Jede dritte Mark für Personalkosten

Serie: Verwaltungsreform – Turboantrieb für die Bürokraten oder Staatsstreich von oben? / Eigenverantwortung und Leistungskontrolle in die Büros / Bezirke befürchten Machtverlagerung  ■ Von Dirk Wildt

Wie teuer ist es, einem einzelnen Sozialhilfeempfänger finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen? Diese Frage können bislang weder Sozialverwaltung noch die Mitarbeiter der bezirklichen Sozialämter vor Ort beantworten. Denn wenn das Parlament einmal im Jahr den Landeshaushalt verabschiedet, dann geht es vor allem darum, daß den Ausgaben – dieses Jahr 43,3 Milliarden Mark – auf der anderen Seite der gleiche Betrag in Form von Einnahmen wie Steuern, Gebühren und Bundeshilfen gegenübersteht. Ob die Milliarden- Summe aber sparsam und sinnvoll ausgegeben wird, kann bei den Beratungen über den 1.300 Seiten zählenden Haushalt kaum hinterfragt werden: In der öffentlichen Verwaltung fehlt die Kostenkontrolle.

340.000 Mitarbeiter zählt Berlins öffentlicher Dienst inclusive den Mitarbeitern in Krankenhäusern, Schulen, Gerichten, Universitäten und Landesbetrieben wie BVG oder Gaswerken. Allein die rund 200.000 Mitarbeiter der Bezirksämter und Hauptverwaltung kosten Berlins Steuerzahler in diesem Jahr 14,1 Milliarden Mark – das ist jede dritte Steuermark. Da braucht man kein Volkswirtschaftler zu sein, um zu wissen, daß in der Hauptstadt für die Verwaltung der Verwaltung ein enormer und überflüssiger Apparat von Bürokratie aufgebaut worden ist. Welche Verschwendung damit verbunden ist, zeigt das Beispiel mit der Sozialhilfe: 1992 zahlten Berliner Sozialämter 60 Millionen Mark Wirtschaftshilfe an sozial Bedürftige. Die Auszahlung dieses Geldes – Anträge bearbeiten, Organisation, Personalkosten, Büromieten – kostete mehr als ein Zehntel: 6,6 Millionen Mark. Die enormen Verwaltungskosten waren bereits 1982 nicht mehr zu übersehen. Damals richtete das Parlament eine Enquetekommission zur Verwaltungsreform ein. Zwei Jahre später war ihr Abschlußbericht fertig, doch „wurden die sehr grundlegenden Empfehlungen der Kommission bis heute nicht konsequent umgesetzt“, haben die beiden Wissenschaftler Thomas Hauser und Kristian Furch von der Ploenzke AG festgestellt. Sie haben im Auftrag des Senats die Schwachstellen der Verwaltung erneut untersucht und Reformvorschläge erarbeitet. Zum ersten Mal scheint es in Bezirken, Verwaltung und Politik ein ernsthaftes Bemühen für eine Reform zu geben, die gleichermaßen durch ökonomische und demokratische Qualität gekennzeichnet ist. Ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU und SPD, der möglicherweise schon am Donnerstag, spätestens aber in drei Wochen im Abgeordnetenhaus verabschiedet wird, sieht die Reduzierung von derzeit 15 auf zehn Senatoren plus Regierendem Bürgermeister vor. Die Zahl der Stadträte in den Bezirksämtern wird von sieben auf fünf verringert. Die Bezirksverordnetenversammlungen sollen erstmals selbst – im kommenden Jahr allerdings noch eingeschränkt – ihren Bezirkshaushalt verabschieden und bekommen das Recht, Bebauungspläne abschließend festzusetzen. Die beabsichtigte Direktwahl der Bezirksbürgermeister soll später ebenfalls beschlossen werden. Über das politische Bezirksamt konnten sich CDU (dagegen) und SPD (dafür) überhaupt nicht einigen. Dabei würden die Stadtratsposten nicht mehr im Verhältnis der vertretenen Parteien, sondern von der im Bezirk „regierenden“ Fraktion oder Koalition besetzt. Wie die Gebietsreform – die Zusammenlegung der Bezirke – aussehen soll, ist ebenfalls völlig unklar.

Nur Münchhausen schaffte es, sich an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Daß mit der Verwaltungsreform ein vergleichbar aussichtsloses Unterfangen gelöst werden soll, wird von den Verhältnissen erzwungen. Die Stadt ist schlicht nicht mehr zu bezahlen. Vier Milliarden Mark fehlen 1995 in der Kasse des Finanzsenators – und das, obwohl er schon 4,8 Milliarden Mark neue Kredite aufnehmen will. Wenn in Berlin ein Kind zur Welt kommt, hat es bereits 16.000 Mark Steuerschulden.

Von 1992 bis 1997 sollen bei Bezirken und Hauptverwaltung 25.000 Stellen – 3.500 Stellen jährlich – abgebaut werden. Doch auch wenn Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) hier einmal im Zeitplan liegt, werden Lohn- und Gehaltskosten nicht weniger: Sie steigen jährlich sogar um 2,7 Prozent. Auch andere Einsparungen – wie der im Mai verabschiedete Nachtragshaushalt – führen zu keiner längerfristigen Verbesserung der Finanzmisere. Da mit den Kürzungen keine Entbürokratisierung verbunden ist, kann und muß der Apparat an den Leistungen für den Bürger sparen. Die BVG-Verwaltung an der Potsdamer Straße in Schöneberg, munkeln Insider, würde es mit goldenem Konzernschild selbst dann noch geben, wenn die letzten Bus- und Bahn- Linien aus finanziellen Gründen eingestellt worden sind. Allein durch eine Kostenkontrolle, behaupten die Ploenzke-Gutachter, könnte dabei bereits im kommenden Jahr in den Bezirkshaushalten eine Milliarde Mark gespart werden – ohne daß die Leistung für den Bürger minimiert werden müßte. Gutachter Furch schätzt, daß in der Hauptverwaltung „mit Sicherheit“ ein Fünftel der Kosten gespart werden kann.

Wenn das Parlament den Gesetzentwurf verabschiedet, müssen sechs Verfassungsartikel geändert und 39 Einzelgesetze sowie 31 Verwaltungsvorschriften neu formuliert werden. Doch dieses Gesetz schafft nur die Rahmenbedingungen für eine totale Umwälzung verkrusteter Verwaltungsstrukturen. Das Ziel: Durch die Einführung einer Kostenkontrolle soll erkennbar werden, welche Verwaltungsarbeiten auffällig teuer und damit unrationell sind. Durch eine Beteiligung von Ämtern und Abteilungen am Erfolg sollen die Mitarbeiter zum Sparen motiviert werden. Die Bezirke sollen wie etwa die Kommunen im Umland Steuereinnahmen direkt erhalten. Der Senat soll nur noch Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung wahrnehmen.

Parallel zu den Aktivitäten des Gesetzgebers arbeiten Arbeitsgruppen in Spandau, Wedding und Köpenick und an der Umsetzung der Reform vor Ort. Erstmals sollen die Leistungen für den Bürger – etwa das Auszahlen von Sozialhilfe oder die Kosten eines Schwimmbades pro Besucher – als „Produkt“ betrachtet und in einem Katalog zusammengestellt werden. Die Produkte werden in einem kontinuierlichen Prozeß weiter differenziert und den politischen Zielsetzungen angepaßt. Im nächsten Schritt werden die Kosten für die Erstellung des Produktes den beteiligten Stellen zugeordnet und welcher Bedarf – die Nachfrage durch den Bürger – zu erwarten ist.

Nach diesem Modell melden die Bezirke dann der Finanzverwaltung ihren Bedarf. Die Finanzverwaltung errechnet den Gesamtbedarf. Anschließend werden die Produktkosten zwischen den einzelnen Bezirken mit privatan Unternehmen oder anderen Kommunen verglichen, dann legt die Verwaltung den Preis für die einzelnen Produkte fest, den sie den Bezirken erstatten wird. Bezirke, die mit überdurchschnittlich hohem finanziellen Aufwand eine Leistung erbringen, müssen aus ihrem Haushalt zuzahlen, die anderen wiederum können sparen und den „Gewinn“ für Verbesserungen in ihrem Bezirk ausgeben. Die Finanzverwaltung hat darüber hinaus die Aufgabe, die Haushalte der Bezirke – sogenannte Globalsummen – gerecht aufzuteilen.

Die Bezirke werden mehr Bedarf anmelden, als aus dem Gesamthaushalt bezahlt werden kann. Finanzverwaltung und Parlament wächst deshalb die Aufgabe zu, die Produkte politisch zu werten. Als wichtig befundene Leistungen werden den Bezirken zu 100 Prozent erstattet, weniger wichtige Leistungen beispielsweise nur zu 70 Prozent. Später soll dieses Abrechnungssystem auch für Leistungen eingeführt werden, die Bezirke und Hauptverwaltungen untereinander erbringen. Volkswirtschaftler erwarten, daß dann das Personal in den Hauptverwaltungen deutlich abgebaut wird, weil die Bezirke die Leistungen, die von der Hauptverwaltung doppelt erbracht werden, nicht doppelt bezahlen werden.

Der Zeitplan sieht vor, daß noch in diesem Jahr in allen Bezirken ein erster grober Produktkatalog zusammengestellt wird. Im kommenden Jahr soll in der gesamten Verwaltung ein Produktcontrolling eingeführt werden, durch das mit Hilfe von Computern Bezirke und Verwaltung tagesaktuell nachfragen können, wieviel Geld sie ausgegeben haben. 1997 sollen die Bezirke erstmals vollständig auf der Basis des Produktkatalogs ihren Etat verabschieden. Sie verfügen zur Zeit über rund ein Drittel, die Hauptverwaltung über zwei Drittel des Berliner Haushalts.

Natürlich ist dieses Modell nicht ohne Widerstände durchzusetzen. Zwar wird die Verantwortlichkeit der einzelnen Mitarbeiter gestärkt, doch Abteilungsleiter etwa müssen sich umgewöhnen. Nicht mehr der Vorgesetzte, der über die meisten Mitarbeiter verfügt, sondern der, der am wirtschaftlichsten haushaltet, werde künftig am angesehensten sein – hoffen jedenfalls die Protagonisten der Reform.

Besonders starke Kritik kommt aus den Bezirken. Die Große Koalition, befürchten Bürgermeister wie Stadträte, wolle ein Großteil der politischen Macht nicht nach unten verlagern. Etwa beim Festsetzen von Bebauungsplänen, sagt Charlottenburgs Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD), gebe es zu viele Ausnahmen. So will Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) die Verfahren von „gesamtstädtischer Bedeutung“ und „außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung“ weiter an sich ziehen dürfen und bei der Hauptstadtplanung die Zuständigkeit ganz behalten. Der grüne Abgeordnete Wolfgang Wieland befürchtet ein „Zweiklassensystem“: Citybezirke hätten kaum, Stadtrandbezirke sehr viel Kompetenzen. Ein Erfolg der Fraktion Bündnis 90/Grüne sei wenigstens, daß die Koalition in ihrem Gesetzentwurf den Rat der Bürgermeister ein wenig gestärkt habe. Wenn sich drei Viertel der Bezirksbürgermeister einig sind, können sie bei Projekten mit „außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung“ Veto einlegen. In diesem Fall muß dann das Parlament klären, ob Senat oder Bezirke bei der Festsetzung des Bebauungsplans zuständig sind.

Aus den Bezirken wie auch am vergangenen Wochenende beim SPD-Parteitag kommt starke Kritik an der Privatisierung beispielsweise der Kinderheime oder Bäder. Weil bis jetzt der Produktkatalog noch nicht zusammengestellt ist, könne gar nicht entschieden werden, ob Private tatsächlich billiger seien. Bezirke müßten selbst entscheiden, lautet die Forderung der SPD, ob sie ihre Einrichtungen an freie Träger abgeben. Ebenfalls soll die Hauptverwaltung noch schnell vor der Reform den Bezirken die Zuständigkeit für neue Aufgaben und Projekte übertragen wollen, ohne dafür das nötige Geld und Personal abzugeben.

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