Die Bodenreform sollte unangetastet bleiben

Der ehemalige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, kritisiert die Rückgabe von Bodenreformland an die Alteigentümer / Diese widerspreche den mit der Sowjetunion im Rahmen der Zwei-plus-vier-Gespräche getroffenen Vereinbarungen  ■ Von Dieter Rulff

taz: Herr de Maizière, haben Sie, als der Einigungsvertrag ausgehandelt wurde, erwogen, auch denen, die im Rahmen der Bodenreform zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden, wieder den Zugang zu ihren eigenen Besitztümern zu ermöglichen?

Lothar de Maizière: Diese Möglichkeit war damals nicht im Gespräch. Es gab allerdings, als der Einigungsvertrag ausgehandelt wurde, bereits die gemeinsame politische Erklärung vom 15. Juni 1990, die die Richtlinien absteckte, in denen die Eigentumsfragen, insbesondere die Enteignungsfragen, geregelt werden sollten.

Dort heißt es unter Ziffer 1, daß die Bundesregierung zur Kenntnis nimmt, das die Ergebnisse der Bodenreform irreversibel sind, daß der zukünftige deutsche Gesetzgeber darüber befinden muß, ob und in welcher Weise Ausgleichsleistungen geschaffen werden. Bei diesen Ausgleichsleistungen schwebte mir und auch anderen eine dem Lastenausgleich in der alten Bundesrepublik analoge Regelung vor. Dies bedeutete keine Naturalrestitution, sondern Ausgleich in Geldzuwendungen. Eine dingliche, eine naturale Entschädigung war seinerzeit nicht im Gespräch.

Wurde denn von Ihrem damaligen Vertragspartner, der Bonner Bundesregierung, ein entsprechender Wunsch an Sie herangetragen?

Ja, die Bundesregierung war der Auffassung, daß an und für sich alle Enteignungen rückgängig zu machen seien, so auch die zwischen 1945 und 1949 vorgenommenen. Ich habe damals auf die eindeutige Beschlußlage der damaligen DDR-Regierungskoalition verwiesen. – In der Koalitionsvereinbarung vom 12. April 1990 war die Bodenreform für irreversibel erklärt worden und sogar ein Gesetz vorgesehen, das die Rechte aus der Bodenreform sichern sollte. Dieses Gesetz wurde später nicht mehr beschlossen, da wir davon ausgingen, daß die Festschreibung in Artikel 143 des Grundgesetzes eine solche Regelung überflüssig macht. Ich habe seinerzeit gegenüber der Bundesregierung zudem darauf hingewiesen, daß ich mich nur bedingt dazu legitimiert sehe, über diesen Komplex zu verhandeln, weil es hier ganz erhebliche sowjetische Einwände gab.

Es heißt, daß die Forderung, die Ergebnisse der Bodenreform unangetastet zu lassen, eine Forderung der Sowjetunion im Rahmen der Zwei- plus-vier-Gespräche gewesen ist.

Das ist richtig. Die Sowjetunion hat dieses mehrfach in Gesprächen gefordert. Aber es ist auch dokumentiert. Der damalige Botschafter der Sowjetunion, Herr Wjatscheslaw Kotschemasow, überreichte mir unmittelbar nach der Wahl vom März 1990 ein sogenanntes non-paper, in dem die sowjetische Führung ihre Bedingungen für ihre Zustimmung zu einer deutschen Einigung formulierte. Dort war ausdrücklich die Irreversibilität aller Maßnahmen, die auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgt sind, festgeschrieben. Ich betone „aller“, weil es ergänzend noch hieß, insbesondere die Bodenreform. Es waren auch andere Komplexe, wie die sowjetischen Urteile gegen Deutsche, darunter gefaßt. Dieser Vorbehalt wird im übrigen heute noch respektiert, etwa im Rehabilitierungsgesetz oder im Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz.

Mir ist damals klar geworden, daß die Sowjetunion nicht wollte, daß die gesamte Geschichte ihrer Besatzungszeit zwischen 1945 und 1949 nochmals aufgerollt wird, also die Geschichte der Internierungslager, der Urteile der Militäradministration, des Kunstraubes, der Enteigungen. Bekräftigt wurde diese Haltung am 29. April 1990 bei unserem ersten Moskau-Besuch, als der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse unserem Außenminister Markus Meckel ein Aide-mémoire übergab, in dem ebenfalls die besatzungsrechtlichen Maßnahmen, insbesondere die Bodenfragen als irreversibel bezeichnet wurden. Den Sowjets ging es nicht nur darum, daß die Legitimität ihrer damaligen Besatzungsmaßnahmen nicht nachträglich in Frage gestellt wird, sondern auch darum, daß diese nicht faktisch revidiert werden.

Zum dritten war bei den Zwei- plus-vier-Verhandlungen im Juli 1990 in einer Expertenrunde vereinbart worden, daß zur nächsten Sitzung im September 1990 jede der Vertragsparteien das Recht haben sollte, nochmals einen überarbeiteten Entwurf vorzulegen. Die Sowjets legten einen völlig neuen Vertrag vor, der einen gesonderten Artikel enthielt, der die besatzungsrechtlichen Maßnahmen behandelte. Dieses Schriftstück hat in der letzen Zeit zu Auseinandersetzungen geführt, weil Gegner der Regelung meinen, darin sei nur von Besitz, aber nicht von Eigentum die Rede. Ein Mißverständnis, das auf einem Übersetzungsfehler beruht. Im russischen Original ist von osobstwenost die Rede, was sowohl Eigentum als auch Besitz heißt, da die russische Sprache zwischen beiden Begriffen nicht differenziert. Man muß also aus dem Sachzusammenhang ableiten, worum es jeweils geht. Es gab aber eine von der russischen Seite autorisierte Übersetzung des Entwurfes, in der eindeutig von Eigentum die Rede ist.

Entspricht die in dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz gefundene Regelung dem, was seinerzeit von den Sowjets gefordert wurde?

Ich habe deutliche Zweifel, daß das Gesetz im Sinne dessen ist, was damals vereinbart wurde. Ich verkenne nicht die Schwierigkeit, bei der Regelung der Eigentumsverhältnisse einen gerechten Interessensausgleich zu finden. Ich verkenne auch nicht, daß es dabei auch erhebliche Finanzierungsprobleme gibt. Ich sehe in der in dem Gesetz festgelegten Möglichkeit des Erwerbs den Versuch, einen Teil der Entschädigungsberechtigten ruhig zu stellen.

Ich sehe für die Zukunft allerdings Schwierigkeiten. Die ehemaligen LPGs haben sich in den letzten Jahren alle nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz umgewandelt in Agrargenossenschaften und Agrar-GmbHs. Diese sind vom Erwerb dieser Flächen ausgeschlossen worden, so daß eine Endlichkeit dieser Produktionsform zu erkennen ist. Sie ist aber eine, wenn auch mit Schmerzen geborene, so doch historisch gewachsene und, wie die freiwillige Umwandlung vieler LPGs beweist, auch angenommene Art des Produzierens. Diese Genossenschaften wären jedoch bei Ablauf der Pachtfristen dem Untergang geweiht.

Entspricht das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz dem, was Sie als Vertragspartner seinerzeit auch intendiert haben, oder wurde der Einigungsvertrag hier schlicht einseitig nachgebessert beziehungsweise nachverschlechtert?

Der Einigungsvertrag ist als einfaches Recht in das Bundesgesetz übernommen worden. Das heißt, er ist auch mit einfacher Mehrheit änderbar. Ich gehe auch nicht davon aus, daß alles, was seinerzeit beschlossen wurde, ewiges Recht ist.

Ich bin allerdings der Meinung, daß es der Mindestlevel ist, zu dem für uns der Beitritt möglich ist. Eine Verschlechterung unter das Einigungsvertrags-Niveau ist für mich nicht akzeptabel ...

... Das Gesetz ist eine solche Verschlechterung?

Die Regelung ist eine Verschlechterung für einen großen Teil der Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind. Denn die Betriebe werden Finanzierungsschwierigkeiten haben, wenn sie Investitionen tätigen wollen, weil sie keine beleihungsfähige Grundlage anbieten können. Ich glaube, daß damit auch den ostdeutschen Ländern die Möglichkeit genommen ist, Strukturpolitik auf dem Lande zu machen.

Es wird eine ländliche Struktur entstehen, die ahistorisch ist in Ostdeutschland. Weniger in Sachsen und Thüringen, aber in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wird im Prinzip seit dem Dreißigjährigen Krieg Landwirtschaft in Großeinheiten betrieben. Das hängt mit der Bodenqualität und der damals dünnen Besiedelung des Landes zusammen. Sie können in Brandenburg mit Aussicht auf Gewinn Kartoffeln nur anbauen, wenn der Schlag vom Fuß bis zum Horizont reicht, weil die Bodenwertzahlen nur zwischen 18 und 25 liegen (Die Bodenwertzahl kennzeichnet den Ertragswert eines Bodens, d. Red.).

Der durch das Gesetz mögliche Strukturwandel geht an den Interessen der jetzt auf dem Land Tätigen vorbei. Die Aufsplittung in relativ viel kleine Betriebe, die in Folge des Gesetzes droht, ist restaurativ und nicht zukunftsoffen.

Wenn es ein solcher strukturpolitischer Unsinn ist, was war denn Ihrer Ansicht nach das treibende Interesse der Bonner Regierungskoalition, das Gesetz zu verabschieden?

Eins der Motive, die Möglichkeit des Wiedererwerbs durch die Alteigentümer in das Gesetz aufzunehmen, war der Druck, den diese entfaltet haben. Die wollten bald an eine Entschädigung kommen, und das ist mit dem Wiedererwerb möglich, wohingegen die geldliche Entschädigung ja erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, im Jahr 2004, erfolgt.

Bedenklich ist diese Regelung auch deshalb, weil zwischen den ostdeutschen Ländern und dem Bund noch strittig ist, ob diese Flächen überhaupt dem Bund oder nicht vielmehr den Ländern zustehen. Im zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz und der dazu ergangenen Novellierung des Artikel 233 BGB gibt es bei unklaren Bodenreformflächen eine Zuordnung an den Fiskus der ostdeutschen Länder.

Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe hat erklärt, wer dieses Gesetz unterstütze, „verrät unsere Bauern und zerstört unsere Landwirtschaft“. Hat die CDU die ostdeutschen Bauern verraten?

Als Jurist enthalte ich mich solch demagogischer Formulierungen. Dieses Gesetz entspricht nicht der Struktur der ostdeutschen Landwirtschaft. Die formgewandelten Großbetriebe haben die Möglichkeit wirtschaftlich zu arbeiten. Bei einer Zersiedelung und Zergliederung droht auch hier die Gefahr einer Landwirtschaftspolitik mittels EG-Subventionen.

In Mecklenburg-Vorpommern befürchten Landtagsabgeordnete bereits Mord und Totschlag, sollte das Gesetz zur Anwendung kommen. Ist nun der Kampf zwischen Bauern und Junkern zu befürchten?

Es wird eine erneute Verunsicherung geben, und ich halte das für verhängnisvoll. Ich glaube, daß die Ostdeutschen nach fünf Jahren einschneidender und gravierender Veränderungen auch den Anspruch haben, zur Ruhe zu kommen.

Es gibt ja bereits einige Alteigentümer, die in Ostdeutschland wieder landwirtschaftlich tätig sind. Die Verhältnisse sind unterschiedlich. Einige haben sich in gut nachbarschaftlicher Weise eingebracht, einige treten in sehr unschöner Weise auf. Ich sehe ein Überwiegen der zweiten Sorte.

Herr de Maizi'ere, was empfehlen Sie dem Bundesrat, der demnächst über das Gesetz beraten wird?

Ich empfehle ihm, eine Erwerbsmöglichkeit für die bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe zuzulassen und ihnen das gleiche zuzugestehen, was auch die Neu- und Wiedereinrichter dürfen, nämlich das Recht, den Boden, den sie derzeit in Pacht haben, auch zu erwerben.