Spinnkram und Brummklang

■ Das Trio „Dolche“: Apodiktische Wucht trifft klangwallbelandenen Kitsch

Die Hamburger Dolche interessieren sich für beide Seiten des Klangs. Die Industrial-Version der Sirenen-Gesänge stellt sie ebenso vor eine Aufgabe wie das Geräusch des sich an Odysseus' Trommelfellen reibenden Wachses. Olaf Boqwist, Bassist des Rossburger Reports, Johann Popp, früher Trommler der Erde, und Ando Yoo basteln zusammen höchst phantasievolle Musikstücke. Aus ihnen werden auch heute im Tanzcafé vis-à-vis des Millerntores jene drei Bestandteile klingen: Ein wie zwischendurch komponierter Spinnkram, der Hang zur „Atmosphäre“ und einige brummige Klangfarben, die zur akustischen Illustration von Tolstoi-Romanen geeignet scheinen.

Die Dolche entwickeln einen Klang, der das Herz erreicht und ab den Kniekehlen hinunterzieht. Hier sind Musiker am Werk, die keine langen Geschichten erzählen, sondern hinter sich haben. Deshalb vielleicht klingt es bei ihnen manchmal nach einer Lektion. Deren wichtigster Gehalt könnte sein: Wer erst einmal anfängt zu erzählen, der setzt sich schneller als er denkt der Ufer- und Bodenlosigkeit aus. Mit ihren Gruppen Blue Kremlin und Erde probierten Popp und Boqwist schon in den 80er Jahren ein Nebeneinander von Majestät und Romantik aus. Beide Bands führten die haarscharfe Trennung zwischen apodiktischer Wucht und klangwallbeladenem Kitsch vor. Bei den Dolchen hat sich heute der Klangwall in einen Klangwald verwandelt. Wo man auch steht, man wird das Gefühl nicht los, daß um einen herum alles mit Wachsen beschäftigt ist. Die literarisch anmutenden Ideen von „Größe“, „Elementverbundenheit“, „Mythos“ und „Bedrohung“ mögen nicht nur unter einer bemoosten Wurzel zur Erdoberfläche durchstoßen, sondern auch Topoi bezeichnen, an denen sich die Dolche abarbeiten. Im Übrigen hält sich das Trio mit Bewertungen zurück. Live kann sich da einiges entscheiden.

Kristof Schreuf

Heute, Heinz Karmers Tanzcafé, Budapester Str. 5, 22 Uhr