Freie Darmverschlingung

Farce und Slapstick, wie ein durchs Säurebad gezogener Tabori: Neue Stücke von Joshua Sobol in Mannheim, Basel und Düsseldorf aufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

Ende der 20er Jahre treffen sich zwei Schauspieler in einem Theater in Lodz. „Hamlet“ steht auf dem Programm, sie wollen eine Rolle, aber der Regisseur fehlt. Da ein Schauspieler alles für eine Rolle tut, auch wenn keiner zuschaut, singt einer auf jiddisch und mit heruntergelassener Hose Hamlets Seinsmonolog. „Schneider und Schuster“ heißt eines von drei neuen Stücken Joshua Sobols, Schneider ist ein massiger von sich selbst überzeugter Spieler, Schuster ein quirliger Kobold. Auf Lodz folgt Warschau und das Jahr 1939. Schneider spielt in einem Café den Hitler und Schuster den Juden, der seinem Henker die Schuhe leckt. Das Leben ist ein Rollenspiel; wenn Hitler dann zu Stalin und das Café zum Gulag geworden ist, leidet der Folterer unter der Härte seines Jobs, während der Gefolterte sich entschuldigt. Alles endet im Jahr 2000 und in einer Welt, die gleichzeitig Schlaraffenland und Abfallhaufen ist. Schuster fährt Speisen auf, räumt Müll und Exkremente weg, Schneider frißt sich zu Tode.

Sobol hat seine Ende letzten Jahres fertiggestellte Stationengroteske jetzt selbst uraufgeführt, nachdem er in letzter Zeit schon immer stärker auch als Regisseur in Erscheinung trat. Aufgrund von Umbesetzungsnöten stand sein Basler „Schneider und Schuster“ unter einem schlechten Stern, was unter anderem dafür verantwortlich sein mag, daß der Inszenierung Biß fehlt. An Stellen, an denen der Autor Sobol mit Wortwitz aufwartet, läßt Regisseur Sobol Text dahersagen, wo nur durch genaues Spiel die Gratwanderung zwischen Witz und Nichtwitz gelingen könnte, geht es häufig zu entspannt auf der Bühne zu.

Das große Fressen am Ende von Sobols Farce über die Verirrungen des Jahrhunderts findet sich auch in „Auge in Auge“ wieder, hier allerdings als Intermezzo und postmoderne Freiheit zur Darmverschlingung. In dieser 1991 geschriebenen Parabel kommt ein unsicheres Menschlein auf die Bühne, streitet mit sich selbst und kann nicht anders, als seine Aggressivität nach außen zu wenden und einen anderen zu ermorden, der lange Zeit stumm um den Selbstzerstörer schlich. Der Brudermord kommt als Teil einer Slapstick-Komödie oder eines durch's Säurebad gezogenen Tabori-Stückes daher; eine Komödie ist zu entdecken, was dem jungen Regisseur Clemens Bechtel in seiner ersten eigenständigen Mannheimer Regiearbeit auch gelang, indem er nicht – wie in Uraufführungen häufig der Fall – wortgetreu nachexerzierte. Er tat, was Sobol seinem „Schneider und Schuster“ nicht antun wollte, strich entschieden und inszenierte pointiert.

„Auge in Auge“ ist auch eine Parabel auf die zunehmenden regionalen Bruderkriege und Sobols Fazit, bei aller Komik, eher bitter. Überraschenderweise, denn im Hinblick auf die Situation im Nahen Osten, mit der Sobol sich intensiv beschäftigte, wirkt der derzeit wichtigste israelische Dramatiker durchaus optimistisch. Er setzte sich in früheren Stücken mit jüdischem und arabischem Fundamentalismus auseinander und forderte als einer der ersten autonome Gebiete für die Palästinenser, was ihm viele Feinde in Israel einbrachte. Heute, da ihn die Realität eingeholt hat, kann er nicht anders, als an die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz im Nahen Osten zu glauben, obwohl seine neuen Stücke eine andere Sprache sprechen und er schon wieder einen Schritt weiter ist.

Was passiert, so die Frage in „Auge in Auge“, wenn der äußere Feind wegfällt, der Mensch sich grundsätzlich aber nur durch aggressive Abgrenzungsversuche seiner selbst vergewissern kann? Müssen dann nicht Versuche der Assimilation gewalttätige Gegenreaktionen hervorrufen, wird die Idee einer multikulturellen Gesellschaft dadurch nicht zur Schimäre und ist Fremdenhaß nicht Ausdruck einer tieferliegenden Identitätskrise? Im Gespräch meint Sobol, er habe mit dem Stück sowohl Deutschland als auch Israel im Auge gehabt; auf der einen Seite das schwache Selbstwertgefühl vieler Deutschen nach der Vereinigung, und auf der anderen die Israelis, die die Friedensidee als ihr geistiges Eigentum betrachteten und aggressiv reagierten, sobald ein Palästinenser von Frieden spreche, und das auch noch in erstklassigem Hebräisch.

Auch wegen des Friedensprozesses ist Sobol wieder nach Israel zurückgekehrt, wo er gerade am Jerusalemer Staatstheater mit den Proben zu seinem vor einem Jahr abgeschlossenen „Schöner Toni“ beginnt. Grundlage ist der Recherchebericht „Haus Deutschland“, in dem Peter Finkelgruen belegt, daß der KZ-Aufseher Anton Malloth in Theresienstadt seinen Großvater und andere Juden ermordete. Malloth wurde an Deutschland ausgeliefert, allerdings nie vor Gericht gestellt und lebt heute in einem Münchner Altersheim. In Sobols Umsetzung gefällt sich ein deutscher Staatsanwalt als Malloths Krankenpfleger, darüber hinaus erzählt er in mehreren ineinander verzahnten Zeitebenen das Schicksal der Familie Finkelgruen. Am Ende stehen sich Malloth und die Opfer auf der Bühne gegenüber, der ehemalige KZ-Aufseher wird aber von seinem Krankenpfleger rehabilitiert und mittels Reisepaß zum guten Europäer befördert. Uraufgeführt wird das Auftragswerk Mitte Juni am Düsseldorfer Schauspielhaus – just an dem Tag, an dem sich entscheidet, wie braun das künftige Europaparlament eingefärbt sein wird.

Joshua Sobol: „Schneider und Schuster“. Regie: Joshua Sobol. Ausstattung: Edna Sobol. Mit Laszlo I. Kish und Jürgen Mikol. Theater Basel. Weitere Vorstellungen: 11., 13., 17., 20., 21.6.

Joshua Sobol: „Auge in Auge“. Regie: Clemens Bechtel. Bühne und Kostüme: Ulrich Frommhold. Mit Gerhard Piske und Michael Kessler. Nationaltheater Mannheim: Weitere Vorstellungen: 12. und 15.6.

Joshua Sobol: „Schöner Toni“. Regie: Bruno Klimek. UA: 12.6. Schauspielhaus Düsseldorf.