„Gemütliches Wohnen im KZ“

Nach dem Abzug der Russen aus Fürstenberg-Ravensbrück wurde die SS-Siedlung neben dem ehemaligen Konzentrationslager frei / Jetzt interessiert sich ein privater Investor dafür  ■ Aus Fürstenberg Anita Kugler

Vom Aufschwung Ost ist in der brandenburgischen Havelstadt Fürstenberg wenig zu sehen. Viele Geschäfte sind verrammelt, andere annoncieren den Totalausverkauf, die Kneipen rund um den Marktplatz sind auch am Abend menschenleer. Früher war das anders. Früher, das war, als die Sowjet-Soldaten mit ihren Familien noch die Stadt bewohnten. Etwa 28.000 waren es, aber jetzt sind sie weg und die 5.000 übriggebliebenen Einwohner müssen sehen, wie sie mit dem Hinterlassenem fertig werden. 600 Fürstenberger sind durch den Abzug arbeitslos geworden, den Blumenhändlern und Friseuren fehlt die russische Kundschaft, es gibt kein Gewerbegebiet, und der Tourismus steckt in den Kinderschuhen. Die Stadt ist so hoch verschuldet, daß sie nicht einmal mehr Kredite bekommt. Und jetzt ist sie auch noch um einen Schlag um ein Drittel größer geworden: Nämlich um 28 GUS-Liegenschaften, die größtenteils schwer kontaminiert sind.

Der schwierigste Nachlaß ist eine am Schwedtsee gelegene Villensiedlung. Russische Offiziere haben die 23 Häuser seit Ende 1945 bewohnt, seit über einem Jahr stehen die Villen leer. Sie sehen aus, als ob der Krieg gerade zu Ende wäre. Der Wind fegt durch die zerbrochenen Scheiben, durch die Dächer tropft der Regen. Einige Villen sind von der Natur fast zurückerobert. Zwischen den Terassensteinen wachsen Kiefern und Holunder. Überall hängen Schilder; „Betreten verboten! Lebensgefahr! Das Bundesvermögensamt Potsdam“.

Niemand weiß, was mit diesen Häusern geschehen soll, denn sie sind auf eine besondere Art verseucht. Es ist eine ehemalige SS- Siedlung. Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück haben sie ab 1939 für ihre Peiniger gebaut. Sie liegen in Schrittweite der ehemaligen Kommandantur, auch zum Erschießungsgang waren es nur ein paar Meter. Die Fenster der vier Führervillen, der acht vielzimmrigen Aufseherinnenhäuser und der 11 Doppelstockhäuser für Unterführer zeigen auf den See, genau auf die Stelle, an der die Hausbewohner die Asche der ermordeten Frauen in den See schütteten. Die Steine auf der gepflasterten Straße vor der Siedlung haben Frauen geschlagen, die Eichenallee wurde von Frauen gepflanzt. Es gibt viele SS-Siedlungen in Deutschland, aber keine, die den Funktionszusammenhang so deutlich zeigt wie diese. „Das Nebeneinander von lauschiger Privatheit und mörderischem Arbeitsplatz ist so pervers, daß man es zeigen muß“, sagt Sigrid Jacubeit, Leiterin der Gedenk- und Mahnstätte Ravensbrück.

Die Villen gehören ihrer Meinung nach ebenso zum Gelände des ehemaligen KZ, wie das Terrain innerhalb der heute noch stehenden Lagermauer. Das sind 17 Hektar, Ravensbrück war das größte KZ in Deutschland. Die Rote Armee besetzte Ende 1945 das von ihnen selbst befreite KZ und nutzte es bis zum vorigen Jahr militärisch. Nach Abzug der Soldaten wurde das Gelände unter Denkmalschutz gestellt. Zum 50. Jahrestag der Befreiung, am 30. April 1995, wird es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Reparatur der noch erhaltenen Schneiderei, in der die eingesperrten Frauen aus 22 Nationen für die Rüstungsindustrie nähen mußten, sowie für andere Baumaßnahmen im Lager will die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten 2,2 Millionen Mark bei der Europäischen Union beantragen. Auch die SS- Siedlung wird in Kürze denkmalgeschützt, aber für wen? Denn ungeklärt ist, ob man solch belastete Häuser mit einer solch beabsichtigten Nähe zum KZ, an Privat verkaufen oder vermieten darf.

Sigrid Jacubeit und die überlebenden Frauen von Ravensbrück sagen „njein“. Sie favorisieren ein Mischmodell. Je ein „Führer- und ein Aufseherinnenhaus“ sollten — um das Nebeneinander von Heim, Herd und Arbeitsplatz zu dokumentieren — Museum sein. Zwei andere Häuser könnten zu einer Begegnungsstätte für Jugendliche umgebaut und ein fünftes dem Internationalen Ravensbrück-Komitee überlassen werden. In den restlichen 18 Häusern wäre ein „geschütztes Wohnen“, etwa das Modell „Drei Generationen unter einem Dach“ oder „Leben mit Behinderten“ denkbar. Jacubeit hat deshalb zum Internationalen Frauentag im März einen Aufruf der „Ravensbrück-Initiative 1994“ unterschrieben, in dem von Bund, Land und Stadt gefordert wird, sich gemeinsam für eine „sozial-caritative, kulturelle und wissenschaftlich-ökologische Nutzung einzusetzen“. Diesen Aufruf haben auch Regine Hildebrandt, Sozialministerin von Brandenburg (SPD), Hanna-Renate Laurien, Präsidentin des Berliner Abgeordentenhauses (CDU), die parteilose Bürgermeisterin von Fürstenberg, Gudrun Appel, und die Präsidentin des Internationalen Komitees, Edith Sparmann, unterschrieben. Aber noch hat weder die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten erklärt, einige der ehemaligen SS-Häuser als Museen zu erhalten, noch gibt es eine Institution, die die Trägerschaft für „geschützte Wohnmodelle“ übernehmen kann. Anje von Meer, die Sprecherin der Stiftung kann sich deshalb gut vorstellen, daß ein Teil der Villen an ganz „normale Fürstenberger“ vermietet werden. Wer aber der Vermieter sein könnte, weiß auch sie nicht.

Konkret bleibt daher einzig das Angebot eines Investors, der vom jetzigen Besitzer und Verwalter der Siedlung, dem Bundesvermögensamt, als „sehr seriös“ gelobt wird. Der will die Häuser für „viele Millionen“ herrichten und an Privatleute verkaufen, sagt Amtsvorsteher Wolfgang Puwalla. Das Kaufangebot habe man der Stadt schon vor einem halben Jahr unterbreitet, doch die Reaktion wäre „sehr distanziert“ gewesen. Weil die Stadt aber immer noch keinen Flächennutzungsplan verabschiedet habe, warte man jetzt in Potsdam auf die Denkmalschutzauflagen. „Der Investor muß wissen, woran er ist.“ Natürlich will auch Puwalla „die Würde des Ortes sichern“, aber dann muß Geld rein, „andernfalls kann man die Häuser in zwei Jahren wegwerfen.“

Der bisher unbekannte Investor raubt dem für Baumaßnahmen zuständigen Amtsdirektor von Fürstenberg, Raimund Aymanns, schon seit Monaten den Schlaf. „Mit den Denkmalschutzauflagen können wir eine Hühnerhaltung verhindern“, sagt er, „aber den Eigentümern doch nicht Würstchengrillen neben dem KZ und hübsche Parties verbieten.“ Das mißglückte Supermarktprojekt, das in Ravensbrück vor drei Jahren für Aufregung sorgte, stecke den Fürstenbergern noch in den Knochen, behauptet er, „und der war nicht 20 sondern 800 Meter von der Mahn- und Gedenkstätte geplant“. Könnte er, wie er wollte, so Aymanns, würde er deshalb jedes „gemütliche Wohnen im KZ“ verhindern. Auch für Wanda Poltowska, die in Ravensbrück medizinische Experimente erleiden mußte, wäre dieses „gemütliche Wohnen“ eine grausame Vorstellung: „Wenn das passiert, dann hat Deutschland keine Seele mehr.“