Die Geschäfte laufen bestechend gut

■ Die ärztlichen Standesvertreter reagieren auf den Vorwurf der Bestechlichkeit mit Empörung, die geprellten Krankenkassen wittern einen Sumpf. Sie vermuten Betrügereien nicht nur bei Herzklappen...

Die ärztlichen Standesvertreter reagieren auf den Vorwurf der Bestechlichkeit mit Empörung, die geprellten Krankenkassen wittern einen Sumpf. Sie vermuten Betrügereien nicht nur bei Herzklappen, sondern Machenschaften in großem Maßstab.

Die Geschäfte laufen bestechend gut

Das Kalkül der Krankenkassen scheint aufzugehen. Rechtzeitig zu der bevorstehenden Verabschiedung der Bundespflegesatzverordnung durch den Bundesrat am 10. Juni, mit der nach Vorstellung der Versicherungsträger die vorgesehenen Preise für operative Fallpauschalen generell um mindestens zehn Prozent gesenkt werden sollen, lancierten sie das Ergebnis bislang streng geheimer Ermittlungen.

Über ein Jahr lang hatte eine Arbeitsgruppe von acht Fachleuten der Krankenkassen nach schwarzen Schafen unter den Weißkitteln gesucht. Am vergangenen Wochenende schließlich erhoben die Verbände den Vorwurf, Ärzte in fast allen Herzzentren der alten Bundesrepublik würden Schmiergelder verlangen, wenn Firmen ihnen Herzklappen verkaufen wollten. Nach Angaben des Bundesverbandes der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) soll den Krankenkassen dadurch jährlich ein Schaden von mindestens 45 Millionen Mark entstanden sein. Ärzte hätten pro Herzklappe ein Schmiergeld von bis zu 3.000 Mark kassiert. Der Preis einer Herzklappe, der zur Zeit bei durchschnittlich 6.300 Mark liegt, könnte um mindestens 3.000 Mark gesenkt werden, wenn die „Nebengeschäfte“ der beteiligten Ärzte und Firmen unterblieben.

Nur die Spitze eines Eisbergs? Ersatzkassen-Geschäftsführer Eckart Fiedler schätzt, daß zehn Prozent der Rechnungssummen für Operationen in Kliniken nicht gerechtfertigt sind. Bei Gesamtausgaben von zwölf Milliarden Mark jährlich für diesen Sektor betrüge der Schaden immerhin 1,2 Milliarden Mark.

Gestern legten die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen nach. So „schnell wie möglich“ wollen sie den jetzt „sichtbar gewordenen Sumpf trockenlegen“. In einer am Montag in Bonn veröffentlichten gemeinsamen Erklärung versicherten die Krankenkassen, in denen 90 Prozent der Bundesbürger versichert sind, daß sie „alles in ihrer Macht stehende tun werden, um diese bestürzenden Machenschaften weiter aufzudecken und abzustellen“. Als Konsequenz aus dem am Wochenende bekanntgewordenen Skandal forderten die Verbände alle Krankenhäuser auf, die Preise von technischen Hilfsmitteln in der Medizin zu überprüfen. Finanzielle Verflechtungen zwischen Krankenhausärzten und Herstellern müßten unterbunden werden.

Unabhängig vom ökonomischen Schaden, die die Abrechnungen den Kassen und damit ihren Beitragszahlern beschert hätten, so heißt es in der Erklärung, gehe es „insbesondere auch um eine sachgerechte Bewältigung der drohenden schweren Vertrauenskrise in einem besonders sensiblen Bereich unserer Hochleistungsmedizin“.

Bei den jüngsten Berichten über die Schmiergeldzahlungen an Chefärzte von Herzkliniken handelt es sich nach Ansicht des Sprechers der Innungskrankenkassen (IKK), Johannes Beckmann, tatsächlich nur um die „Spitze eines Eisbergs“. Keineswegs gebe es unter den Ärzten nur einige wenige schwarze Schafe. Sollte sich der Verdacht bestätigen, daß neben sechs niedersächsischen Kliniken – die nach Erkenntnissen des Sozialministeriums in Hannover Herzklappen mit jeweils 6.000 bis 7.000 Mark berechnet haben – sich auch weitere Chirurgen in der Republik die Hände schmutzig gemacht haben, sei dies ein Zeugnis von „Raubrittermentalität“ unter den meisten Chefärzten.

Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, setzte in der Montagsausgabe des Berliner Blattes BZ noch eins drauf. Er bestätigte, daß sich Chefärzte beim Ankauf von Herzklappen wie auch von anderen medizinischen Geräten bestechen ließen. Bei der Behandlung von Kranken mit technischen Mitteln würden überall „illegale Gewinne gemacht“. Dies erstrecke sich von der „Einmal- Spritze bis zum Verbandsmaterial, vom Röntgen-Kontrastmittel bis zur Pille“. Huber beschuldigte neben Chefärzten auch „Krankenkassen-Funktionäre“, bei „Gewinnabsprachen munter mitgemischt“ zu haben. Bis zu fünf Prozent der Ärzte in Deutschland seien „Amigos, die die Hand aufhalten und abstauben, wo sie nur können“.

Hubers forsche Behauptungen wurden umgehend von seinem konservativen Standesvertreter- Kollegen Karsten Vilmar scharf kritisiert. Der Präsident der Bundesärztekammer warf Huber vor, für seine Behauptungen keine konkreten Anhaltspunkte zu haben und sich „möglicherweise in diesem Zusammenhang der Amtspflichtverletzung schuldig gemacht“ zu haben. Den Krankenkassen drohte Vilmar mit einer Verleumdungsklage, sollten sie ihre Vorwürfe nicht belegen. Ohne Beweise, so Vilmar, sehe es so aus, als wollten die Kassen eine „Pogrom-Stimmung“ gegen die Ärzteschaft erzeugen.

Aufgrund der Berichte über mögliche Bestechungszahlungen an Ärzte hat sich inzwischen die Justiz eingeschaltet. Der Hamburger Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger teilte gestern mit, seine Behörde habe Vorermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet, Staatsanwaltschaften auch anderer Bundesländer würden von Amts wegen „Vorermittlungen über diese Praktiken“ aufnehmen. Ob es im Zuge dieser Vorermittlungen irgendeinem Chefarzt an den Kragen geht, bleibt abzuwarten. Fest steht, daß sich ein Arzt, der sich von der Industrie schmieren läßt, strafbar macht. Ein Universitätsarzt als Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst muß bei Vorteilsnahme beziehungsweise Bestechlichkeit mit einer Geldstrafe oder einer bis zu fünfjährigen Haftstrafe rechnen. Hera