Rassistisches Afrika-Korps vor Gericht

■ Der ehemalige Kommandeur der kanadischen UN-Soldaten in Somalia muß sich wegen Befehl zu Gewaltanwendung vor Gericht verantworten / Eine "humanitäre Truppe" voller Rechtsradikaler

Berlin (taz) – Ein höchst ungewöhnliches Justizverfahren findet dieser Tage auf einer Militärbasis nahe der kanadischen Hauptstadt Ottawa statt. Vor Gericht steht kein Geringerer als der ehemalige Kommandant der kanadischen Soldaten, die zwischen Dezember 1992 und Mai 1993 als Teil einer US-geführten Streitmacht in Somalia stationiert waren.

Armeeoberst Carol Mathieu wird beschuldigt, Befehle zur Gewaltanwendung gegenüber Zivilisten im Ort Belet Huen gegeben zu haben – jener Stadt, wo nach dem Abzug der Kanadier deutsche Soldaten stationiert wurden. Das Verfahren ist Höhepunkt einer seit einem Jahr andauernden Untersuchung der Praktiken einer sich als Besatzungsstreitmacht aufführenden Truppe, in der es nach Aussage eines Soldaten vor rechtsradikalen Rassisten „nur so wimmelte“.

Wie die Kanadier ihre „humanitäre“ Mission verstanden, zeigen schon die wenigen bekannten Vorfälle. Am 16. März 1993 verhafteten kanadische Soldaten einen 29jährigen Somali namens Shidan Omar Aroni, der angeblich in das kanadische Militärgelände eingedrungen war, und brachten ihn in eine Arrestzelle. Wenige Stunden später trugen seine Bewacher ihn ins Lazarett – gefoltert und bewußtlos. Bei seiner Ankunft in der Krankenstation war er tot. Die Geschichte wäre nie an die Öffentlichkeit geraten, hätte nicht später einer der beteiligten Soldaten versucht, sich aufzuhängen, und wäre dies nicht einem kanadischen Journalisten zu Ohren gekommen.

Es war nicht der erste Mord. Am 4. März hatten Kanadier zwei Somalis am Stacheldrahtzaun des Militärlagers gestellt; als einer von ihnen, Ahmed Afrahio Arush, zu fliehen versuchte, wurde er niedergeschossen und dann, auf dem Boden liegend, hingerichtet. Auch dies wurde durch Zufall bekannt. Der Militärarzt Barry Armstrong beschrieb den Vorfall in einem Brief an seine Frau in Kanada, den diese an die Presse weiterreichte.

Solche Übergriffe durch UN- Soldaten waren in Somalia gang und gäbe; die Menschenrechtsorganisation African Rights hat sie ausgiebig recherchiert. Aber während andere Länder so etwas kaum zur Kenntnis nahmen, erregte sich die Öffentlichkeit in Kanada – das sich traditionell als friedliches Land mit großer Bereitschaft zur Teilnahme an UNO-Friedensmissionen versteht – so sehr, daß die damalige Verteidigungsministerin und spätere Regierungschefin Kim Campbell eine staatliche Untersuchung anordnete, die seit Mai 1993 in eine weltweit einmalige Reihe von Gerichtsverfahren gemündet hat. Im März dieses Jahres wurde so der Gefreite Elvin Kyle Brown im Falle Aroni des Totschlags und der Folterung für schuldig befunden, unehrenhaft aus der Armee entlassen und zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Die Untersuchungen brachten merkwürdige Zustände im kanadischen Militär ans Tageslicht. Teil der Somalia-Truppe war eine 120köpfige Elite-Luftlandeeinheit, das „2nd Commando Unit“, deren Mitglieder sich zum Teil dadurch auszeichneten, daß sie sich „Rebellen“ nannten, sich gerne um die Flagge der sklavenhaltenden US- Südstaaten aus dem 19. Jahrhundert zu Kameradschaftstreffen zusammenrotteten und schon mal Brandanschläge auf ihre eigenen Offiziere verübten. Einer hatte sich im Jahre 1990 im Hitler-T- Shirt mit Nazigruß unter der Hakenkreuzflagge fotografieren lassen. Die Leiter der Somalia- Truppe wollten die Einheit nicht haben, setzten sich aber mit dieser Meinung nicht durch. Lediglich fünf der notorischsten Soldaten wurden zurückgelassen. So kam es, daß Kanada nach Somalia Soldaten schickte, die sich nach übereinstimmenden Zeugenaussagen brüsteten, Schwarze umbringen zu wollen. Gefragt, ob es in der Einheit Rassisten gebe, sagte ein Zeuge: „Sie sind überall. Es wimmelt nur so von ihnen.“

Nun steht mit Oberst Mathieu der bisher ranghöchste kanadische Armeeangehörige vor einem Militärgericht. Die bereits Verurteilten hatten angegeben, von ihm den Freibrief für ihre Übergriffe erhalten zu haben: Mathieu habe in Belet Huen klarstellen wollen, daß er „der stärkste Klanführer“ sei. Zum ersten Gerichtstermin am Montag erschien der Oberst mit allen seinen Orden. Bei Verurteilung drohen ihm zwei Jahre Haft und die unehrenhafte Entlassung. D.J.