Weltniveau mit Absturzgefahr

Am Samstag wurde die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) zum zweiten Mal in Berlin eröffnet / Russische Kunstflieger und ein Raumfahrtballett sollen das Publikum anziehen  ■ Aus Berlin Niklaus Hablützel

Ein Bundeskanzler, ein Ministerpräsident und ein regierender Bürgermeister ließen Grußworte schreiben. Ein Bundesminister sprach. Von der „Wiege der Luftfahrt“, die in Berlin stand, war die Rede. Dann von der „Innovation“, die wiederum hier einen Standort habe, von unserer wirtschaftlichen Zukunft, oder auch, eher rückblickend, von der „Herstellung der deutschen Einheit“, wie sich Helmut Kohl vernehmen ließ. Eine „internationale Fachmesse von Rang mit weltweiter Ausstrahlung“ sei das also in jedem Fall, meint Brandenburgs Manfred Stolpe im Jargon des sozialistischen „Weltniveaus“, das dem beweglichen Kirchenmann der ehemaligen DDR immer noch am geläufigsten ist.

Ungefähr dort, nämlich auf der Stufe des ewigen Strebens nach Höherem, ist die Berliner Flugzeugschau denn auch tatsächlich angesiedelt. „Mehr als 230 Fluggeräte aller Größen und Kategorien“ hat der Berliner Messeleiter gezählt. Die meisten fliegen wirklich, was aber nur ungewöhnlich ehrlichen Kindern wie ein Wunder vorkommen kann. In Wahrheit sind die physikalischen Grundlagen des Phänomens weithin bekannt, deshalb nur mit ziemlich kostspieligen, medialen Selbstbespiegelungen noch als Sensation darstellbar.

Doch gerade dabei ereignen sich Tragödien. Brennende Abfangjäger könnten zum Beispiel in die Menschenmassen auf dem Flugfeld rasen. Die Messeleitung hat deshalb Schau- und Kunstflugprogramme beschränkt, unter anderem auch deswegen, weil sich die Bewohner von Schönefeld, Grünau und Diepensee im letzten Jahr über den Lärm beklagt haben.

Daß sich die Behörden dem bürgerlichen Wunsch nach Ruhe nicht ganz verschließen wollten, läßt auf ein erfreulich demokratisches Bewußtsein schließen. Aber es zeigt auch, daß der Ruf der Fliegerei gelitten hat. Die Sache, von der Otto Lilienthal geträumt haben mag, ist lästig geworden. Und trotz aller Vorkehrungen mißlingt sie manchmal noch heute. Zu jenen auch für den Berliner Alltag typischen, so gar nicht komischen, wohl aber zum Verzweifeln lächerlichen Tragödien am Rande gehört wohl auch, daß am Freitag eines der Ausstellungsstücke abgestürzt ist, noch bevor die Schau eröffnet war. Ausgerechnet ein russischer Pilot kam dabei ums Leben. Friede seiner Seele. Warum Alexander Viatkins nagelneue Yak-58 nach dem „Sicherheitsabnahmeflug“, wie die Messeleitung mitteilt, „kurz hinter der Landebahnschwelle“ außer Kontrolle geriet, war am anderen Tag noch nicht ermittelt. „Es gab einen Aufschlagbrand“, heißt es in der kurzen Erklärung für die Presse. Das Feuer sei aber „umgehend“ gelöscht worden. Die Eröffnungsfeier begann mit einer Schweigeminute.

Wer sich trotz solch widriger Umstände freiwillig auf den Weg zum Ausstellungsgelände macht, weiß im allgemeinen, was eine Yak ist. Familienväter mit fußwunder Gattin und mindestens einem schreienden Kind sind deutlich in der Mehrzahl, auf dem zweiten Rang der augenscheinlichen Statistik liegen junge Männer, die weder rauchen noch saufen, dafür mit stahlhartem Blick das Fluggerät mustern. Eine Minderheit unter ihnen hat eine Freundin mitgenommen. Sie wissen Bescheid und sagen das auch. Die Kinder bekommen es notfalls ungefragt zu hören: Die Yak ist berühmt, gehört zu jenen Legenden der Sowjetunion, die eine gewiße Chance haben, den Zusammenbruch des Systems zu überleben. Yaks stürzen nicht ab, um so erstaunlicher ist deshalb der Unfall vom Vortag, der – möglicherweise – einem menschlichen Versagen des Testpiloten Viatkin zugeschrieben werden muß. Technische Mängel sind unwahrscheinlich. Denn die Firma Yakolev baut die besten Kunstflugmaschinen der Welt. Auch der zur Zeit wahrscheinlich beste Kunstflugpilot der Welt fliegt selbstverständlich eine Yak — und ist übrigens eine Frau. Na, bitte. Versteht sich außerdem, daß Svetlana Kabatskaya Russin ist. Sogar Laien erkennen, daß ihre Art, ein Flugzeug in den Himmel hochzuziehen, um es dort oben völlig hilflos um sich selber trudeln zu lassen, einen gewissen Sinn für die Tanzkunst verrät, die in Rußland gleichfalls weit entwickelt ist. Der Sturzflug mit anschließender Doppelrolle scheint dann aber doch eher der Gattung abstrakter Kriegsspiele anzugehören.

Kunstflieger müssen auf den donnernden Applaus ganzer Stadien verzichten, sie üben ihren Sport mitten unter kreischenden Triebwerken aus, die der menschlichen Anteilnahme enge Grenzen setzen. Recht einsam drehten sie ihre Pirouetten denn auch auf der Berliner Schau, die eine der ältesten ihrer Art sein soll, einsamer noch als im letzten Jahr, denn heuer ließen sich noch weniger Zuschauer an den Südrand des Flughafens Schönefeld locken. Empörend fand denn auch die Messeleitung, daß der Deutsche Branchenführer, die Mercedes-Tochter Dasa, darauf verzichtet hat, auch nur einen einzigen Stand anzumelden. Lockheed immerhin, die amerikanische Firma, die doch ausschließlich lupenreine Kriegsmaschinen anbieten kann, hat einen Flugsimulator hingestellt. Wortlos sorgt ein Schwarzer dafür, daß die tappigen deutschen Jungs, die endlich auch mal drankommen wollen, die F-16 nicht schon beim Start zu virtuellem Schrott fahren. Später dürfen sie Feinde abschießen, was auf dem Bildschirm erwartungsgemäß wie ein echter Golfkrieg aussieht.

Nur eine einzige Friedensgruppe verteilt vor dem Eingang eine Zeitung. Sie beschreibt das Offensichtliche: Die Internationale Luftfahrtausstellung wirbt für die Waffenindustrie und das Militär. Mutig hat die Bundeswehr eine ganze Halle angemietet, in der sie aber doch nur einen Tornado und einen Hubschrauber vorweisen kann. An der Theke bedient ein Marinesoldat namens „Rudel“. Der Kaffee ist gerade ausgegangen. Ein Heeresoffizier erklärt, wie ein Düsentriebwerk funktioniert. Endlich hört ihm jemand zu. Die verdichtete Luft wird verbrannt, und – „ganz richtig“ – der Nachbrenner steigert die Schubkraft ganz enorm.

Warum das so ist und wozu es gut sein soll, will der Frager nicht wissen. Ein ungelöstes Imageproblem macht der ganzen Branche zu schaffen. Weitaus am besten stehen die Russen da. Weil sie den Krieg der Systeme verloren haben, strahlen ihre Waffen in friedlichem Glanz. Daß aber auch amerikanische Generalstäbe dieses Ding gefürchtet haben, das damals „MiG 31“ hieß, kann man sich vorstellen. Ein Grenzfall eines Flugzeuges, an dem abzulesen ist, daß nicht der Vogel, sondern das Insekt das Vorbild der Kriegsfliegerei ist. In den zivilen Farben der russischen Republik lackiert, steht es auf Stelzenbeinen herum. Einen Rumpf besitzt es nicht, nur einen einäugigen Kopf für den Piloten. Dahinter beginnt das Trapez der Flügel, die nichts weiter zu tragen haben als Waffen und die seltsamerweise aller Stromlinienform widersprechenden, rechteckig angeschnittenen Ansaugkammern für die Triebwerke.

Daß dieses Biest Tod und Verderben bringt, ist wahrscheinlich, schon der Start der Turbinen läßt Furchtbares ahnen. Eine Kriegsmusik erklingt, die auch in der härtesten Techno-Party kaum zu erreichen wäre. Der Kick beginnt mit einem archaischen Donnern in jenen tiefen Frequenzen, die nur mit dem Zwerchfell wahrgenommen werden. Für das Ohr legt sich ein rasend pulsierendes Pfeifen darüber, dann schieben sich kreischende Mittelstimmen nach vorne. Langsam wackelt das Ding der Startbahn zu, wo eine ganze Weile nur noch ein unbestimmtes Rauschen zu vernehmen ist. Der Abflug selbst dauert wenige Sekunden. Er hinterläßt einen akustischen Schock, der noch anhält, wenn das Flugzeug schon längst in den Wolken verschwunden ist. Wenn es wieder sichtbar wird, scheint es vollkommen lautlos dahinzuschweben, jenseits der Schallmauer, die nun mit höllischer Verzögerung auf sämtliche Nerven zurast. Wieder bei Bewußtsein, bleibt die Erinnerung an seltsame Harmonien im Ohr hängen, an jene absurden Wohlklänge die sich immer dann einstellen, wenn sich das Gehör weigert, einen totalen Lautstärkeangriff auf allen Frequenzen überhaupt wahrzunehmen.

Der Nervenkitzel ist rasch vergessen, auch eine MiG 31 landet ganz brav und muß dann von Meßtrupps untersucht werden. Das Ding scheint universell gefährlich zu sein, für die eigene Truppe ebenso wie für die Feinde. Wer weiß es genau?

Nebenan ist einer ganz sicher, daß die Nato kein einziges serbisches Flugzeug in Bosnien abgeschossen hat. „Alles nur Propaganda.“ Auf politische Debatten will sich der deutsche Offizier neben seiner Tornado nicht einlassen, weist aber darauf hin, daß es sich um Erdkampflugzeuge gehandelt habe – „soweit das aus Nato- Kreisen zu uns durchgedrungen ist“. Ein moderner Krieg ist einem Laien ausgesprochen schlecht zu erklären. Deswegen wohl bilden sich auch vor den Kampflugzeugen nur selten Trauben von Neugierigen.

Dem Frieden allerdings ist auch nicht recht zu trauen. Zivile Flugzeuge sind entweder teure Spielzeuge für sehr reiche Leute oder dickbäuchige Langweiler für Massentouristen. Beides lockt nur wenige ans Gatter vor den Ausstellungsstücken. Auch der Weltraum eröffnet keine neuen Horizonte. In der Halle, die ihm gewidmet ist, erklingt klassische Musik. Aus irgendeinem Grund denken wir dabei an die Unendlichkeit. Der Anteil des Menschen mit seinen Raketen, Sonnensegeln und Sensoren schien der Ausstellungsleitung nun gar so schwer verständlich, daß sie glaubte, den Sinn der Raumfahrt mit einem Ballett darstellen zu müssen. Eine munter geschürzte Dame in Weiß trägt einen Früchtekorb. Sie sagt: „Ich bin die Erde.“ Andere Damen, hauteng in Blau, umkreisen sie und sagen: „Ich bin ein Satellit.“

Da staunen selbst quengelnde Kinder, und Papi wird von weiteren Fragen verschont. Abseits dieser Bühnenkunst käme er wohl ernstlich in Schwierigkeiten, etwa vor dem Originaltriebwerk der neuen Ariane-Rakete. Dieses silberglänzende Ding scheint endgültig den Bereich abstrakter Kunst erreicht zu haben. Drähte überziehen ohne erkennbare Ordnung einen elliptischen Kegel, die Spitze verschwindet in einem Gewirr feiner Röhren. Kein Hinweis nirgends, warum und wieso etwas fliegt, zu lesen ist lediglich, daß dieses „kryotechnisch“ genannte Gebilde im luftleeren Raum am besten arbeitet. Warum steht es dann aber hier?