Oben wumm! und unten klatsch!

Während russische MiG-Kampfflugzeuge ihre letzte Flugschau im brandenburgischen Sperenberg absolvierten, huldigte am Boden die Mutoid Waste Company der künstlerischen Konversion  ■ Von Anita Kugler

Während am Freitag auf der Internationalen Luft-und Raumfahrtschau (ILA) bei Berlin-Schönefeld eine russische Maschine vom Himmel fiel, fand zur gleichen Zeit – nervenkitzlig und unfallfrei – auf dem Militärflugplatz Sperenberg ein großes russisches Flugspektakel fand. Die Luftstreitkräfte der GUS-Westgruppe hatten zur Abschiedsvorstellung geladen, mit Parade, Fallschirmspringen, Transportmaschinenbesichtigung, Balaleika, Piroggen und viel Duty-free-Wodka. Atemlos bestaunter Höhepunkt während des Tags der offenen Tür war das Flugballett der sowjetischen Kampfflugzeuge MiG 29.

Sechs Maschinen schraubten sich wieder und wieder haarscharf nebeneinander in den Himmel, drehten sich wie die Kreisel und jagten in immer neuen Formationen über die Köpfe der etwa 15.000 Zuschauer hinweg. Natürlich mußte jeder an Ramstein denken, aber das war ja schon so lange her und so weit im Westen... Die Maschinen, einst der Stolz der sowjetischen Luftwaffe, mußten für die Abschiedsveranstaltung eigens aus Moskau herbeigeholt werden. Denn offiziell befindet sich von den früher in Sperenberg stationierten 700 Kampfflugzeugen nur noch ein einziges hier – und das steht noch bis Juli als Denkmal einbetoniert mitten im Kasernengelände. So ist es im Einigungsvertrag festgelegt.

Über diesen Vertrag freut sich nicht nur Helmut Kohl: Auch die deutsch-englische Schrottkünstlerkommune Mutoid Waste Company. Sie besitzt nämlich zwei MiG-21 und damit etwas ganz Exklusives und immer exklusiv werdenderes in Deutschland. Denn abgezogen seien nur 697 Maschinen, sagen die Künstler stolz. Und während die MiGs im Himmel tanzen, sitzen die fünf privaten Kampfflugzeugbesitzer und ihre Freunde von der Technogruppe Spiral Tribe neben den beiden Maschinen am Lagerfeuer. Sehr friedlich, fünf Kilometer vom Flugplatz entfernt und nicht einmal drei vom Oberkommando der Westgruppe in Wünsdorf. Früher war das Gebiet streng abgeschottet und in keiner Landkarten eingetragen, jetzt ist es eine Sommerfrische.

Während die echten MiG-Piloten hoch über dem brandenburgischen Wald den Krieg simulieren, führen die Freaks in der Heide einen erbitterten Kampf gegen die Mücken. Wumm! donnert oben eine MiG vorbei, klatsch! ist unten schon wieder ein Mistvieh tot. Ende Juni wollen die Kunstschweißer die MiGs mit Tiefladern nach Prag chauffieren, dort sollen tschechische Pazifisten mit einer Schrott-Feuer-Techno-Show beglückt werden. Mit wilden Installationen, zu Kunstwerken mutierten Kampfflugzeugen und einem Roboter, der einst eine MiG-Flugzeughydraulik war.

Die Mutoid Waste Company nennt sich seit drei Jahren auch der „Lost Tribe of MiGs“. Genau genommen müßte es allerdings umgekehrt heißen. Denn nicht sie haben die Maschinen verloren, sondern die Russen unter ungeklärten Umständen. Angeblich sind die englischen Künstler – als es bei den Russen noch drunter und drüber ging – mit einem Tieflader in eine Kaserne gefahren und nach Zahlung eines Obulus von 40 Mark wieder ungehindert heraus. Aber so genau wollen sie das nicht verraten. Sicher ist, daß im Frühjahr 1991 die beiden MiGs plötzlich vor dem Berliner Reichstag standen, die Radarschnäbel im Sand. Und daß das Oberkommando der Westgruppe ihretwegen einen langen Briefwechsel mit dem Berliner Senat führte. Ergebnis war ein Vertrag, in dem besiegelt wurde, daß die MiGs keine MiGs sind, sondern Kunst. Später bestaunten abertausende von Berlinern die Jagdflugzeuge im Brachland des Potsdamer Platzes und seit Weihnachten 1993 im Kunsthaus Tacheles.

Aber der „Lost Tribe of MiGs“ (oder die Mutoid Waste Company) und ihre etwa 20 englischen Freunde von Spiral Tribe sind Zugvögel. Berlin war für sie nur solange ein spannendes Pflaster, wie die Stadt im Umbruch war. Die vielen Aktentaschenträger und Investoren überall sowie das Subventionsdenken im Tacheles machte sie müde. Deshalb möchten sie irgendwann mit ihren Maschinen dorthin, wo alles noch ungeordnet ist, an die Wolga oder nach Petersburg vielleicht.

Eine Einladung zu den legendären weißen Nächten mußte die Performance-Gruppe jedoch ausschlagen. Erst kurz vor der geplanten Abreise fiel ihnen ein, daß diese taghellen Nächte von Petersburg ganz und gar kein optimaler Hintergrund sind für ihre Laser- Feuer-Show.