„Europa beginnt in Sarajevo“

Französische Intellektuelle bilden eine eigene Liste für das Europaparlament / Lévy, Touraine und Glucksmann fordern die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Die französischen Intellektuellen um Bernard-Henry Lévy haben ihre Drohung wahrgemacht und eine eigene Liste mit dem Namen „Europa beginnt in Sarajevo“ für die Wahlen zum Europaparlament angemeldet. Mit dem Einstieg in die Politik wollen sie zwei Ziele erreichen: durchsetzen, daß den bosnischen Muslimen Waffen geliefert werden und verhindern, daß Bosnien nach dem letzten internationalen Friedensplan aufgeteilt wird, der den Serben 49 Prozent des Territoriums überlassen will.

Viele Franzosen begrüßen die Initiative. Einer Umfrage zufolge würden heute 12 Prozent der Franzosen für die Sarajevo-Liste stimmen. Lévy zeigte sich „erfreut, daß die Leute in diesem Land den Geist von München ablehnen“, womit er die Kapitulation des Westens 1938 vor Hitler ansprach.

Als Listenführer engagiert sich der 71jährige Krebsspezialist Léon Schwartzenberg, der derzeit für die Sozialisten im Europaparlament sitzt. Schwartzenberg hat zwei Brüder in KZs verloren. Er gilt als unabhängig und ist sehr populär. 1988 war er neun Tage lang Gesundheitsminister, dann wurde er gefeuert, weil er sich für systematische Aidstests ausgesprochen hatte sowie für die Vergabe von Drogen an Fixer. Als Kandidaten treten auch die Soziologen Alain Touraine und Alain Joxe, der Philosoph André Glucksmann, Lévy selbst sowie die Schauspielerin Marina Vlady an.

Mit seiner Initiative ist es BHL – wie Lévy sich einem Markenzeichen gleich abkürzen läßt – gelungen, im Mittelpunkt des politischen Geschehens zu stehen. Geführt von François Mitterrand haben alle wichtigen Politiker auf sein Vorhaben reagiert. „Wir dürfen dem Krieg keinen Krieg hinzufügen“, sagte der Staatschef in einer wohlklingenden Formulierung, die seine Gegner für zynisch halten.

„Er blufft und giftet“, warf Lévy Mitterrand vor, der ihm früher sein Flugzeug geliehen hatte, um nach Sarajevo zu reisen. Der Listenführer der Konservativen, Dominique Baudis, traf Lévy im Literaten- Café „Flore“, um seine Haltung in der Bosnienfrage zu erläutern; er vermied es jedoch, das Thema Waffenembargo anzusprechen. Ex-Präsident Valéry Giscard d'Estaing versuchte telefonisch, BHL von der Idee einer eigenen Liste abzubringen. Inzwischen hat auch er Verständnis ausgedrückt für die Forderung, das Waffenembargo aufzuheben.

Am weitesten hat sich PS-Chef Michel Rocard aus dem Fenster gehängt, der von der Intellektuellen-Liste den größten Stimmenverlust befürchten muß. Gleich nachdem BHL sein Vorhaben angekündigt hatte, eilte er diesem hinterher nach Cannes, wo Lévy als Nachwuchsstar der Filmbranche sein Erstlingswerk „Bosna!“ vorstellte, um ihn umzustimmen. „Bosna!“ zeigt bewußt einseitig, welches Grauen der serbische Angriffskrieg über die Bosnier gebracht hat und prangert die Verantwortung des Westens an. Wenig später lenkte Michel Rocard zum Ärger vieler Parteigenossen in der Waffenfrage ein: „Wenn man die Bosnier schon nicht schützen kann, dann muß man ihnen wenigstens erlauben, daß sie sich verteidigen.“ Der PS-Chef kämpft verzweifelt um ein gutes Abschneiden bei der Europawahl. Ein Scheitern würde ihn aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur werfen.

Ursprünglich stammt die Idee einer Sarajevo-Liste von Bernard Kouchner, Ex-Minister für humanitäre Aktionen und Nummer 3 auf der PS-Liste für die Europa- Wahlen. Er kritisierte, daß BHL das Recht auf humanitäre Einmischung auf Bosnien beschränkt. Der Philosoph Alain Finkielkraut bedauerte, daß die Sarajevo-Liste „selbst – anstelle von Bosnien – zum politischen Ereignis wird“. Und auch sein Kollege Paul Virilio meinte: „Die Macht der Intellektuellen ist tot, die der Medien triumphiert.“ Im Gegensatz dazu begrüßte Alain Touraine, daß die öffentliche Meinung wieder erwacht: Die Intellektuellen „müssen das Wissen erneut in den Dienst von Freiheit und Gerechtigkeit stellen“, schrieb er in der Tageszeitung Libération.

Daß die Idee einer Sarajevo-Liste solche Wellen schlagen konnte, liegt an der Verfilzung von Intellektuellen, Medien und Politikern in Frankreich. Philosophen und Schriftsteller werden hofiert, weil die Politiker und Journalisten selbst als Intellektuelle gelten möchten. Auf diese Weise sorgen alle gegenseitig für Prominenz. Zugleich gefällt vielen Intellektuellen die politisch-revolutionäre Geste, welche sie in die Tradition so großer Namen wie Voltaire, Zola, Malraux, Sartre stellt. So zog BHL in seinem Film Parallelen zwischen Bosnien und dem Spanischen Bürgerkrieg, Sarajevo verglich er mit dem Warschauer Ghetto. Es ist nicht der erste Krieg, bei dem sich der 46jährige Lévy vor den Kameras engagiert. Er ließ sich bereits in Afghanistan – mit Burnus und Turban – im Kreise der Mudschaheddin ablichten. Um die Opfer dieser Kämpfer kümmert er sich heute nicht mehr.