Wurstleiber aus Tradition

■ "Abgehangen und Vergessen" Kunst aus der DDR, 21.45 Uhr, ORB

Als 1988 zur Biennale in Venedig erstmals die DDR einen Pavillon erhielt und mit fleischig-feister Soz-Art füllte, war der Schock für die umliegenden Modernen groß. Das hat sich zumindest in Deutschland geändert. Auf einer Müllhalde gleich am Anfang der ORB- Dokumentation über das Schicksal von DDR-Kunst fünf Jahre nach der Wende regt sich zumindest videotechnisch wieder das bläulich- grünstichige „Paar am Strand“ von Walter Womacka. Es war das erste Bild, das 1962 zehntausendfach vervielfältigt in den Wohnzimmern der neugeschaffenen Plattenbauten als Poster hing. Es war früher Soz-Pop und sollte auch nach der Wiedervereinigung bleiben. Der Bildersturm im Osten hat nicht nur sachverständigen Westlern bei der Bewältigung des gemalten Bruderstaates geholfen: Besänftigt können am Ende des Films von André Meier sämtliche gesamtdeutsche Künstler, Sammler und Museumsmacher resümieren, daß mit Kunst kein Staat zu machen war. Doch obwohl die ästhetische Erziehung zum Arbeiter und Bauern über platten Realismus kaum hinausging, hängen oft die gleichen Bilder noch immer an den Wänden. Das ist schon ein wenig erklärungsbedürftig: Für Leipzig sieht Herwig Guratzsch, einst Opfer der Zensoren und jetzt Leiter der Neuen Sammlung, in seiner Auswahl den Spiegel gegen das Verdrängen, während man im Dresdener Albertinum auf Annäherung durch Abstraktion hofft – großformatige Ölschinken von Werner Tybke neben namenlosen Stahlskulpturen.

Die Renaissance des Sozialistischen Realismus findet im Museum statt. Die kurze Zeit der Flurbereinigung habe die „Geister der Vergangenheit“ nicht wegwischen können, erklärt Matthias Flügge, Chefredakteur der einzigen Ost- Kunstzeitschrift Neue Bildende Kunst im Interview. Sie kommen wieder. Auch André Meier ist bei solch umfangreicher Rettung der Phänomene mißtrauisch. Der frühere taz-Redakteur hat mit seiner Recherche stramme Auftragsmaler und Pop-Artisten wider Willen auf Widersprüche abgeklopft – per Zwiegespräch und gegengeschnittenem Archivmaterial aus dem DDR-Kulturfernsehen der siebziger Jahre. Heidrun Hegewald wollte nur ihre Angst „in der Mitte der Gesellschaft“ darstellen und wurde aus ästhetischen Erwägungen abgehängt; der Real-Soz-Dauerbrenner Walter Womacka indes gilt wegen seiner stilistischen Nähe zum Amerikaner Robert Rauschenberg als hoffähig.

Trotz hadernder Dissidenten und überquellenden Treuhand- Depots mit tausendfachem Partei- Trash boomt der Markt für SED- Kunst im Beitrittsgebiet. Und nicht nur dort: Kölns Schokomächtiger Peter Ludwig sammelt Wolfgang Mattheuer wie auch den Nazi-Bildhauer Arno Breker, weil „beide aus der Geschichte“ gelernt haben, und die Neue Nationalgalerie in Westberlin hängt ihre Räume auf Empfehlung des ehemaligen DDR-Kulturfunktionärs Walter Jacobi meterweise mit Willi Sittes Wurstleibern voll. Ausgerechnet die konformen Maler der Vergangenheit dürfen sich über eine wachsende Beliebtheit freuen. Die Ideologie ist ihnen zwar abhanden gekommen, dafür macht sich jetzt das Handwerk bezahlt. Mattheuer fühlt sich – als bekennender Mitteldeutscher – allein der Tradition verpflichtet: nun zwar nicht mehr ganz so wahr, aber in jedem Fall schön und gut, wie auch die Mehrzahl der Befragten das Schaffen etwa eines Bernhard Heisig oder Volker Stelzmann beurteilt. Denn über Ideologien könne man schließlich streiten, Geschmack dagegen sei ganz was anderes. Ein Argument allerdings wurde im „Streit um Biographien“ scheinbar vergessen: Die DDR akzeptieren hieß auch, ihr Bild zu akzeptieren. Harald Fricke