: Raumgreifende Ideologie
War der Palast des Obersten Sowjet nur die monumentale Variante einer Traumhütte fürs Kollektiv? Die Wiener Ausstellung zur „Tyrannei des Schönen“ dokumentiert die stalinistische Machtentfaltung durch Architektur ■ Von Robert Kaltenbrunner
Die Oktoberrevolution von 1917 zerstörte die althergebrachte russische Lebensform radikal. Die „Nullform“, verkörpert in Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ (1913), hatte sich als Prophezeiung erfüllt. Indes, ehe sich's die Protagonisten des Aufbruchs ins absolut Neue versahen, war ein anderer Wind aufgezogen. Und die Freiheit der Kunst, die zelebrierte Mißachtung aller Traditionen – sie wurden verweht.
Peter Noever, Direktor des Museums für Angewandte Kunst (MAK) in Wien, legt sich in einer Ausstellung mit einem kontroversen Thema ins Zeug. Die Epoche des Stalinismus in der Sowjetunion ist zwar in aller Munde, doch längst noch nicht erschöpfend aufgearbeitet. Ihre (Bau-)Kunst, insbesondere die der dreißiger und vierziger Jahre, gilt, obwohl nur wenig bekannt, als eine der interessantesten und auch der bedeutendsten in der russischen Historiographie. Als „totalitäre Architektur“, die angeblich „keinerlei Gemeinsamkeiten mit den Bauformen im Nationalsozialismus oder anderer faschistischer Regime im Europa jener Jahre aufweist“ (wie eine durchaus unorthodoxe These im Katalog lautet), ist sie ein spannendes Forschungsfeld mit weitläufigen kulturpolitischen Implikationen.
Die Politik jedenfalls mischte in jeder Fassade munter mit. So habe Stalin eindeutig formuliert, daß man nicht von den zukünftigen Bedürfnissen der Massen ausgehen dürfe, sondern von ihren jetzigen im Hinblick auf die Zukunft. Eine Eigenart des Sozialistischen Realismus war demnach nicht die Darstellung von Idealen, sondern einer vorweggenommenen Alltäglichkeit, der Sozialutopie, die sich erst noch realisieren sollte. Ein entscheidender Widerspruch in der Baukunst und dem Städtebau der späten dreißiger Jahre lag jedoch in der Idealisierung der Realität, die sich in der städtischen Ordnung widerspiegelte, begründet. Deswegen, so Noever, konstituiere diese Architektur ein einziges monumentales Paradoxon und sei nur von innen, aus „der Ideologie eines ,sozialistisch-stalinistischen‘ Denkens, begreifbar“. Eine Wahr- Nehmung im eigentlichen Wortsinne setze ein Verstehen des Anspruchs voraus, der diese Bauten hervorgebracht hat.
Der Anspruch, das Ansprechen der Massen: Die absolute ideologische Nützlichkeit des Sozialistischen Realismus für die (herrschende) Parteilinie erklärte Anatol Lunatscharskis beredte Apologie von 1932, in der er zwar zugab, daß die hellenistische Kultur weit von der UdSSR entfernt liege, zugleich aber betonte, daß diese Wiege von Kunst und Kultur noch immer als Modell für die Architektur dienen könne. Denn nachdem ihre ideologische Bedeutung klargeworden war, wurde als Aufgabe der Baukunst gefordert, sie habe durch Aneignung der Vergangenheit beziehungsweise deren „idealen“ Formen nach leichter Verständlichkeit und allgemeiner Zugänglichkeit zu streben. „Besondere Anziehungskraft erlangte das Paradigma des ,Palastes‘, das dem kärglichen Alltag gegenübergestellt wurde. Es wurde nicht mehr als Symbol für feindliche soziale Kräfte aufgefaßt, sondern als Verkörperung des Sieges und des Machtbesitzes.“ (Andrej Ikonnikow) Andererseits schwebte auch die Ideologie nicht im luftleeren Raum. Vielmehr sieht Wladimir Paperny in seiner „Kultur 2“ das Oben, die Parteiführung, als Teil der Kultur, inmitten derer sie agiert. Gleichzeitig gesteht er aber zu, daß eines der wichtigsten Gesetze der Kultur der Stalinzeit das Verbot war, sie zu verstehen und zu reflektieren.
Parallel zur Ausstellung offeriert der Katalog eine Mischung aus Essays und Projektpräsentationen, pathetischen Plakaten und bombastischen Zentralperspektiven. Boris Groys ist der „gebauten Ideologie“ auf der Spur, Andrej Ikonnikow will die utopischen Komponenten beleuchten, die „Datscha-Architektur“ wird von B. Merschanow aufs Korn genommen. Eingestreut sind die Stellungnahmen renommierter Architekten und Theoretiker aus der Mitte der dreißiger Jahre (Viktor Wesnisn und Alexej Schtschusew, um nur zwei zu nennen). Der stalinistischen Architektenriege von Iwan Fomin bis Boris Iofan wird hier, schon durch den Duktus der Wiedergabe, ein kleines Denkmal gesetzt – wobei so ganz nicht klar wird, ob dies unfreiwillig geschieht.
Darüber, daß im Sozialistischen Realismus, insbesondere in der Monumentalität seiner Darstellung, nicht mehr ein wesentliches Zeichen der Kraft einer Volks- oder Massenbewegung gesehen werden kann, sondern nur noch ein Symbol der Herrschaft über sie, ist viel diskutiert und veröffentlicht worden. Letztlich bleibt jedoch eine Unverhältnismäßigkeit zwischen der versuchten „revolutionären“ Darstellung qua Rekonstruktion (sei es in der Kunst, sei es im Rahmen der raumkonzeptionellen Planung) und dem historisch vorgegebenen Rahmen bestehen. Nicht immer fördern ästhetische Neuerungen die Verständlichkeit. Und just diese „freie“ Interpretation ist ganz im Sinne von Boris Groys, der die stalinistische Architektur nicht an der repressiven Politik gemessen wissen will, sondern an immanenten Kategorien. Denn, wie er ausführt, die „ganze sowjetische Kunst hatte damals nur die offizielle Zensur vor Augen: als ihren einzigen Gegenstand, ihr einziges Publikum und ihren eigentlichen Feind“. Das hat etwas für sich. Doch seine Ableitung ist zu gewagt: „Angestrebt wird die maximale innere ästhetische Widersprüchlichkeit eines jeden Kunstwerks.“
Der Gefahr, im Affirmativen zu versinken, können allerdings weder Buch noch Ausstellung vollständig ausweichen. Einige Beiträge lesen sich wie eine Apotheose der stalinistischen Architektur, die doch so ganz anders sei als diejenige des Nationalsozialismus. Die Behauptung, daß diese Architektur „die Maximen der russischen Avantgarde der zwanziger und dreißiger Jahre mit der baulichen Verwirklichung eines ,siegreichen Proletariats‘ verbinde“, bedürfte jedenfalls einer besseren Begründung, als sie in Wien geliefert worden ist.
„Tyrannei des Schönen. Architektur der Stalin-Zeit“ ist noch bis zum 17. Juli im MAK – Österreichisches Museum für Angewandte Kunst/Wien – zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog (hrsg. von Peter Noever) im Prestel-Verlag erschienen. 258 Seiten, zahlreiche (auch farbige) Abb., geb., 98 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen