Bilderkleider, Kleiderbilder

■ „Verwandlungen“, eine Mode-Show in der Hochschule für Künste

Wenigstens dieses eine Mal war es in unserem kleinen Bremen schöner als in der Kunst- und Modemetropole Paris. Als nämlich am vergangenen Wochenende 30 StudentInnen der Studiengänge Mode-Design und Graphik-Design ihre gemeinsame Arbeit zum Thema „Verwandlungen“ in einem licht- und bildgewaltigen Spektakel vorstellten.

Der Saal der Hochschule für Künste war bis auf den letzten Platz besetzt, als das Licht ausging, und auf die drei riesigen Leinwände bunte Lichtspiele und Photos projiziert wurden. Hinter den Leinwänden waren deutlich die Schatten von Modellen zu erkennen, die sich wie Insekten aus ihren Kokons schälten, um sich dann in voller Pracht dem Publikum vorzustellen: ein mit silbergrauen Zacken besetztes Igelkostüm, ein von innen beleuchtetes riesiges Ballonkleid, das ihre Trägerin wie einen wandelnden Windbeutel aussehen ließ. Oder eine menschliche Fliege – mit üppig behaarten schwarzen Beinen, wie es sich für eine echte Fliege gehört –, die vor der auf der Bühne eingeblendeten Fliegenklatsche davonrennt.

Fast alle Kleider der Mode-De-sign-Studentinnen lassen sich verwandeln: Frau zieht an diesem Bändchen, öffnet jenen Reißverschluß und schon quillt noch mehr Stoff hervor und läßt vor den ZuschauerInnen ein ganz neues Outfit entstehen. Was man für einen Hut hält, wird mit wenigen Handgriffen zu einem Kleid, was das Hinterteil eines Models zu sein scheint, verbirgt in Wahrheit ein Rosensträußchen.Und was aussieht wie der güldene Umhang einer Königin, wenn nicht gar Kaiserin, besteht tatsächlich aus zahllosen Nudeln, die in mühevoller Kleinarbeit aneinandergenäht wurden. Da ist frau in der Not eben nicht auf Suppenküchen angewiesen.

Doch was diese Show zu einem visuellen Erlebnis werden läßt, sind nicht allein die phantasievollen und witzigen Entwürfe der Mode-Designerinnen, sondern das Zusammenspiel von Leinwandprojektionen, Musik und Bewegung der Modelle. Die StudentInnen beider Studiengänge, Graphik und Design, haben sich ein Jahr lang in kleinen Gruppen zusammengefunden, um an ihrer Umsetzung zum Thema „Verwandlun-gen“ zu arbeiten. Entstanden sind dabei viele kleine Geschichten, die in der multivisuellen Show in Szene gesetzt werden. So sieht man zum Beispiel, wie es einer Aufziehpuppe ergeht, die zu Uhrwerkgeräu-schen und projizierten Getrieberädchen in ihrem Kleid eingebaute Fächer auf- und zuzieht; als die Mechanik versagt, wird sie geräuschvoll zum alten Eisen geworfen.

Musik, Bild und Bewegung aufeinander abzustimmen ist dabei kein Kinderspiel. „Das war wie Jonglieren mit rohen Eiern“, sagt Graphik-Professor Fritz Dressler, der zusammen mit der Mode-Design-Professorin Gisela Hacker die Studis betreut hat. „Die Studenten sind ja noch keine Profis“, so Dressler, „und gestern bei der Generalprobe brach auch noch die Technik zusammen“.

Von Pannen und Jonglieren war allerdings bei der ersten Aufführung am Freitag abend nichts mehr zu spüren: mit Perfektion und Bravour wurden Kleiderbilder und Bilderkleider über die Bühne gebracht. Auch die Modelle, die sich mal schlendernd, mal trippelnd, mal tanzend über den Laufsteg bewegten, sind keine Professionellen. Zum Vorführen der Kleiderkunstwerke mußten Freundinnen oder Kommilitoninnen herhalten, die ihre ungewohnte Rolle mit individuellen Charme und Schick vorgeführt haben. Nur das einzige männliche Modell lief reichlich trampelig über den Laufsteg. Früh übt sich eben, wer ein Model werden will.

Die Aufführung „Bilderkleider-Kleiderbilder“ ist das dritte Projekt, das Mode und Graphik zusammen veranstalten. Schon die erste Modekunst-Show anno 1986 war ein „Riesen-Erfolg“, so die Professorin Gisela Hacker. In diesem Jahr wurde der Bremer Hochschule für Künste darüber hinaus schon im Vorfeld eine ganz besondere Ehre zuteil: Noch während die StudentInnen über ihren Entwürfen brüteten, wurden sie eingeladen, ihre multivisuellen Arbeiten im Oktober auf der Kultusministerkonferenz in Bremen vorzustellen.

Silke Mertins