Und Evas Apfelbäckchen glühten

Bald in Treptow: Mit einer Benefizgala feierte das Tempodrom die Zukunft  ■ Von Torsten Schmitz

Die Radfahrerin wird aus den Plakaten nicht schlau. Auf ihnen steht „Die Zukunft!“ und „2. Juni“. So wendet sie sich an fünf Männer am Entree des Tempodroms, die ihre Muskeln spielen lassen, als käme in fünf Minuten der Papst. „Was is'n hier heute los?“ Der Security-Ordner, den sie dabei anguckt, schaut hilfesuchend in die Runde. Und bittet seine Kollegen um eine „korrekte“ Antwort. Doch kollektives Achselzucken auch hier. „Ein Konzert oder so was“, sagt einer schließlich. Ein anderer weiß: „Auf jeden Fall kostet es 100 Mark Eintritt.“ Die Frau fährt fassungslos davon. „Die ham se ja wohl nicht mehr alle“, hatte sie noch gebrummelt.

Niemand weiß, wie viele Gäste die fünf Männer mit ihrer Falschmeldung noch abgeschreckt haben. Es müssen einige gewesen sein, denn so richtig voll wie sonst wurde der kulturelle Gemischtwarenladen hinter der „Schwangeren Auster“ diesmal nicht.

Tatsächlich begann Donnerstag abend gegen 19 Uhr eine furiose, dreieinhalbstündige Fundraising- Galaparty, kein schnödes Konzert. Und das Billett kostete 30 Mark, keinen Hunderter. Es war ein eigenartiger Abend, den Zelt-Boss Irene Moessinger da ausgetüftelt hatte, eine Mischung aus Requiem und Halleluja. Zum Schluß tischten sechs Froschmänner eine zwei Quadratmeter große Torte auf, in der Mitte das neue Tempodrom: ein terrestrisches Raumschiff aus Schokolade. Zum Reinbeißen.

Der Musentempel im Tiergarten soll und wird Regierungsbauten weichen. Ein neuer, wahrscheinlich in Treptow, kostet summa summarum 13 Millionen Mark. Und die will Moessinger mit Spenden und eigens gegründetem Förderverein sammeln. Deshalb die Gala und die vielen bekannten Gesichter an diesem Abend – und noch dreimal soviel normales Volk, das auf Rängen saß und von Promi-Glamour naschen wollte.

Die gute Nachricht zuerst: Die Senatoren Roloff-Momin, Hassemer und Treptows Bürgermeister (Name vergessen) schwörten an diesem Abend, das Tempodrom komme nach Treptow, Ehrenwort! Irene Moessinger, die vor 14 Jahren am Potsdamer Platz den Kulturtempel mit einer Erbschaft gründete, konnte es kaum fassen.

Aber nun der Reihe nach: Im Manegen-Rondell nimmt Lotti Huber Platz, das Gesamtkunstwerk aus „Schätzchen!“ rufender Schnauze, drei Pfund Make-up und den längsten Wimpern der Welt. Während ihre Managerin an Salzstangen knabbert und genervt ist von Journalisten, die sich respektlos ihrer Verdienstquelle nähern, diktiert Huber in den Block: Das „Tempodrom ist faszinierend“ und „sehr Berlin“ und eine „wunderbare Sache für die Stadt“. Die Verlagerung nach Treptow findet die Charlottenburgerin nicht schlimm, denn „neues Leben blüht aus den Ruinen“ (Huber: „Wer hat das noch mal gesagt? Schiller oder Goethe oder so.“)

Umgarnt von gefönten Münchner Gockeln, wühlt sich Marianne Sägebrecht durchs Gemenge in die V.I.P.-Zone. Tisch Nummer 21 dürfen sie und ihre Freunde in Beschlag nehmen. Berlin sei ihre zweite Heimat, behauptet sie. Deshalb und weil „ich und Irene Seelenschwestern sind“, hat sie ihre Dreharbeiten in Budapest unterbrochen für die One-Night-Stippvisite. Mit einer Hand kurbelt die Sägebrecht in ihren Haaren, ihre andere ruht auf meinem Handgelenk. Und sie strahlt. Denn Ate de Jong verfilmt zur Zeit Simone de Beauvoirs „Alle Männer sind sterblich“, und „ich“, wispert die Sägebrecht, „spiele wieder mal eine stille demütige Rolle: Garderobiere.“ Ein SFB-Reporter zieht sie sacht am Arm und zischt: „Die gehört jetzt mir.“ Arme Sägebrecht! Denn schon Irene Moessinger mußte sich ihre Euphorie dämpfen lassen: Die erste Frage, die ihr der SFBler stellte, war: „Was nun: Treptows Bezirksverordnete haben keine Lust aufs Tempodrom.“ Moessinger hält sich tapfer und giftet, es gebe Treptower, „die uns sehr wohl wollen“.

Zwei fette Lords mit weißen Gerichtsperücken prosten sich „cheerio!“ zu, feixen mit der Praktikantin von Radio 100,6, und im Zelt eröffnen zwölf Cellisten der Berliner Philharmonie die Soiree. Und während die Musiker ihre Instrumente streichen, schleicht sich der SFB-Reporter raus und feilt an seinem Text. Die Kopie eines Zeit- Artikels über die Hauptstadtplanung ist ihm dabei behilflich.

Als wär's das letzte Mal, explodiert im Zelt ein Feuerwerk an Kunst und Kultur. Alte Hasen (theatralisch toupiert: Romy Haag) und junge Talente (vorzüglich: Bobo and The White Wooden Houses), spritzige Selbstdarsteller und nicht ganz so witzige Komödianten. Von den versprochenen Stars kommt nur Rio Reiser nicht, denn „der ist heute irgendwie unten“. Und auch nicht Nina Hagen, denn: „Ick bin auf Tournee & kann leider nicht bei Euch sein, ick rufe aber an!“

Leo Bassi jongliert mit Händen und Füßen gleichzeitig sechs Basketbälle und rappt wie ein Irrer. Die intelligenteste Artistentruppe der Republik, GOSH, hängt schwindelfrei über den Voll- und Halb-Promis, zeigt keulenschwingend in Gaultier ähnlichen Kostümen Klamauk de Luxe. Herr Schmidt von „Familie Schmidt“ bringt den Stadtentwicklungssenator Hassemer („Hasse ma ne Million?“) in Schwulitäten, denn alle 2.000 hören ihn sagen: „Du, Volker, wir haben uns ja gestern erst in der Apollo-Sauna gesehen“, Nadja und Sabrina, beide sweet fifteen, schleudern bis zu acht Hula-Hopp- Reifen, daß Eva Quistorps Apfelbäckchen nur so glühen und die Sägebrecht sich den Schweiß von der Oberlippe tupft.

Aber wahrscheinlich tut sie das, weil sie gleich auf die Bühne muß zum Tête-à-tête mit der verkrampft-lässigen Moderatorin Juliane Bartel. Romy Haag wippt links von Sägebrecht auf der Hollywoodschaukel und weiß auf die Frage, warum ihr das Tempodrom gefalle, keine richtig spannende Antwort („Im Zelt herrscht eine bestimmte Atmosphäre“). Dafür aber Marianne Sägebrecht. Niemand zwar versteht ihre Assoziation, aber lachen ist das halbe Leben: „Das Tempodrom ist heut abend eine Gebärmutter. Bitte fest pressen!“

Irene Moessinger nuckelt im Akkord an ihrer Zigarette, der Filter: ein einziges Schwimmbad. Sie lacht sich halb tot, wimmelt Journalisten ab und will einfach nur genießen und sich begeistern lassen: „Man muß doch begeisterungsfähig sein. Wenn nicht ich, wer sonst.“

Bis dahin also ein durch und durch disziplinierter Galaabend. Doch dann – auf keinem Galaabend der Welt treten zwei je 150 Kilogramm schwere Disco-Miezen auf. Nur im Tempodrom. Und so triumphiert am Ende die Disziplinlosigkeit, die das Zirkuszelt adelt.

Die Weather Girls singen ihr „Raining Men“, was sogar den teddyhaften Kultursenator vom Hocker reißt: Er stürmt die Bühne wie ein potentieller Attentäter. Und tanzt.