Ollie, der Retter von Suburbia

Über den weichen Fall und den wundersamen Aufstieg des Oliver North, Oberstleutnant der US-Marines a.D. und Senator der Republikaner in Spe  ■ Aus Crystal City Andrea Böhm

Es ist die Zahnlücke. Auf den ersten Blick sieht er aus wie alle anderen in dieser Versammlung der ausrasierten Nacken und der schmalen Lippen. Erst wenn Oliver North den Mund aufmacht, erhält sein Gesicht etwas unverkennbar Spitzbübisches. „Ollie!“ steht auf den handtellergroßen Plaketten, die sich seine AnhängerInnen ans Revers oder an die Handtasche geheftet haben. „Ollie“, der vor sechs Jahren in seiner schmucken Uniform, die Brust voller Auszeichnungen, diesen Zivilisten im US-Kongreß gezeigt hat, was ein richtiger Amerikaner ist. „Ollie“, der jetzt Senator in eben jenem Parlament werden will, das er so leidenschaftlich gerne verhöhnt. Aufräumen will er dort: „Lead, follow or get the hell out of the way“ (Führe, folge oder scher Dich weg) – so lautet sein Schlachtruf, mit dem er bei jeder Wahlkampfveranstaltung Ovationen auslösen kann.

Oliver North, 50 Jahre alt, Ex- Oberstleutnant der US-Marines und als solcher im Vietnamkrieg hochdekoriert, ehemals Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates der Reagan-Administration, selbsternannter Held im Kampf gegen den Kommunismus, Stratege der US-Invasion in Grenada, schillerndste Figur im Iran-Contra- Skandal und in dieser Eigenschaft wegen Falschaussage vor dem Kongreß und Vernichtung von Regierungsdokumenten verurteilt – dieser Oliver North möchte bei den Wahlen im Herbst als Senator für den Bundesstaat Virginia in den Kongreß einziehen. Das Verblüffende ist, daß North nicht trotz, sondern gerade wegen seines Lebenslaufs alle Chancen hat, sein Ziel zu erreichen.

North muß in seinem Wahlkampf nicht kleckern, er kann klotzen. Deshalb hat er sich für seinen Auftritt mit ausgesuchten Kriegsveteranen im „Hyatt Regency“ in Crystal City, Virginia, eingemietet – einer Ansammlung von sterilen Hotels und Tagungszentren östlich des Potomac. Auf der anderen Seite des Flusses, auf dem Territorium der Hauptstadt Washington, steht der Feind: Das Weiße Haus, die Bundesverwaltung und vor allem der US-Kongreß mit seinen „professionellen Politikern“, wie North sie abschätzig nennt.

Unter Gejohle und Beifall tritt der Held ans Mikrofon und hebt zu einer seiner Reden an, die selbst im seriösesten Hotel die Atmosphäre eines überfüllten Predigerzeltes erzeugen können. Das Rezept ist einfach. Eine wahlkampferprobte Abfolge von konservativen Schlagworten, eingebaut in grammatikalisch vollständige Sätze, erzeugen ein Gefühl der Belagerung: „Liberale Einparteienherrschaft“, „Steuererhöhung“, „Staatsapparat“, „Pearl Harbour“, „Schirinowski“, „Extremisten“, „Verschuldung“, „Politiker“, „Cocktailparties“. Dann folgt das Gegengift: „Aufstehen“, „Kämpfen“, „Kinder“, „Gott“ – und schließlich das Finale: „Lead, follow or get the hell out of the way!“ Rauschender Beifall. „Amen“, ertönt es aus einigen Ecken.

Inmitten der Menschenmenge steht Ron Penninger und klatscht enthusiastisch. Mit seinen 27 Jahren, den etwas eingesunkenen Schultern und dem schüchternen Auftreten paßt er nicht ganz in diese Versammlung – und das macht ihm zu schaffen. Liebend gern wäre er selbst zu den US-Marines gegangen, „aber“, sagt er verlegen, „die hatten gerade keinen Bedarf“. Jetzt ist er Mitarbeiter einer Rüstungsfirma, frisch verheiratet, Vater eines kleinen Sohnes, Besitzer eines Heimes in der Suburb – und seit wenigen Wochen, ebenso wie seine Frau Marie, eingeschriebener Delegierter für Oliver North. Am kommenden Wochenende werden beide auf dem Parteitag der Republikaner in Virginia ihre Stimme dem Ex-Marine geben und ihm damit aller Voraussicht nach zum Sieg über seinen innerparteilichen Gegner Jay Miller verhelfen. Dann beginnt der eigentliche Wahlkampf gegen den amtierenden Senator der demokratischen Partei, Charles Robb, der in den letzten Jahren wegen mehrerer Skandale in die Schlagzeilen geraten ist.

Ron Penninger gehört zu jenen Leuten, die immer wieder versichern, daß sie sich nicht für Politik interessieren und mit diesem Geschäft eigentlich nichts zu tun haben wollen – was in diesem Land häufig als Charakterstärke ausgelegt wird. Aber Wahlkampf für Oliver North zu betreiben, ist in seinen Augen keine Politik, sondern eine Mission. Die Penningers schämen sich für das zunehmend zerrüttete Gemeinwesen in den USA – das sagen sie ganz offen. Kaputte Städte, hohe Kriminalitätsraten, schlechte Schulen und, sagt Ron, „eine starke Koalition, die die Familie kaputt machen will“ – allen voran Homosexuelle und Feministinnen.

Die Penningers haben Angst um ihre eigene Zukunft – das sagen sie nur verklausuliert. Denn die birgt nicht mehr die Vision eines noch besseren Lebens für die nächste Generation. Ein Job im Rüstungssektor, in dem auch Marie Penninger beschäftigt ist, garantiert keine dauerhaften Karrieren mehr; ein Leben in der Vorstadt keine Sicherheit mehr vor sozialen Problemen. Oliver North ist ihr Kandidat – nicht nur weil er mit Charisma und simpler Rhetorik diese Ängste in alte und neue Feindbilder kanalisiert. Er soll den brüchig gewordenen Traum vom glückstiftenden Rückzug nach Suburbia retten. Er soll zum Beispiel dafür sorgen, daß die Penningers keine Steuern mehr für das staatliche Schulwesen zahlen müssen. „Unsere Kinder kommen auf Privatschulen.“ Daß andere, darunter auch viele Republikaner, ihrem Helden ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit nachsagen, stört die Penningers nicht. „Jemanden wegen Falschaussage vor dem Parlament unter Anklage zu stellen“, sagt Ron mit verächtlichem Lächeln, „ist ein Witz.“ Den Kongreß zu belügen, ist für ihn moralisch so verwerflich, wie einem Bankräuber die Brieftasche zu klauen.

Vier Stunden nach dem Auftritt von North in Crystal City beginnt Brandon Hughes im benachbarten Vienna seine tägliche Schicht. Ausgerüstet mit einer Unterschriftenliste, Broschüren und einem Plan mehrerer Wohnblocks stapft er zur ersten Haustür und klopft. „Guten Tag, meine Name ist Brendon, ich sammle Unterschriften gegen die Kandidatur von Oliver North.“ Die ersten vier AnwohnerInnen zeigen sich reserviert, der fünfte, ein Mittsechziger mit altmodischer Hornbrille, entpuppt sich als voller Erfolg: Er leistet nicht nur seine Unterschrift, sondern stellt auch noch einen Scheck über 40 Dollar aus. „Damit Ihr mir den Kerl möglichst schnell vom Hals schafft.“

Brandon Hughes ist in einer „liberalen Familie“ aufgewachsen, die ihm schon während des Iran- Contra-Skandals eingeschärft hat, daß Männer wie Ollie North in der amerikanischen Politik „das Böse schlechthin“ repräsentieren. Eigentlich sollte der 23jährige seit einigen Monaten an einer Washingtoner Universität über Jurabüchern brüten, doch dafür fehlt ihm die rechte Motivation. „Juristen haben einen Ruf“, klagt er, „der ist fast so schlecht wie der von Politikern.“ Stattdessen hat er sich „Clean Up Congress“ angeschlossen, einer Organisation in Virginia, die derzeit nur ein Ziel hat: die Wahl von Oliver North in den US- Senat zu verhindern.

„Clean Up Congress“ ist eine Ökologiegruppe, die sich seit vier Jahren ungefragt, aber erfolgreich, in Wahlkämpfe im ganzen Land einmischt. Für ihre Kampagnen wählen sie KandidatInnen aus, deren Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit besonders umweltfeindlich war. „Clean Up Congress“ hat wenig Geld, aber eine Strategie, die nicht nur billig, sondern auch traditionell amerikanisch und effektiv ist: „Grassroots Campaigning“. Die MitarbeiterInnen gehen von Tür zu Tür und bieten in diesem Fall unangenehme Informationen über die zur Wahl stehenden VolksvertreterInnen an. Nun ist Oliver North kein Umweltrisiko im wörtlichen Sinne, „aber“, sagt Brandon, „als Senator wäre er eine Schande. Der erste Kriminelle im Kongreß.“

Brandon war knapp sechzehn Jahre alt, als die politische Karriere des Oliver North begann – an jenem Tag, der eigentlich seinen Niedergang besiegeln sollte. Am 7. Juli 1987 schwor North vor dem Iran-Contra-Ausschuß des US- Kongresses, „die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit“ zu sagen. Von da an schien es nur noch eine Frage von Stunden zu sein, bis ihn die Parlamentarier als Hauptschuldigen und Hauptschurken des Skandals entlarven würden. Unter Leitung von North waren Profite aus geheimen Waffengeschäften mit dem Iran an die nikaraguanischen Contras weitergeleitet worden, obwohl der US- Kongreß die weitere Unterstützung der Rebellen untersagt hatte. Vor dem Parlamentsausschuß gab North alles zu – illegal die Contras versorgt, den Kongreß belogen und belastende Dokumente in den Reißwolf geworfen zu haben. Er tat dies vor laufenden Kameras in ordensgeschmückter Uniform und im Tonfall eines Offiziers an der Front, der von lästigen Zivilisten an der Erfüllung seiner vaterländischen Pflicht gehindert wird. Am Ende der Anhörung kannten nicht nur die ganzen USA sein Gesicht. Meinungsumfragen zufolge hielt ihn die Mehrheit der US-BürgerInnen für einen ausgemacht sympathischen Landsmann.

„Ollie“, wie Freunde und Feinde ihn von da an nannten, brachte es nicht nur zu öffentlichem Ruhm, sondern auch zu Geld. In den letzten sechs Jahren hat er nach Angaben der Washington Post aus dem ganzen Land Spenden in Höhe von 25 Millionen US–Dollar erhalten. Mit dem Geld beglich er seine Anwaltskosten und legte den Grundstein für seine Wahlkampagne.

Mit seiner charismatischen Mischung aus Fernsehprediger und Dorfsheriff bereitet „Ollie“ freilich nicht nur den Demokraten und der liberalen Öffentlichkeit Kopfschmerzen, sondern auch seiner eigenen Partei. Seine Kandidatur – unterstützt von der „Christian Coalition“ des TV-Evangelisten Pat Robertson – markiert die Zerreißprobe zwischen dem politisch liberaleren und dem christlich-fundamentalistischen Flügel der Republikaner. Was Galionsfiguren wie North oder Ex-Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan an Stimmenpotential am rechten Rand des politischen Spektrums einfangen, drohen sie im republikanischen Mainstream zu verschrecken. So manche Strategen unter den Demokraten glauben deshalb, ein Wahlsieg „Ollies“ sei das beste, was ihrer Partei passieren kann.

Solche Überlegungen sind für Brandon Hughes schlicht inakzeptabel, und deshalb marschiert er weiterhin sechs Mal die Woche von vier Uhr nachmittags bis neun Uhr abends durch Virginias Suburbs und sagt sein Sprüchlein auf. Neben wohlgesonnenen AnwohnerInnen trifft er auch auf erregbare „Ollie“-Jünger, die ihm die Tür ins Gesicht donnern. Taktisch denkende North-WählerInnen geben sich dagegen nicht sofort als solche zu erkennen, laden ihn zum Kaffee für eine halbe Stunde in das Wohnzimmer und verabschieden ihn dann mit den Worten: „Ich hoffe, ich habe ihnen soviel Zeit gestohlen, daß Sie Ihren Mist nicht auch noch meinem Nachbarn erzählen können.“ In solchen Momenten erscheint die Graswurzelkampagne ziemlich mühselig. Aber Brandon hat da noch eine geheime Motivationsquelle. „Eigentlich“, druckst er, als wäre es ihm peinlich, „will ich gar nicht Jurist werden.“ – Sondern? – „Politiker!“ Mit diesen Worten klopft er an die nächste Haustür, um die nächste Stimme und vielleicht ein paar Dollars gegen Oliver North einzusammeln. „Gutes Training“, sagt er. Für seine erste eigene Wahlkampagne.