: Muß ein neuer Ofen wirklich her?
■ Die Zweifel an den Müllkalkulationen des Senats wachsen: Der Ausstieg aus Schönberg ist auch ohne weitere MVA möglich Von Florian Marten
„Die Stadt wird auf die geplante Müllverbrennungsanlage verzichten. Wir haben unsere Abfallmengen von 1,2 Millionen Tonnen im Jahr 1989 auf 840.000 Tonnen im Jahr 1994 reduziert. 1995 werden wir den Abfallberg auf 710.000 Tonnen abgeschmolzen haben.“ Mit stolzgeschwellter Brust verkündete Münchens grüner Umweltreferent Gerhard Welsch am 18. Mai vor den bayerischen Hauptstadtmedien seinen bislang größten Erfolg. Auf die ursprünglich geplante zusätzliche Müllverbrennungsanlage (MVA) in München-Süd, Kostenpunkt: 800 Millionen Mark, kann verzichtet werden. Weitere 280 Millionen Mark, so Welsch, spare die Stadt, weil die Deponie Nord-West bis weit über das Jahr 2000 ausreiche. Die wegen der hohen Kosten für die Müllverbrennung explodierten Müllgebühren, so versprach Welsch, würden in Zukunft nur noch ganz geringfügig steigen: „Wiederverwertung und Müllvermeidung sind nicht umsonst zu haben – doch weitaus günstiger, als wenn wir München-Süd hätten bauen müssen.“
Müllerfolge auch im rot-grünen Zürich: Mit einem lachenden und einem weinenden Auge gaben Zürichs Müllchefs im April bekannt, daß sie die Gebühren für Kehrichtsäcke auf 3 Mark verdoppeln müssen. Der Grund: Das neue Zürcher Müllsammel-System wurde ein derart durchschlagender Erfolg, daß die Verbrennungsanlagen nicht mehr ausgelastet sind. Nach der Umstellung von Mülltonnen auf Müllsäcke ging das Hausmüllaufkommen innerhalb eines Jahres um nie erwartete 25 Prozent zurück. Neben einer Haushaltsgrundgebühr zahlen die Zürcher über die Sackgebühren nur noch für die Müllmenge, die sie tatsächlich erzeugen.
Der Oberbürgermeister von Augsburg dagegen hat derzeit kaum noch eine ruhige Nacht. Sein Geschenk an die Bürger der alten Handelsmetropole stiftet derzeit nur Ärger: Augsburgs nagelneue Müllverbrennungsanlage funktioniert nicht recht, bekommt den Schadstoffausstoß nicht in den Griff und ist im müllsensibilisierten Bayern, wo die Bürger per Volksbegehren eine Verschärfung der Müllgesetzgebung durchsetzen konnten, eine ständige Lachnummer für Medien und Stammtische.
Hamburgs Müllpolitiker reagieren auf derlei Hinweise offiziell zunächst mit einem müden, aber freundlichen Lächeln: Hamburg sei eben nicht Augsburg, Zürich oder München. Hinter den Kulissen gibt man sich ehrlicher: Hamburgs Müll- und Umweltsenator Fritz Vahrenholt hält nun mal aus tiefster Überzeugung Müllverbrennung für die sauberste Sache. Zudem ist er es leid, ständig mit Schleswig-Holstein um Deponiefläche zu feilschen. Und schließlich, so die trockene Rechnung des Senats: Eine neue MVA kostet das Stadtsäckel nichts – der Bürgern bezahlt sie per Gebühren.
Während Vahrenholts Vorgänger Jörg Kuhbier, heute SPD-Parteichef, die Müll-Reduzierung zum obersten Ziel seiner Abfallpolitik erklärte, geht es Vahrenholt vor allem um eine „sichere Entsorgung“. Daß die MVA Neuhof/Altenwerder von ihrer Kapazität viel zu groß ausgelegt ist, bei einem durchgreifenden Erfolg städtischer Müllpolitik sogar gänzlich überflüssig sein könnte, wird dabei gar nicht bestritten. Aber: „Wenn wir die Anlage mit eigenem Müll nicht auslasten, können wir immer noch Fremdmüll verbrennen“, so ein hochrangiger Müllplaner zur taz. Müllexperten warnen inzwischen jedoch, es könne angesichts des deutschen Baubooms neuer MVAs schon bald zu erheblichen Überkapazitäten in der Müllverbrennung kommen.
Interne Müllprognosen der Umweltbehörde verstärken denn auch den Verdacht, es gehe nicht um die Frage, ob man auf die MVA Neuhof verzichten kann, sondern lediglich darum, ob man auf diesen bequemen, vom Bürger bezahlten Müllweg verzichten will: Nach Informationen der taz wird die Müll-Lücke nach Behörden-Schätzungen bald bei allenfalls 70.000 Tonnen liegen, die – eine etwas aktivere Müllpolitik vorausgesetzt – durchaus noch per Vermeidung und Wiederverwertung zu schließen wäre (München & Co. lassen grüßen).
Die heute jährlich noch rund 950.000 Tonnen Hausmüll, Geschäftsmüll, Sperrmüll und Gewerbemüll sollen auf bald nur noch 820.000 Tonnen absinken. Für diesen Müllberg stände dann eine „Entsorgungs“-Kapazität von 750.000 bis 780.000 Tonnen bereit: 320.000 in der MVA Borsigstraße, 160.000 in der MVA Stellingen, 200.000 in Stapelfeld und 70.000 bis 100.000 in Kompostwerken.
Umso erstaunlicher, daß die Umweltbehörde für diese Lücke von 40.000 bis 70.000 Tonnen eine MVA mit einer Kapazität von satten 240.000 Tonnen (Planung Neuhof) bauen will. Im Hause Vahrenholt heißt es dazu entschuldigend: Es sei schließlich nicht sicher, ob es überhaupt gelinge, die Müllberge weiter zu reduzieren. Und: „Reservekapaziät ist nie verkehrt.“ Allerdings: In Sorge, ob Hamburgs BürgerInnen die MVA-Pläne gänzlich zu Fall bringen, hat die Umweltbehörde ihre Fühler schon wieder Richtung Schönberg ausgestreckt, um die Müllverträge über die bisherige Vertragsdauer (Ende 1997) hinaus zu verlängern.
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