Innensenat will zwei Kurden abschieben

■ In Berlin aufgewachsener 18jähriger Gymnasiast und ein mit deutscher Frau verheirateter Asylbewerber sollen ausreisen

Zwei achtzehnjährige Kurden, die sich im März an der Protestkundgebung vor der Mensa der Technischen Universität beteiligten, sollen innerhalb von drei Tagen ausreisen. „Eine so kurze Frist ist nicht üblich“, erklärte deren Anwältin. Es sei auch „selten“, daß die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet werde. Sie hat Widerspruch eingelegt. Falls die Ausländerbehörde diesen abschmettert, muß das Verwaltungsgericht entscheiden.

Den Ausweisungsbescheid für den 18jährigen Gymnasiasten, der seit seinem dritten Lebensjahr in der Bundesrepublik lebt, hält die Anwältin für „offensichtlich rechtswidrig“. Nach Paragraph 48 des Ausländergesetzes kann ein Jugendlicher, der im Bundesgebiet aufgewachsen ist und bei seinen Eltern lebt, nicht ausgewiesen werden, solange er nicht wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt ist. Bislang liegt aber nur eine Anklageschrift vor. Dem 18jährigen wird vorgeworfen, bei den Ausschreitungen am 19. März einen Polizisten in die Menge hineingezogen und zwei Beamten den Helm vom Kopf gerissen zu haben.

Doch für die Ausländerbehörde ist es „unerheblich“, daß er in der Bundesrepublik aufgewachsen ist. „Gerade durch die Ihnen vorgeworfenen Gewalttätigkeiten haben Sie ein erhebliches Defizit an Integration und Integrationsbereitschaft gezeigt“, heißt es in dem Bescheid. Mit der Beteiligung an einer Demonstration, die den Tatbestand des schweren Landfriedensbruchs erfülle, habe er „in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstoßen“. Deshalb könne er den besonderen Ausweisungsschutz nicht beanspruchen. Das „Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat im Vergleich zu Ihrem Schutzinteresse deutliches Übergewicht“.

Den Kurdenprotesten attestiert die Ausländerbehörde noch dazu eine „besondere Gefährlichkeit“, da es sich „nicht um spontane, sondern gesteuerte Akte“ handelt. Deshalb sei eine Ausweisung „unabweisbar geboten“. Abschiebehindernisse kann die Ausländerbehörde nicht entdecken. Es bestehe keine konkrete Gefahr der Folter oder menschenunwürdiger Behandlung. Doch im nächsten Satz widerspricht sich die Behörde selbst: „Die türkischen staatlichen Stellen haben gegen derartige Behandlungen gerichtete Strafverfolgungsmaßnahmen zugesichert und die Überprüfung durch Menschenrechtsorganisationen angeboten.“ Im Klartext: Die türkischen Behörden versichern, daß sie gegen Folterer vorgehen werden. Nach Informationen von medico international sind allein im letzten Jahr 102 Menschen in der Türkei Opfer nicht-legaler Hinrichtungen durch Polizei und Militär geworden. Dies sei auch dem Innensenat bekannt.

Dennoch schreckt die Ausländerbehörde auch nicht davor zurück, einen 18jährigen Asylbewerber auszuweisen, der mit einer Deutschen verheiratet ist. „Zu Ihren Ungunsten muß berücksichtigt werden, daß Sie am 8. August 1992 in die BRD eingereist sind und Schutz vor politischer Verfolgung nachgesucht haben.“ Dennoch habe er sich zu „gewalttätigen Handlungen“ hinreißen lassen.

Ebenso wie bei dem 18jährigen Gymnasiasten argumentiert die Ausländerbehörde damit, daß der besondere Ausweisungsschutz wegen der Schwere der Vorwürfe hinfällig werde. Auf die Ehe mit der Deutschen angesprochen, erklärte der Pressesprecher der Senatsinnenverwaltung lapidar: „Es steht nirgendwo, daß eine Ehe in Deutschland zu führen ist.“ Auch in diesem Fall hat die Anwältin Widerspruch eingelegt. Sie kritisierte, daß sie in keinem der Fälle bislang Akteneinsicht erhalten habe. Dies sei eine „eklatante Mißachtung des Verfahrensrechts“.

Pressesprecher Schmidt konnte keine Auskunft geben, ob in den „vier bis sechs Fällen“, in denen die Ausländerbehörde eine Ausweisung prüft, Entscheidungen gefallen sind. Schmidt erklärte lediglich, derzeit stünden keine Abschiebungen an. Dorothee Winden