Kindermund und Politjargon

■ "Keine Zukunft ohne uns": Am Tag des Kindes besuchten Schüler acht Senatsverwaltungen / Enttäuschung über Worthülsen und leere Versprechungen

Irritiert musterte die Sekretärin den ungewohnten Besuch. Doch die etwa sechzig Kinder kümmerten sich nicht darum und drängten sich ins Büro ihres Chefs, dem Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung. Was er dagegen tun wolle, daß im Wedding auf einer Kinderfarm eine Grundschule gebaut werden soll, obwohl es gleich nebenan ein nur wenig genutztes Parkhaus gebe, wollte die zwölfjährige Anna von Volker Hassemer wissen. Dafür sei die Bezirksverwaltung zuständig, aber vielleicht könne von dem Parkhaus ja eine Etage für die Kinder freigeräumt werden, schlug Hassemer den Kindern mit ernstem Gesicht vor.

Dieser wirklich unkonventionelle Vorschlag verschlug den zuvor noch aufgeweckt wirkenden Kids fast die Sprache. Die Enttäuschung wurde allerdings noch größer als die vom Projekt „Kids beraten den Senator“ organisierte Fahrt zur Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport ging.

Hier fand Staatssekretär Günter Bock auf alle Fragen seiner jungen Besucher ebenso einfache wie unbefriedigende Antworten. „Können Sie nicht mehr Geld für neue Schulbücher bewilligen?“ wollten die Kinder wissen. Antwort: Erst sollten die Kinder einmal ordentlich mit den Büchern umgehen. „Warum haben wir freitags bis zur 7. Stunde Unterricht?“ Antwort: „Ihr habt doch schon am Samstag frei.“ Warum müssen sich in Ostberlin drei Schulen eine Turnhalle teilen? Antwort: „40 Jahre Mißwirtschaft können nicht so schnell aufgeholt werden.“

Die Kinder hinterließen ihren Kommentar zu dem unbefriedigenden Besuch in bunter Kreideschrift gleich vor der Haustür: „Ihr quatscht alle Scheiße.“

Dabei waren die Schüler um sieben Uhr morgens noch hochmotiviert am Bahnhof Zoo gestartet. Denn nicht alle Tage haben sie die Möglichkeit, ihren Frust direkt vor Ort vorzutragen. Zum Tag des Kindes hatten die Pädagogen von „Kids beraten den Senat“ interessierte Schüler von Kinder- und Jugendeinrichtungen eingeladen, acht Senatsverwaltungen zu besuchen.

Auch die dritte Station, die Senatsverwaltung für Finanzen, konnte die Kinder nicht mehr besonders aufmuntern. Vor allem nicht, nachdem ihnen ein stämmiger Türsteher die Fahrt mit dem Paternoster verweigerte. Dabei wäre sie vielleicht das interessanteste Ereignis dort gewesen. Immerhin gab sich Abteilungsleiter Joachim Wöllnitz in seinem hoffnungslos überfüllten Büro, in dem bald alle Fensterbänke belegt waren und die ersten Gegenstände vom Schreibtisch rollten, Mühe, die Ruhe zu bewahren und den Kindern in einfachen Worten die Aufgaben seiner Verwaltung nahezubringen.

Allerdings konnte auch er nicht genau erklären, wozu man überhaupt Geld braucht. Die Kinder hörten auch hier wieder vertraute Antworten, und viele Fragen blieben unbeantwortet. Schließlich sei der Senator der politisch Verantwortliche. Geld für kindgerechte Projekte gebe es unter anderem wegen der Wiedervereinigung viel zuwenig. „Dann bauen Sie doch die Mauer wieder auf“, maulten vor allem Kinder aus Ostberlin, die sich langsam persönlich beleidigt fühlten.

Als die Politiker aufschreiben sollten, was sie sich für die Kinder wünschen und selbst dazu beitragen würden, zeigten sie sich nur begrenzt originell. Dem Umweltsenator würde es gefallen, wenn keine Kinder aus Berlin wegziehen, und verpflichtete sich, in seiner Arbeit einen Beitrag dafür zu leisten. Der Staatssekretär wünschte sich Frieden für die Kinder und versprach, entsprechend zu handeln. Abteilungsleiter Wöllnitz hoffte, daß die Kids in einer lebenswerten Umwelt aufwachsen. Er gab sein Wort, bei seinem Chef ein gutes Wort dafür einzulegen.

Die Senatsverwaltung für Jugend und Familie gehörte seltsamerweise nicht zum Besuchsprogramm der Schüler unter dem Motto „Keine Zukunft ohne uns“. Jugendsenator Thomas Krüger hatte keine Zeit für seine junge Klientel. Dafür ließ er sich bei der Abschlulßfete auf dem Kinderfest in Lichtenberg blicken. Christiane Badenberg