Die Tanzszene schnauft gar schwer

■ Woran liegt's, daß die freie Tanzszene Bremens nicht so recht raus kommt - nur an mangelnder Unterstützung?

„Man findet die Tanzszene in Bremen nicht“, sagt die Tänzerin Carmen Rita Maria und tut im nächsten Augenblick etwas, womit sie nicht gerade Begeisterung bei den KollegInnen erntet: Sie kritisiert die eigene Szene. „Jeder versucht, sein eigenes Süppchen zu kochen, anstatt daß wir uns zusammentun.“ Liegt es nicht mit an diesem Einzeltänzertum, fragt sie, daß der moderne Tanz in Bremen so wenig populär ist.

Ein bißchen unterstellt die Tänzerin den KollegInnen dabei auch, daß die sich der Professionalität nicht stellen wollten: „Wenn ich drei- bis fünfmal auftrete, zum Beispiel im Kontorhaus, das dann auch noch Werkstattaufführung nenne, dann kommen vor allem Freunde und Kursteilnehmer. Wenn ich dagegen im Schlachthof auftrete, muß ich mich doch einer ganz anderen Vergleichbarkeit aussetzen.“ Wenn man sich doch endlich in einer Produktionsgemeinschaft zusammenzuschlösse, um sich gegenseitig zu coachen ... Oder wenn man wenigstens so richtig um das Freiraum-Theater gekämpft hätte!

Ach nein, sagt dazu der Tänzer Matthias Früh, daß die Szene sich nicht mehr zusammentue, liege an der gestrichenen staatlichen Unterstüzung. Schließlich habe man sehr wohl versucht, zusammen mit Jürgen Müller-Othzen im Freiraum-Theater eine Produktionsgemeinschaft zu gründen – doch dann seien die Mittel gestrichen worden, immerhin rund 200.000 Mark pro Jahr. Das könnten die KünstlerInnen nicht auffangen.

Hauptproblem der freien TänzerInnen ist die Raumnot: „Die meiste Arbeit für ein Stück geht für die Organisation der Proberäume drauf“, sagt Matthias Früh. Tanz- und Ballettschulen nähmen bis zu 70 Mark Miete für die Stunde. Im Lagerhaus seien die Räume etwas billiger, aber eigentlich nicht zu benutzen, da sie Säulen haben. In den kleinen Räumen des Kontorhauses könne man nur Solos und Duos proben, und die Freiraum-Probenbühne sei ziemlich ausgebucht.

Noch dünner sind die Auftrittsmöglichkeiten gesät, seit das Freiraum-Theater nicht mehr zur Verfügung steht. Bleibt die Kulturwerkstatt Westend in Walle, wo man aber wohl auch nie mehrere Tage hintereinander spielen kann, so daß sich der Herum-Sprech-Effekt nicht einstellt. Konsequenz laut Matthias Früh: Viele verlassen Bremen. Britta Lieberknecht zum Beispiel oder die Gruppe Lubricat. „So katastrophal war's wirklich lange nicht.“

Nun ja, sagt dazu Ursula Siefken-Schulte, die für Theater Zuständige im Kulturressort, „Theater- und Tanzleute haben immer was zu kritisieren“. Immerhin habe man die Projektmittel im Vergleich zu 1990 verdoppelt auf 100.000 Mark. Und das Freiraum-Theater wäre sowieso zu klein gewesen für größerere Ensembles. Aber die Behörde bleibe dran, eine frei Spielstätte zu finden. Ob freie Gruppen im Concordia auftreten können, müsse aber noch mit dem neuen Intendanten abgeklärt werden.

Und immerhin stelle der Senat eine Trainingsmöglichkeit zur Verfügung: Mehrmals wöchentlich trainiert Michael Diekamp Bremer TänzerInnen in den Räumen der Uni. Bezahlt wird der Trainer überwiegend von den TeilnehmerInnen. Diekamp nehme nun zwar eine Tanzprofessur in Leipzig an, die Kontinuität werde aber wohl durch die Nachfolgerin Barbara Passow gesichert, so Ursula Siefken-Schulte.

Ha, höhnen da andere, jetzt schmücke sich die Behörde mit dem Profi-Training, aber wie lang habe man drum kämpfen müssen. „In Bremen gibt es doch gar keine Profis“, habe es immer geheißen. Dabei seien ehemalige Kresnik-TänzerInnen reihenweise abgewandert, weil sie in der Stadt keine Trainingsmöglichkeiten für ein Jahr der Neuorientierung gefunden hätten.

In Köln, Stuttgart und natürlich Hamburg und Berlin werde Tanz ganz anders gefördert, heißt es in der Szene. In Berlin etwa kümmere sich die Intendantin des Hebbel-Theaters, Nele Hertling, um Auftrittsmöglichkeiten für freie Gruppen. Und in Hannover sei duch die Festivalkultur einiges enstanden.

„Bremen ist einfach ausgetrocknet“, sagt Heide-Marie Härtel vom Tanzfilminstitut Bremen, „es gibt keine Gastspiele, es kommen zum Beispiel keine großen Kompanien ins Goethetheater oder in die Stadthalle. Warum zum Beispiel haben wir nie ein Gastspiel von Susanne Linke hier in Bremen gehabt? Das hätte nun wirklich nicht die Welt gekostet, so ein Solo einzuladen.“ Seit der Schließung des Freiraum-Theaters gebe es auch keine Festivals mehr, wie etwa das „exzellente Butohfestival“, und damit auch keinen Qualitätsansporn.

Fehlende Strukturen hin oder her – Carmen Rita Maria plädiert dennoch erstmal für einen Zusammenschluß der freien TänzerInnen. „Wenn Du alleine bist, schaffst du es doch nie, dir einen Raum zu organisieren.“ Und daß jetzt viele überlegen, in eine andere Stadt zu gehen, um dort kreativer angespornt zu werden, davon hält sie überhaupt nichts. „Das ist eine Illusion! Die haben sich doch auch vorher zusammengetan. Vor allem warten die bestimmt nicht auf uns.“ Christine Holch