: „Die Amsterdamer Kripo stinkt nach Korruption“
■ Zwei Minister zurückgetreten / Fortschritte bei den Koalitionsverhandlungen
Berlin (taz) – Nach dem Rücktritt des christdemokratischen Justizministers Ernst Hirsch Ballin sowie des sozialdemokratischen Innenministers Ed van Thijn vom vergangenen Wochenende deutet sich in den Niederlanden ein Fortschritt der Koalitionsverhandlungen an: Die Parteiführer der sozialdemokratischen PvdA sowie der rechtsliberalen VVD und der linksliberalen „Demokraten 66“, die bei den Wahlen am 3. Mai zusammen 59 Prozent der Stimmen erhielten, äußerten sich nach den Ministerrücktritten optimistisch über die Bildung einer Koalition bis Ende Juni. Sollten die Verhandlungen erfolgreich sein, könnte die neue Regierung im Juli die bisherige Koalition aus Christdemokraten und PvdA ablösen.
Mehrere Korruptionsfälle in einer Spezialeinheit der Kriminalpolizei (IRT) hatten die beiden Minister zu Fall gebracht. Die Machenschaften des IRT, das 1988 zum Kampf gegen die Organisierte Kriminalität in Nord-Holland und Utrecht gegründet worden war und seinen Haupsitz in Amsterdam hat, sorgen seit Monaten für Querelen im Parlament. Bereits im vergangenen Jahr äußerte der Vorsitzende der niederländischen Polizeivereinigung (NPB), Hans van Duijn, öffentlich, die oberen Etagen der Amsterdamer Kriminalpolizei „stinken nach Korruption“ und wurschtelten in einem „Machtvakuum“ vor sich hin. Die Amsterdamer Kripo, die innerhalb des Teams zur Zusammenarbeit mit anderen Städten und Gemeinden aufgefordert sei, handle eigenmächtig und unkooperativ.
Der Ende März zur Untersuchung der Vorwürfe vorgelegte „Wierenga-Report“ liest sich, so höhnt die niederländische Presse, wie ein „spannender Jungenroman“ und steckt voller peinlicher Enthüllungen. So hätten Mitglieder des IRT kriminelle Informanten innerhalb der Haschischhändlerszene nicht nur angeworben, sondern auch noch zur Anstiftung zum Kokainschmuggel überredet, um anschließend den Ring auffliegen zu lassen und höhere Gefängnisstrafen verhängen zu können. Tips zu einem geplanten Mordanschlag auf einen Drogenhändler in Alkmaar wurden geflissentlich übersehen, der Mann ist inzwischen tot. Bei der Enttarnung eines Drogenringes verweigerte die Kripo-Führungsetage jede Information an die Grenzbehörden, um die Lorbeeren für den Fahndungserfolg alleine einzuheimsen. In anderen Fällen wurde die Staatsanwaltschaft in die Irre geführt.
Spätestens seit der Veröffentlichung des Berichts gilt es in den Niederlanden als Binsenweisheit, daß mindestens die Amsterdamer Kripo sich bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität oft nicht an gesetzliche Grenzen hält. Über Amsterdam als „eigene Republik, wo selbst die Polizei aus selbstsüchtigen Anarchisten besteht“, höhnte dann auch die Wochenzeitung Vrij Nederland.
Weder Justizminister Hirsch Ballin noch Innenminister Van Thijn, der bis Dezember vergangenen Jahres Bürgermeister in Amsterdam war, sahen sich bisher genötigt, personelle Konsequenzen aus der Affäre zu ziehen, obwohl die Opposition bereits seit längerem auf ihren Rücktritt gedrängt hatte. Statt dessen versäumten sie es über einen Monat, eine Stellungnahme zu veröffentlichen. Später hieß es, die Spezialeinheiten sollten umstrukturiert werden, Hauptkommissar Nordholt, einer der Hauptverantwortlichen in Amsterdam, solle allerdings im Amt bleiben. Ferner sollten Polizeiaktionen stärker kontrolliert und das Verhältnis zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft geklärt werden.
Zur Umsetzung der Reformen werden die Minister nun nicht mehr kommen: Die neue Sitzverteilung in der Zweiten Kammer nutzte die (ehemalige) Opposition zur Durchsetzung eines Antrags, der beiden Ministern jegliche Zuständigkeit für alle Belange, die das IRT betreffen, entzieht. Dies kam praktisch einem Mißtrauensvotum gleich und ließ den Ministern nur die Möglichkeit des späten Rückzugs. Jeannette Goddar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen