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Schlechte Chancen für Steakliebhaber

■ Interview mit der hessischen Landtagsabgeordneten Irene Soltwedel über die Vorschläge der Europäischen Union zur Bekämpfung des Rinderwahnsinns

Irene Soltwedel (Bündnis 90/ Grüne) war im hessischen Landtag Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses und ist Kandidatin für das Europaparlament

taz: Die EU will prüfen lassen, ob ein Verbot der Verfütterung von Tiermehlen ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Ausbreitung von BSE, bekannt als Rinderwahnsinn, sein könnte. Ein „schwammiger Beschluß“ im Kampf gegen die Seuche?

Irene Soltwedel: Daß sich die EU endlich mit dem Thema beschäftigt, ist zu begrüßen. Allerdings reagiert die EU mit einer Zeitverzögerung von fünf Jahren. Und noch dazu sind die Beschlüsse mehr als halbherzig und längst nicht ausreichend. Auch weil die EU jahrelang geschlafen hat, konnte sich der BSE-Erreger europaweit ausbreiten. Kadavermehle gehören generell nicht in den Nahrungsmittelkreislauf. Sollte jetzt tatsächlich in Brüssel beschlossen werden, daß ausschließlich Rinder nicht mehr mit Tiermehlen gefüttert werden dürfen, dann wäre das eine inkonsequente Entscheidung. Denn auch bei Schweinen, Hühnern und Fischen sind Mehle aus Tierkadavern längst zum Grundnahrungsmittel geworden.

Was sollte dann zur Bekämpfung der Rinderseuche geschehen?

Der wichtigste Schritt, die Ausbreitung der BSE-Erreger und damit auch die Übertragung auf den Menschen zu verhindern, wäre ein umfassendes Verbot der Tierfütterung mit Tiermehlen und Tierfetten. Weiter müßte sofort EU-weit ein Importverbot für britische Rinder und auch für Kälber und für britisches Rindfleisch beschlossen werden. In Deutschland müssen auf Länderebene neue Bestimmungen für die Tierkadaverbeseitigung her: Aus Kadavern darf kein Tiermehl mehr hergestellt werden.

Bundesgesundheitsminister Seehofer hat sich für ein solches Importverbot eingesetzt. Was erwarten Sie von Seehofer, wenn sich heute in Brüssel die EU-Gesundheitsminister zu Beratungen zum Thema Rinderwahnsinn treffen?

Seehofer hat einmal gesagt, daß die BSE-Seuche mit Aids zu vergleichen sei. Es könne zu einer europaweiten Katastrophe mit tödlichen Folgen für die Bevölkerung kommen. Wenn Seehofer das ernst gemeint hat (und davon gehe ich aus), dann muß er auch den Alleingang wagen, falls andere Länder weiter entschiedene Maßnahmen abblocken sollten. Zu den notwendigen Sofortmaßnahmen gehört auch die umgehende Suche nach Ersatzstoffen für aus Rinderinnereien gewonnene Arzneimittel oder Kosmetika.

Dann begrüßen Sie, daß die Hoechst AG seit Dienstag Insulin gentechnologisch herstellen darf und auf die Ausschlachtung der mit Tiermehlen gefütterten Schweine verzichten kann?

Das ist jetzt aber eine besonders fiese Frage an eine Grüne. Ich weiß auch erst seit zwei Tagen, daß in Gießen ein grüner Regierungspräsident diese Gen-Tech-Anlage der Hoechst AG mit genehmigt hat. Ich glaube allerdings, daß man auch ohne den Einsatz der Gentechnologie Ersatzstoffe finden oder neu entwickeln kann.

Welche Chance hat denn der Verbraucher, der sich noch nicht ausschließlich vegetarisch ernährt, den Genuß von Rindfleisch aus England zu vermeiden?

Überhaupt keine, wenn er weiter Steaks essen will. Es sei denn, er läßt sich im Lokal – oder von seinem Metzger – das Zuchtbuch vorlegen. Es geht aber längst nicht mehr nur um England. Fälle von BSE wurden in Dänemark, Irland und neuerdings ja auch in Deutschland bekannt.

Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt

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