Knüppel wird zum Bumerang

US-Meistbegünstigung für China verlängert  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Am Ende geriet der US-Präsident wieder einmal in Zeitnot. Bis zum 3. Juni hätte Bill Clinton Zeit gehabt, über die Verlängerung der Meistbegünstigungsklausel für China zu entscheiden. Doch dieser Termin hätte sich nahtlos an den fünften Jahrestag des Massakers der chinesischen Armee an Demonstranten anläßlich des Aufstandes auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ angefügt – und die Kehrtwende Bill Clintons noch peinlicher erscheinen lassen.

So begab sich Clinton am Donnerstag vor die Presse und verkündete das Ende seiner bisherigen China-Politik: Menschenrechte und Wirtschaftsbeziehungen werden entkoppelt; die Meistbegünstigungsklausel für chinesische Exporte in die USA wird um ein weiteres Jahr verlängert, obwohl China keine Anstalten gemacht hat, den amerikanischen Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte substantiell entgegenzukommen. Lediglich die Waffenproduktion der chinesischen Volksarmee muß Einbußen hinnehmen: Clinton will die Einfuhr chinesischer Waffen und Munition in Höhe von jährlich 200 Millionen Dollar in die USA stoppen. Angesichts des Volumens chinesischer Exporte in die USA in Höhe von 30 Milliarden Dollar ist dies aber eher ein symbolischer Akt.

Noch im letzten Jahr hatte Bill Clinton angekündigt, der Volksrepublik China die Meistbegünstigungsklausel zu entziehen und damit die Importzölle für chinesische Einfuhren drastisch zu verschärfen, falls Cina nicht Fortschritte in der Menschenrechtspolitik vorweist. Zwei Bedingungen für die Verlängerung der Klausel – eine liberalere Auswanderungspraxis und die Inspektion von Gefängnissen, in denen Zwangsarbeit für den Export geleistet wird – sind seit den 70er Jahren durch einen Kongreßbeschluß festgeschrieben.

1993 formulierte Clinton in einer Exekutivorder fünf weitere Konditionen: Einhaltung der Universellen Erklärung der Menschenrechte; Veröffentlichung der Namen politischer Gefangener; Zugang des Internationalen Roten Kreuzes zu Gefängnissen; ungestörter Empfang des Radiosenders „Voice of America“ in China; Schutz der Kultur und Religion im chinesisch besetzten Tibet.

An keinem dieser fünf Punkte habe China die erforderlichen „signifikanten Fortschritte“ gemacht, schrieb US-Außenminister Warren Christopher im Abschlußbericht des State Department an den Präsidenten. Menschenrechtsgruppen hatten bereits Mitte Mai dokumentiert daß die Volksrepublik weiterhin Waren für den Export von Zwangsarbeitern in Gefängnissen produzieren läßt.

Doch dieser rhetorische Knüppel wurde jetzt zum Bumerang, die Verknüpfung von Menschenrechts- und Wirtschaftspolitik zum innen- wie außenpolitischen Eiertanz.

Die Exporte der VR-China in die USA beliefen sich im letzten Jahr auf 30 Milliarden Dollar. Die Produktspanne reicht von Stahlrohren über Stofftiere bis zu Sportschuhen. Der Verlust der Meistbegünstigungsklausel, den bis auf neun Nationen alle Handelspartner der USA genießen, hätte chinesische Einfuhren um die Hälfte schrumpfen lassen – eine für die Führung in Peking katastrophale Aussicht. Denn ein Drittel des gesamten chinesischen Exports geht in die USA. Amerikanische Exporte ins Reich der Mitte machten 1993 vergleichsweise magere 8,8 Milliarden Dollar aus.

Auf den ersten Blick also schienen den Machthabern in Peking nicht allzuviel Chancen gegeben, den Entzug der Meistbegünstigungsklausel in gleichem Ausmaß zu vergelten. Doch China ist mit seinen 1,2 Milliarden EinwohnerInnen der Exportmarkt der Zukunft, wie die Bosse von sieben der größten US-Firmen im Chinageschäft dem US-Präsidenten in einem Brief mitteilten: „Unter der Voraussetzung normaler Beziehungen“ würde, so die Prognose der Konzernchefs, das Exportvolumen in den nächsten zehn Jahren auf 158 Milliarden Dollar steigen. Auf diesen Markt setzen amerikanische Telekommunikationsfirmen wie AT&T, die einen großen Teil des chinesischen Telefonnetzes aufbauen soll, Chemiekonzerne wie DuPont oder Flugzeugbauer wie Boeing und McDonnell- Douglas. Boeing zum Beispiel soll über die nächsten Jahre 64 Flugzeuge im Wert von 3,9 Milliarden Dollar an China liefern.

Der Clinton-Administration hatte man den potentiellen Verlust an Profiten, Arbeitsplätzen und Wählerstimmen bei der nächsten Präsidentschaftskampagne schon vorgerechnet, sollte China seinerseits als Vergeltungsmaßnahme bestehende Verträge kappen. US- Autokonzerne wie Chrysler, der in Provinz Guangdong mit Mercedes-Benz um die Erlaubnis zum Bau einer Produktionsstätte für Kleinbusse konkurriert, hatten in den letzten Monaten ebenso Druck auf Clinton ausgeübt, wie Finanzminister Lloyd Bentsen, Handelsminister Ron Brown und Landwirtschaftsminister Mike Espy. Letzterer fürchtet vor allem für die amerikanischen Getreidefarmer, sollten die USA auf dem chinesischen Markt ins Hintertreffen geraten.

Zwar kündigte Clinton am Donnerstag an, die USA wollten in Zukunft Menschenrechtsgruppen in China verstärkt unterstützen sowie amerikanische Investoren, ähnlich wie im Fall Südafrika, um die Einhaltung eines Ethikcodes bitten. Doch dies dürfte die Kritik amerikanischer Menschenrechtsgruppen kaum besänftigen, die mit Unterstützung mehrerer Kongreßabgeordneter den Entzug der Meistbegünstigungsklausel gefordert hatten. Human Rights Watch hat bereits in den letzten Monaten bei mehreren US-Investoren dafür geworben, einen Ethikcode einzuhalten und zum Beispiel politische Propagandasitzungen in ihren Fabriken zu verbieten. Das Echo war dürftig – nicht zuletzt aufgrund fehlender internationaler Abstimmung. Im Fall Südafrikas, so ein Lobbyist der Industrie, habe es sich um eine globale Absprache gehandelt. Bei China würden sich nur die USA für die Einhaltung der Menschenrechte interessieren.