Alles öko oder was?

■ Der „Homo oecologicus“ ist in Wahrheit ein Lemming

Irgendwer hat mal die These aufgestellt, das Sein bestimme das Bewußtsein. Damit lag er gar nicht einmal so verkehrt, wie eine im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) durchgeführte Studie belegt: Das „Sein“ der Deutschen ist mittlerweile offenbar in einem solchen Ausmaß von Chemieunfällen, verseuchter Nahrung, Smogalarm und Grenzwertüberschreitungen aller Art geprägt, daß sich langsam aber sicher so etwas wie ein Bewußtseinswandel bemerkbar macht. Die Mehrheit der BundesbürgerInnen vertritt inzwischen die noch vor gar nicht langer Zeit als revolutionär betrachtete Auffassung, daß „der Schutz der Umwelt wichtiger ist als wirtschaftliches Wachstum“.

Diese Erkenntnis hätte sich unter Umständen schon durch regelmäßige Stammtischbesuche gewinnen lassen, doch das Umweltbundesamt ist nun einmal ein Amt, noch dazu ein deutsches, und will deshalb alles ordentlich belegt haben. Also erging der Auftrag an Axel Billig & Partner, Volkes Stimme in Sachen Ökologie mittels sozialwissenschaftlicher Studie zu katalogisieren. Das tat man übrigens 1985 schon einmal: Das jetzt vorliegende Zahlenwerk soll diese Untersuchung fortführen und natürlich auch überprüfen, wie es in den „neuen Ländern“ mit dem Wandel vom Klassen- zum Umweltbewußtsein steht.

Das Ergebnis ist auf den ersten Blick durchaus zufriedenstellend: „Bei einem Index zum Öko-Bewußtsein der Bevölkerung, der von 1 (= wenig) bis 10 (= hoch) reicht“, so die stolze Bilanz des UBA, „ergab sich für die Deutschen der hohe Wert von 7,8.“ Dabei werden die Westdeutschen (7,64) von ihren ostdeutschen MitbürgerInnen (8,2) sogar noch übertroffen. Weltniveau.

Kaum mehr als ein Schönheitsfehler, daß Axel Billig & Partner nur die eigenen Landsleute (3.015 an der Zahl) mit ihren Fragen behelligten und ein internationaler Vergleich mithin leider entfallen muß. Wer im Kapitel „Forschungsdesign und Datenanalyse“ der Billigstudie nachliest, wie man zu der magischen Zahl kommt, verwirft diese Idee ohnedies. Die SozialforscherInnen glauben nämlich, es ließe sich „mit Hilfe des faktorenanalytischen Verfahrens ein Faktor erkennen, der als ,ökologisches Problembewußtsein‘ der Befragten interpretiert werden kann.“ Eine derart schwammige Definition zwecks länderübergreifenden Bewußtseins-Abgleichs auch noch in eine Fremdsprache zu übersetzen, dürfte sich als unmöglich erweisen.

In der Studie finden sich allerdings auch harte Fakten - zumindest für die in der wunderbaren Welt der empirischen Sozialforschung geltenden Maßstäbe. Und die belegen im Endeffekt vor allem eines: daß AutorInnen und AuftraggeberInnen der Expertise eine merkwürdige Auffassung von „Bewußtsein“ haben müssen, wenn sie dieses bei den Deutschen für so hoch entwickelt halten.

Wohl sind Verhaltensweisen, die noch vor wenigen Jahren als Auswüchse des Müslikults galten, mittlerweile gesellschaftlich anerkannt: so bekunden 47 Prozent der BundesbürgerInnen, sie wollten künftig organischen Abfall sammeln, 50 Prozent bekennen sich zur Entsorgung von Lackresten und für 49 Prozent ist „Natürlichkeit“ ein entscheidendes Kriterium beim Kauf von Nahrungsmitteln. Auch über die Qualität der Umweltpolitik macht sich kaum jemand Illusionen: Nur sechs Prozent aller Deutschen finden, für den Umweltschutz würde „alles getan, was nötig ist“. (Wirklich interessant wäre natürlich die Frage, wie diese sechs Prozent überhaupt auf eine derart aberwitzige Idee kommen.) Richtiggehend aktiv „in irgendeiner Gruppe oder Vereinigung, die Umweltschutz aktiv betreibt“, sind zum Ausgleich ebenfalls sechs Prozent, und sage und schreibe 80 Prozent beantworten die Frage, ob sie „in den letzten zwei Jahren bewußt durch eigenes Verhalten zum Umweltschutz beigetragen“ hätten mit „Ja“.

Genau so viele finden übrigens, daß unser aller Umwelt durch Autolärm und -abgase stark beeinträchtigt wird. Und die Frage: „Sind Sie bereit, zum Schutz der Umwelt einen höheren Benzinpreis zu bezahlen?“ beantworteten ebenfalls 80 Prozent aller Befragten - allerdings mit „Nein“. Der „Homo oecologicus“, den Studienautor Axel Billig in seinem Resümee als gesellschaftlichen Trend ausmacht, hat eben doch noch einiges mit den Lemmingen gemein. Jochen Siemer