Steher und Rutscher

Bei der WM der behinderten Volleyballer geht es um Medaillen und den Nachwuchs  ■ Von Ralf Köpke

Bottrop (taz) – Warum der Fußballsport in Bottrop nie eine richtige Chance hatte, ist für Ehrenbürger August Everding (Generalintendant des Bayerischen Staatstheaters in München) eine ausgemachte Sache: „Schalke ist zu nah.“ Wie wahr, der VfB Bottrop, der einst in der Oberliga mitkickte, dümpelt heute in der Landesliga herum.

Volleyball bringt man viel eher mit der Bergbaustadt in Verbindung. 15 Jahre lang, bis zuletzt 1992, wurde hier der „Deutschland-Cup“, eines der wichtigsten Turniere des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), ausgetragen. Von der eigens umgebauten Halle profitiert jetzt der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS), der vom 6. bis 11. Juni die Weltmeisterschaft der Stand- und Sitzvolleyballer ausrichtet. Im Vergleich zum herkömmlichen Volleyballspiel sind beim Standvolleyball die Regeln identisch, während im Sitzvolleyball das Spielfeld verkleinert ist und die Netzhöhe lediglich 1,15 Meter beträgt.

Insgesamt 18 Mannschaften – zehn im Sitzvolleyball und acht im Standvolleyball – reisen in Richtung Ruhrgebiet. Dabei gelten vor allem die DBS-Standvolleyballer als hohe Favoriten. Als amtierender Europa-, Weltmeister und Paralympics-Sieger hat das Team um Trainer Athanasios Papageorgiou in den letzten Jahren alle Konkurrenten gleich mehrfach geschlagen und ist damit seit Mitte der achtziger Jahre die weltweit erfolgreichste Nationalmannschaft. Der einzige Wermutstropfen liegt drei Jahre zurück, als das EM-Finale im Tie-Break gegen die polnische Mannschaft verlorenging.

„Alles andere als der vierte WM-Titel in Folge wäre schon eine Enttäuschung“, sagt der Nagolder Bernd Heinrich zu den WM-Zielen. Der 84fache Nationalspieler gehört seit Jahren zu der „Stamm- Sechs“ von Bundestrainer Papageorgiou, der den Spielen vor heimischer Kulisse eher mit gemischten Gefühlen entgegensieht: „Ich weiß nicht, wie meine Spieler reagieren, wenn Eltern, Freunde oder die Freundin auf der Tribüne sitzen.“ Bisher seien alle großen Erfolge im Ausland errungen worden. Eine andere Aussage von dem erfahrenen Trainer, der unter anderem bei den Nichtbehinderten den TSV Bayer Leverkusen Ende der achtziger Jahre zu Meister- und Pokalsieg führte, wäre auch eine Überraschung gewesen.

Karl-Josef Weißenfels, der in Leverkusens Meister-Mannschaft von 1978 mitspielte und seit einem Motorradunfall bei den behinderten Volleyballern aktiv ist, will als Manager des DBS-Teams die WM-Bühne nutzen, um neue Sponsoren zu gewinnen. Denn mit den 20.000 Mark, die der Deutsche Behinderten-Sportverband jährlich an die Volleyballer überweist, ist längst keine angemessene Vorbereitung mehr möglich. Mit einem Geldinstitut aus Leverkusen konnten die Standvolleyballer 1993 schon den ersten Sponsorenvertrag abschließen: „Wir hoffen natürlich, mit der WM im eigenen Land unsere Sportart bekannter zu machen“, wünscht sich Weißenfels. Sowohl von einem Platz auf dem Treppchen bei der WM in Bottrop als auch von Sponsoren kann Frank-Thomas Hartleb, Bundestrainer der Sitzvolleyballer, nur träumen. Seit Jahren kommen die „Rutscher“, so ihre Bezeichnung in Fachkreisen, nicht aus dem Schatten der weitaus erfolgreicheren Standvolleyballer heraus. Mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Paralympics in Barcelona 1992 gelang den DBS- Sitzvolleyballern immerhin ein Achtungserfolg. Hartleb hofft deshalb, in Bottrop vor allem Nachwuchswerbung machen zu können. Denn weder die Wiedervereinigung noch der Aufbau von Ländermannschaften in den fünf neuen Bundesländern hat die Zahl der aktiven Sitzvolleyballer hierzulande wesentlich erhöht: „So an die zweihundert Spieler dürften wir bundesweit wohl sein.“

Hartlebs WM-Ziele sind denn auch eher bescheiden: Wenn's mit der Medaille nicht klappen sollte, dafür aber neue Interessenten gewonnen werden könnten, dann wäre diese Weltmeisterschaft für Hartleb auch schon ein „Hit“. Ein Hit wäre auch die Gründung einer Volleyballmannschaft für Behinderte in Bottrop, denn die fehlt seit Jahren in der selbsternannten Volleyball-Hauptstadt.