Die tiefe Angst der Behörde vor dem gezielten Eierwurf

■ Nach der Gänsemarkt-Randale: Hamburgs Dauer-Pleiten mit den Greiftrupps Von Kai von Appen

Der Polizeieinsatz bei der Kundgebung des „Bundes Freier Bürger“ am Montag auf dem Gänsemarkt hat polizeiintern zu einem heftigen Grundsatzstreit über den Einsatz ziviler Greiftrupps in Demos geführt. Während Polizeihardliner das Vorgehen verteidigen – „es war gerechtfertigt, schließlich sind Straftaten begangen und die Beamten bei Festnahmeversuchen massiv angegriffen worden“ – gibt es auch intern heftige Manöverkritik. Ein Polizeioffizier: „So etwas darf und wird es nicht noch einmal geben.“

Es ist nicht die erste Polizeiaktion dieser Art in diesem Jahr. Auch während der DGB-Kundgebung mit SPD-Chef Rudolf Scharping am 1. Mai hatten sich rund 40 ZivilbeamtInnen „unters Volk“ gemischt. 4000 Menschen füllten den Platz, zuviel für einen Rundumschlag. Als Eier flogen, mußten die „Zivis“ sich damit begnügen, einige „Krachmacher“ mit „Elektroschockern“ am Lärmen zu hindern. „Die Vorfälle am Gänsemarkt waren wohl das Resultat des Scharping-Auftritts. Man wollte Eierwürfe nicht noch einmal zulassen und hat die Lage falsch eingeschätzt“, so ein Polizei-Insider. Daher seien die Ziviltrupps wohl außer Kontrolle geraten. „Da saß wohl noch der Frust vom 1. Mai in den Knochen.“ Eine BereitschaftspolizistIn beschreibt die Randale so: „Die Zivilkollegen sind völlig ausgeflippt. Wir mußten richtig dazwischen gehen, sonst hätte es noch mehr verletzte Störer gegeben“.

Gehört der Einsatz von zivilen Greiftrupps zu einer neuen Polizeikonzeption? Polizeipressesprecher Werner Jantosch mauert: „Nein, der Einsatzleiter, Herr Peters, hat in diesem Fall ein derartiges Vorgehen angeordnet.“ In der Tat ist der Einsatz von zivilen Greiftrupps nur eine Neuauflage alter, bereits gescheiterter Taktiken. Eine Polizei-psychologin aus Nordrhein-Westfalen zur taz: „Derartige Einsatzkonzepte gelten schon lange als antiquiert, weil sie schon im Ansatz auf Eskalation angelegt sind.“

Am Gänsemarkt saß den Polizisten wohl noch der Frust vom 1. Mai in den Knochen

Schon Ende der siebziger Jahre hatte es zivile Greiftrupps gegeben. Sie waren als Antwort auf militante Anti-AKW-Demonstrationen aufgestellt worden, um „aus der Menge heraus“ Strafverfolgung zu betreiben. Diese Festnahmezüge gerieten schnell in die Schlagzeilen: So hatten sich viele BeamtInnen Eigenbewaffnung – lange Knüppel und kiezübliche Handschlaginstrumente – zugelegt. Die zivilen Festnahmezüge der Hamburger Polizeidirektionen Mitte und West wurden bereits 1983 wieder aufgelöst: Während der Springer-Blockade durch die Friedensbewegung mußte gegen mehrere Beamte wegen Körperverletzung im Amt ermittelt werden, weil diese gegen die ProtestlerInnen zu brutal vorgegangen waren. Beispiel: Eine Zivilfahnderin hatte bei einem Festnahmeversuch einem Mann beinahe das Rückgrat gebrochen, als sie dem am Boden liegenden Opfer mit ihren Stiefelabsätzen in den Rücken sprang.

Aufgrund dieser Erfahrungen mit Ziviltrupps baute die Polizei alsdann die sogenannten „Einsatzzüge“ auf. Jede Direktion bekam eine 20köpfige Truppe, die bei „Großlagen“ oder Demonstrationen als eine Art polizeiliche Feuerwehr eingesetzt wurden. Ziel war die „Strafverfolgung durch schnelle mutige Sprinter in Uniform“. Auch diese Trupps erwiesen sich als Flop – insbesondere der Einsatzzug Mitte geriet wegen rechtsradikaler Tendenzen und Prügelorgien in die Kritik. Während des Hamburger Kessels 1986 griffen die Beamten einen Solidaritäts-Taxikonvoi und demolierten 20 Droschken. Keiner der Schläger wurde belangt, weil sich die Beamten gegenseitig deckten.

1988 setzte die Innenbehörde in ihrem Kampf gegen die linke Szene auf eine neue Variante: An den Revieren 15, 16 und 21 wurden sogenannte „E“-Schichten aufgebaut. In St. Pauli (Hafenstraße), Ottensen (Quarree) und Schanzenviertel (Rote Flora) sollten 20 Personen umfassende „E-Schicht“-Trupps in Zivil mit besonderen Milieukenntnissen die „militante Szene“ bekämpfen.

Auch die E-Schichten mit den besonderen Milieukenntnissen gerieten außer Kontrolle

Auch diese Trupps gerieten außer Kontrolle: Mehrfach wurden Menschen brutal verletzt. Obwohl zivilrechtlich die Polizei mehrmals Schadensersatz an die Opfer zahlen mußte, konnte trotz 200 Strafanzeigen nie ein Täter ermittelt werden. Erst nachdem Amnesty International im vorigen Jahr „Menschenrechtsverletzungen“ durch E-Schichten anprangerte, verfügte Innensenator Werner Hackmann vor wenigen Wochen die Auflösung der Prügeltrupps. Begründung: „Sparmaßnahmen.“

1990 machte die Polizei Experimente. Devise: Strafverfolgung bei Demos ohne Eskalation. Es wurde die Einheit „942“ aufgebaut, die Beamten operierten auf drei Ebenen.

Von außen beobachteten und dokumentierten uniformierte Fahnder mögliche Straftäter. In der Demo hefteten sich ZivilbeamtInnen den Zielperson an die Fersen, Die Festnahme erfolgte auf ihre Weisung wiederum durch Uniformierte fernab vom Geschehen und möglicherweise erst Stunden später. Diese Konzeption ist nun offensichtlich fallengelassen worden. Grund: Die Taktik ist sehr personalintensiv, die „Ausbeute“ war nur gering.

Somit war die neuerliche Greiftrupp-Pleite durch den Rückgriff auf eine „neue alte“ Konzeption programmiert. Eine Polizeipsychologin gegenüber der taz: „Das Problem solcher Einheiten ist immer, daß bei den oft jungen Beamtinnen und Beamten wegen ihres Sonderauftrages, ihrer Sonderstellung und -erscheinung schnell ein Elitedenken entsteht. In Streßsituationen verlieren die Unerfahrenen aber oft die Kontrolle, flippen regelrecht aus – und dann kommt es wegen der Überreaktionen zur Eskalation.“

Die Polizei-Psychologin plädiert deswegen dafür, generell vom Greiftrupp-Einsatz in der Menge abzusehen: „Jeder Einsatzleiter hat das Recht und die Pflicht, die Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Gerade die Hamburger Ereignisse haben gezeigt, daß es unverantwortlich ist, derartige Auseinandersetzungen, die Verletzungen von unschuldigen Demonstranten und auch von Beamten in Kauf zu nehmen, um ein paar Eierwerfer zu fassen“.