Schlußlicht bei der Armutsbekämpfung

Deutschland leistet von 15 Industrieländern den geringsten Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse auf der Südhalbkugel / Imageverbesserung auf dem Papier  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Die Bundesregierung drohte, schon zugesagte Überweisungen zu stornieren – und hatte Erfolg. In letzter Minute wurde eine Statistik im „Bericht über die menschliche Entwicklung 1994“ des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP) relativiert, bevor er in Genf, Bonn und New York an die Öffentlichkeit ging.

Dem Bericht zufolge sind die Militärausgaben weltweit seit 1987 jährlich um 3,6 Prozent gesunken. Doch wurde die dadurch angefallene „Friedensdividende“ in Höhe von rund 935 Milliarden US-Dollar weder in den nördlichen Industriestaaten noch in den Ländern des Südens zur Verbesserung der Lebensbedingungen oder der Umwelt eingesetzt. Die UNDP schlägt deshalb vor, die Summe von 460 Milliarden US-Dollar, die im Falle einer weiteren Reduzierung der Militärausgaben um jährlich drei Prozent bis zum Jahr 2000 zu erwarten sei, „auf dem Weltsozial- Gipfel der UNO 1995 in Kopenhagen festzuschreiben und sie in eine verbesserte menschliche Entwicklung zu leiten“.

Die Einwände des Bonner Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gegen den Bericht bezogen sich auf eine Statistik über „Schwerpunkte menschlicher Entwicklung in bilateralen Hilfszuweisungen“ der Industriestaaten an Länder des Südens (S. 85, Tabelle 4.4.). Demnach liegt Deutschland an letzter Stelle unter den 15 untersuchten Industrienationen. Lediglich 2,1 Prozent aller bilateral vergebenen deutschen Hilfsausgaben gehen in die von der UNDP als „armutsrelevant“ definierten „vorrangigen Bereiche menschlicher Entwicklung“. An der Spitze liegt Dänemark mit 25 Prozent vor Norwegen (17,9), der Schweiz (14,9) und den Niederlanden (13,8). Als vorrangig definiert die UNDP: elementare Bildung, Basis-Gesundheitsdienste, sauberes Trinkwasser, ausreichende Sanitäreinrichtungen, Familienplanung und Ernährungsprogramme.

Dennoch sah die Bundesregierung die deutschen Leistungen durch diese Statistik in ein schiefes Licht gerückt. Die Datenbasis sei unvollständig, monierte das BMZ in einer gestern in Bonn verteilten Pressemitteilung. „Lediglich 20 bis 25 Prozent aller bilateralen Leistungen“ würden in der Statistik „berücksichtigt, und zwar ausschließlich rückzahlbare Kredite“. Die Bundesregierung möchte ihre Hilfsleistungen für Straßenbau und andere Infrastruktur-Maßnahmen, ihre Beiträge zu multilateralen Hilfsprogrammen oder die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stärker gewürdigt sehen. Als die englische, französische und spanische Fassung des Berichts bereits gedruckt waren, drohten die Regierungsvertreter aus Bonn der UNDP bereits zugesagte 50.000 US-Dollar für die Herstellung und Übersetzung des 94er Berichtes nicht zu überweisen. Außerdem wurde damit gedroht, den deutschen Jahresbeitrag an die UNDP von derzeit 84 Millionen US-Dollar zu kürzen.

Daraufhin wurde der Druck der deutschen Fassung des Berichtes unterbrochen und in dessen statistsichem Anhang (Seite 225) eine Erläuterung hinzugefügt. Darin wird darauf hingewiesen, daß die von Bonn kritisierte Tabelle weder multilaterale Hilfsleistungen berücksichtige noch Finanzleistungen, die an Nichtregierungsorganisationen gezahlt werden. Auch Schenkungen, die anders als Kredite nicht an die Geberländer zurückgezahlt werden müssen, seien unter den Tisch gefallen.

Selbst bei anderer Datenbasis schlechtes Bild

In der UNDP hat diese Art der Intervention nicht gerade die Bereitschaft erhöht, die New Yorker UNDP-Zentrale mit ihren knapp 2.000 MitarbeiterInen 1998 an den Rhein zu verlegen, so wie es in Bonn gewünscht wird.

Bei der Erstellung des Berichtes werden alle Industriestaaten nach den gleichen Kriterien bewertet – und zwar auf Basis der von ihnen selber an die UNDP oder die OECD übermittelten Daten. Kein anderer der untersuchten Industriestaaten hat sich bei der UNDP über seine Plazierung in der Tabelle beschwert. Dabei liegen auch Japan (3,4 Prozent, Platz 13), Frankreich (3,4, Platz 12) und Großbritannien (6,6, Platz 11) im unteren Drittel der Tabelle.

Schon in den UNDP-Berichten der letzten beiden Jahre war Deutschland Schlußlicht. Die Welthungerhilfe und Terre des hommes kritisierten jedesmal, daß Deutschland völlig unzureichende „armutsrelevante“ Hilfe leiste.

Nach einer Untersuchung der Unicef würde aber auch bei einer Berücksichtigung aller multilateralen oder an NGOs geleisteten Hilfen der Anteil der „armutsrelevanten“ Leistungen Bonns lediglich von 2,1 auf etwa 4 Prozent wachsen. Der Präsident der Nord-Süd- Organisation Germanwatch, Holger Baum, äußerte gestern den Verdacht, daß die Bundesregierung aus Wahlkampfgründen um ihr Image besorgt gewesen sei und deshalb so massiv interveniert habe.