Serbiens Flitterwochen

Stabilisierungsprogramm scheint Rest-Jugoslawien vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch bewahrt zu haben  ■ Aus Belgrad Karen Thürnau

Ist in Serbien ein Wirtschaftswunder geglückt? Der Alptraumwinter, die tägliche Inflation von über 20 Prozent, die Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften – Vergangenheit. Seit dem 24. Januar gilt in Rest-Jugoslawien der neue Superdinar (zum Kurs von eins zu eins an die D-Mark angebunden), die Preise sind stabil, die Läden voll, und jeden Monat gibt es eine Gehaltserhöhung. Die erste Phase des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprogramms des Wirtschaftsexperten Dragoslav Avramovič scheint geglückt.

Auch die zweite Phase des Programms, die Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit, läuft den offiziellen Daten nach vielversprechend an. Die Produktion steigt, der Bund konnte seit Januar seine Devisenreserven um ein Drittel auf 450 Millionen Dinar erhöhen. Fazit des Avramovič-Teams: Durch das Programm seien die vor zwei Jahren gegen Jugoslawien verhängten Sanktionen praktisch wirkungslos geworden. Jugoslawien habe es aus eigener Kraft geschafft, seine Wirtschaft wieder anzukurbeln und den ökonomischen Kollaps zu verhindern.

Doch kritische Wirtschaftsexperten schätzen die Lage weniger rosig ein. Zwar sind die Preise in der Tat stabil – aber auf hohem Niveau: Ein Liter Milch kostet 0,80 Dinar, eine Tube Zahnpasta zwei Dinar. Den westeuropäischen Preisen stehen afrikanische Gehälter gegebenüber. Im Schnitt verdienten die Jugoslawen im April 116 Dinar, fünfmal weniger als 1990. Für einen bescheidenen monatlichen Warenkorb muß man aber etwa 400 Dinar rechnen. 90 Prozent der Bürger geben ihr gesamtes Einkommen für Nahrung aus. Viele Familien überleben nur durch Unterstützung von im Ausland lebenden Verwandten oder durch die Früchte ihres Gartens.

Ein zweiter Fallstrick für Avramovičs Wiederaufbauprogramm: Die Unternehmen produzieren zwar wieder, setzen aber nicht ab. Der exjugoslawische Markt ist zusammengebrochen; wegen des Embargos kann nicht exportiert werden; und für den heimischen Markt sind viele Produkte zu teuer. Die Unternehmen müßten billiger produzieren und anbieten. Doch das Embargo hat den gesamten Produktionsprozeß (Rohstoffe, Ersatzteile und Transport) verteuert. Und – so niedrig sie auch sind – im Verhältnis zum Produktionszuwachs sind auch die Löhne zu hoch. Vor allem aber sind die Produktionstechniken veraltet. Für die dringend nötigen Investitionen fehlt jedoch das Kapital.

Auch der Kapitalmangel behindert die Wiederbelebung der jugoslawischen Wirtschaft. Der Staat hat selbst kein Geld für Sanierungsmaßnahmen der Wirtschaft und fährt eine inflationsfördernde Kreditpolitik. Seit Januar wurden mehrmals die Zinsen und die Mindestreserven, die die Banken halten müssen, gesenkt und eine gegenseitige Mehrfachdeckung der Banksalden untereinander gestattet. Dadurch wurde das Kreditvolumen um über 300 Millionen Mark aufgepumpt. Die Kreditvergabe beruht auf der Voraussetzung, daß die Unternehmen bald wieder liquide sein werden – was angesichts des schwachen Absatzes eher unrealistisch ist.

Das Kernproblem jedoch, das Avramovič schließlich das Genick brechen könnte, ist das hohe Haushaltsdefizit von 1,5 Milliarden Dollar. Den geringen Steuereinnahmen stehen hohe öffentliche Ausgaben gegenüber. Hunderttausende Arbeitslose, Zwangsfreigestellte und Flüchtlinge belasten das Budget zusätzlich.

Bislang ließ sich die Wirtschafts- und Finanzkrise mit den Sanktionen erklären, deren direkte Schäden auf über 45 Milliarden Dollar beziffert werden. Doch Wirtschaftsexperten und die Opposition bezweifeln, ob sich die Wirtschaft nach Aufhebung der Sanktionen rasch wieder erholen wird. „Uns steht ein Erwachen in Ruinen bevor“, prophezeit Zoran Djindjič von der oppositionellen Demokratischen Partei. Avramovičs Programm, so die Befürchtung, wird in dem Moment zusammenbrechen, in dem die Devisenreserven aufgebraucht sind, denn die Wirtschaft finanziert sich aus ihren Reserven und von Krediten.

Andererseits wurde Serbien durch das Embargo gezwungen, sich auf seine eigenen Kräfte zu konzentrieren. In den beiden Embargojahren hat sich das ökonomische Schwergewicht immer mehr auf die Landwirtschaft verschoben. Deren Anteil am Bruttosozialprodukt ist im Vergleich zu 1990 von 18 auf 34 Prozent gestiegen. Dies könnte auch richtungsweisend für die wirtschaftspolitische Ausrichtung Jugoslawiens in der Zeit nach den Sanktionen werden. Denn während Kroatien und Slowenien, vor dem Zerfall Jugoslawiens die industrielle Basis des Landes, darunter leiden, daß ihre Industrieproduktion auf dem europäischen Markt noch nicht konkurrenzfähig ist, lassen sich Agrarprodukte und Rohstoffe eher absetzen. Hofft zumindest Avramovič: „Wir haben der Welt etwas anzubieten: Schuhe, Textilien, landwirtschaftliche Produkte – und billige Arbeitskraft.“