistbegünstigtenstatus nur gewährt werden, wenn China „insgesamt beträchtliche Fortschritte“ in Sachen Menschenrechte an den Tag legt. In diesem Winter sah es so aus, als ob die Clinton-Regierung die anhaltend unterdrückerische Politik Chinas in Tibet, die Verhaftung und Folter politischer Dissidenten und den Einsatz von Sklavenarbeit bei der Produktion von Exportgütern ernsthaft zur Kenntnis nehmen wolle. Aber mächtige Konzerne, ehemalige China-Experten der Regierung und der Nationale Wirtschaftsrat – eine Gruppe von Wirtschaftsführern und hohen Regierungsvertretern, die Clinton zusammenrief, um „Innen- und Außenpolitik zu koordinieren“ – konnten diese Gegner des freien Handels mit China erfolgreich als Kulturimperialisten brandmarken, die einen neuen Kalten Krieg beginnen wollten.

„Freiheit durch Handel“ lautete der Titel einer heftigen prochinesischen Polemik in dem Magazin Foreign Policy, die ein ehemaliger US-Botschafter verfaßt hatte. Es scheint niemanden zu geben, der die Kraft einer solchen Logik wirksam in Frage stellen könnte.

In Wahrheit gibt es wenig Hinweise darauf, daß mehr Handel allein zu politischer Liberalisierung beiträgt. Der Kapitalismus konnte sich historisch durchaus autoritären Regimes anpassen, und das Modell der chinesischen Führer für Wirtschaftswachstum und Entwicklung soll explizit die politische Stabilität nicht gefährden.

Auch wenn die neue Generation der amerikanischen Wirtschaftselite vielleicht Dylan pfeift, ist sie doch genauso gleichgültig wie die Generation zuvor, wenn es darum geht, wie sich der amerikanische Handel auf das soziale Leben der Völker der Dritten Welt auswirkt. Konzerninteressen haben noch allen Anstrengungen widerstanden, einen Verhaltenskodex für US-Geschäfte mit China einzuführen, nach dem Modell der „Sullivan-Prinzipien“, die vor einiger Zeit ethische Richtlinien für internationale Geschäfte mit Südafrika festlegten. US-Firmen haben aus eigenem Antrieb wenig getan, um auch nur die Rechte jener Chinesen zu schützen, die ihnen dabei helfen, Gewinne zu erzielen.

Der Wirtschaftsdruck der USA auf China würde nicht über Nacht Veränderungen nach sich ziehen. Andererseits wäre er eine Bekräftigung des Prinzips, wonach es kein business as usual geben kann, solange Menschenrechtsfragen im wesentlichen unbehandelt bleiben. Wie die meisten Länder hat auch China die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen unterzeichnet. Dieses Dokument legt symbolisch die Bedingungen für die Mitgliedschaft in einer ethischen Gemeinschaft der Nationen fest. Es sollte sich auch auf die Bedingungen für die volle Teilnahme an der Wirtschaftsgemeinschaft erstrecken.

Während die Clinton-Regierung in ihrer China-Politik typische Inkohärenz und Inkonsistenz zeigte, begaben sich die Europäer auf ihren üblichen Marsch zu feigen Kompromissen. Klaus Kinkels Weigerung, den Dalai Lama zu empfangen (den die Friedrich- Naumann-Stiftung eingeladen hatte!), ist nur die neueste unter einer Reihe grotesk „beruhigender Gesten“ von EG-Ministern gegenüber der chinesischen Regierung. Die Briten beschränken ihre Kritik an China auf Fragen der Stabilität der Finanzmärkte und ihrer eigenen langfristigen Interessen in Hongkong. Der französische Premierminister Balladur begab sich auf eine Sonderreise nach Peking, um die Chinesen der anhaltenden Freundschaft Frankreichs zu versichern. Ein Hauptargument der US-Konzerne zugunsten des China-Handels lautete, europäische und japanische Firmen würden bereitwillig alle ökonomischen Wünsche befriedigen, die aufgrund von US-Sanktionen entstehen könnten. Das Verhalten der europäischen Minister scheint diese Behauptung zu stützen. Zumindest in dieser Frage ist die EG zur Einheit fähig.

Wenn man sich die nächsten zwanzig Jahre der internationalen Beziehungen vorstellt, dann ist der wichtigste Testfall für die USA und Westeuropa heute nicht die komplizierte Frage von Bosnien- Herzegowina, sondern die relativ einfache Frage China. China hat ein Modell entwickelt, das zahlreiche andere Länder mit Vergnügen nachahmen werden: eine zielgerecht auf schnelles Wachstum gerichtete ökonomische Entwicklung bei politischer Unterdrückung. Für „westliche“ Nationen bedeutet dies in Zukunft den unvermeidlichen Zusammenstoß zwischen unserer Ideologie des freien Marktes und unserer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten.

Wenn die Verfechter der Menschenrechte diese Schlacht verlieren, dann nicht wegen primitiver Reaktionäre, die wie der fiktive Politiker/Country-Sänger in Tim Robbins Film „Bob Roberts“ singen: „The Times they are a Changin' Back“. Keine politische Kraft in Amerika oder Europa kann heutzutage mit dem Versprechen triumphieren, uns in die Vergangenheit zu führen, mittels einer Wendung gegen den Idealismus und die revolutionären Träume der sechziger Jahre.

In Wirklichkeit werden die Menschenrechtsfragen von jenen beerdigt werden, die sich auf die Erbschaft der Sechziger berufen. Bill Clinton, der Rock-'n'-Roll-Präsident, wird uns singend und swingend in einen Kompromiß mit den feingekleideten und wohlmanikürten Knaben führen – den Revolutionären von heute. Die Zeiten ändern sich wirklich – aber nicht so, wie ihr denkt! Warren Rosenblum

Der Autor ist Historiker aus Chicago und lebt in Berlin; Übersetzung aus dem Amerikanischen: Meino Büning