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■ Für den ganzen Mann: Fußball-SammelbildchenDas Lebensglück komplettieren

Bonn (taz) – Yordan Letschkow hat man. Die Glatze mit Vorgarten, Mittelfeldregisseur der bulgarischen Nationalelf, leuchtet einem beinahe aus jeder Tüte entgegen. Hugo Leonardo Perez aber ist echt selten. Mindestens zwei Schweden oder Belgier sind im Tausch fällig für den Argentinier, dessen Konterfei im Sammelalbum zur Fußball-Weltmeisterschaft '94 die Nummer 214 trägt.

Kurz vor WM-Start greift das Bildchenfieber um sich wie Killer- Bazillen: In zwanzig Minuten ist das Portemonnaie zerfressen. Angefixt wurde die Republik vor wenigen Wochen vom Kicker, dem Fachblatt für alles, was politisch korrekten Linksliberalen Spaß macht – eine Gratis-Packung enthielt die ersten Spieler-Portraits, Mannschaftsfotos und Verbandsembleme auf selbstklebender Folie fürs Album. Ein Freak: „Da war uns klar, jetzt geht's los.“ Seitdem brennt das Fieber stärker als je zuvor – zumindest unter Leuten zwischen 20 und 30.

Eine Kleinanzeige („Wer tauscht mit uns Fußballbildchen?“) fördert es zutage: Ausnahmslos Mittzwanziger outen sich da mit ihren Fehlenden-Listen, gestandene Männer allesamt, die sich ihrer Tränen nicht schämen, können sie mit dem letzten Kleber ihr Lebensglück schließlich komplettieren. Nach 16jähriger Abstinenz bricht sich vielfach eine Wucht abermals Bahn, die 1978 durch das Trauma von Argentinien, das 2 : 3 gegen Österreich durch drei Treffer von Hans Krankl, ein besinnliches Ende gefunden hatte.

Erwachsene Rechtshänder müssen nicht einmal, um ihr Schriftbild zu verjüngen, die linke Hand bemühen, wenn fehlende Sticker möglichst unauffällig beim Vertriebsdienst im rheinischen Nettetal-Kaldenkirchen bestellt werden. Wie dort ein irritierter Produktmanager gegenüber der taz mitteilte, finden sich unter den 2.000 bis 6.000 Einsendern pro Woche ein Gutteil Fußballfans mit jahrzehntelanger Tütchen-Erfahrung – während der Umsatz schrumpft unter der originären Zielgruppe, den Balltretern aus der F-Jugend. Die des Lesens kundigen Sammler hingegen haben, selbst wenn das aktuelle Album wegen Lizenzstreitigkeiten nicht sämtliche WM-Teams beinhaltet, auch heuer die Nase vorn: Bildchen bilden. Nicht nur, daß sie schon mit zahlreichen WM-Akteuren auf du und du standen, als die Mitte Mai für FC Barcelona und AC Mailand im Europapokal-Finale der Landesmeister das runde Leder bearbeiteten: Beim Match der Bundesdeutschen am 27.Juni gegen Südkorea werden sie intim mit dem eigenen Album vor dem TV sitzen und, im Gegensatz zum Kommentator, sensibel zu differenzieren vermögen zwischen Spielern wie Pan Keun Kim und Joo Sung Kim oder Hyun Seok Kim und Jeong Hyeok Kim.

Und falls Bundesberti dann in der ersten Runde abschmiert, wird allein die Bildchen-Gemeinde mit neunmalkluger „Wir haben's gewußt“-Miene auf ihre Alben verweisen können. Denn die bunten Heftlein machten als erste die hoffnungslose Vergreisung der DFB- Kicker öffentlich, als unter den Rubriken „BRD-Elf 1994“ und „Weltmeister-Elf 1990“ zweimal dieselben Gerontokraten ins Heft einzurücken waren wie der Todesstrafenbefürworter und CSU-Wähler Lothar Matthäus, Eisenfuß Brehme oder Oma Buchwald. Anhänger der Klebefolien kann daher nicht wundern, daß Japan-Legionär Pierre Littbarski, 34, sein Fehlen in den USA mit der Erklärung begründet, er bereite sich auf die WM '98 vor. Noch belächelt man die Freunde der Sammeltüten. Aber wenn wir nachher nur den „U 35-Pokal“ holen, will wieder keiner was gewußt haben. Bernd Neubacher

(Tausche Perez gegen fünfmal Letschkow)

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