Agrargenossen bald ohne Genossenschaft

Nachdem der Bundestag das Bodenreformland dem Zugriff der Alteigentümer eröffnet hat, richtet sich die Hoffnung der betroffenen Bauern in Ostdeutschland auf den Bundesrat  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Das CDU-regierte Mecklenburg-Vorpommern und das sozialdemokratische Brandenburg standen bislang parteiübergreifend an vorderster Front im Abwehrkampf gegen Alteigentümeransprüche auf Bodenreformland. Doch diese Front scheint, wenige Tage vor der entscheidenden Beratung des Bundesrates am kommenden Freitag, zu bröckeln. So bleibt Brandenburgs Justizminister Otto Bräutigam standhaft bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ (EALG). Teilrückerstattungen an die Alteigentümer, die zwischen 1945 und 1949 enteignet worden sind, sind seiner Meinung nach durch den Einigungsvertrag ausgeschlossen.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern stößt das Gesetzeswerk nach wie vor auf Widerstand. Doch Regierungssprecherin Barbara Tewaag hält die dort festgeschriebene Möglichkeit des Rückerwerbs durch frühere Besitzer mittlerweile lediglich für „problematisch“. Und für das Problem deutet sich aus Schweriner Sicht bereits eine Lösung an, die im Vorfeld der Bundesratssitzung auf informellem Wege zwischen den CDU-regierten Ländern festgeklopft werden soll. Dem Zugriff der Altjunker auf ihre Ländereien will man sich nicht länger verwehren, doch die bestehenden Agrargenossenschaften sollen ihnen „gleichgestellt werden“.

Verbilligter Kaufpreis für die Alteigentümer

Das EALG sieht in der vom Bundestag verabschiedeten Fassung eine Entschädigung der unter sowjetischer Besatzung als Kriegsverbrecher und Naziaktivisten Enteigneten vor. Als Bemessungsgrundlage dient bei land- und forstwirtschaftlichen Flächen der dreifache Wert von 1935. Zum gleichen Preis können die Alteigentümer aber auch ihren ehemaligen Grund und Boden zurückerwerben. Juristische Personen hingegen wie Agrargenossenschaften müssen beim Kauf den aktuellen Verkehrswert zahlen. Das trifft in Mecklenburg-Vorpommern 80 Prozent der 34.900 Bauern, die zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften.

Sollte, wie von Mecklenburg- Vorpommern gefordert, die eklatante Ungleichbehandlung beim Bodenerwerb beseitigt werden, wäre immer noch keine Gleichheit erreicht. Denn dann würde die Kapitalkraft beim Wettbewerb um die besten und größten Areale entscheiden. Und bei kreditgebenden Banken dürften die begrenzt haftenden LPG-Nachfolger allemal das Nachsehen gegenüber vollständig haftenden Einzelpersonen haben. Die langfristige Umwandlung der Genossenschaften wird die Folge sein. Am Ende droht, so de Maizières düster-realistische Prognose, „die Gefahr einer Landwirtschaftspolitik mittels EG-Subventionen“, wie sie im Westen hinlänglich bekannt ist.

Da diese Entwicklung „strukturpolitisch völlig falsch“ ist, lehnt Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe die Restitution ab. Die SPD-regierten Länder wollen ihn in dieser Haltung im Bundesrat unterstützen. Brandenburgs Opposition gegen das Gesetzeswerk speist sich nicht allein aus der Fürsorge um die eigene bäuerliche Klientel. Denn neben den 300.000 Hektar Bodenreformfläche würde auch ehemals preußischer Besitz zur Disposition stehen, um die Erwerbsinteressen der Alt- und Neueigentümer zu befriedigen. Bisher ist strittig, ob die zum Preußenland gehörenden 35.000 Hektar Nutz- und 260.000 Hektar Forstfläche Bund oder Land zugesprochen werden, doch Brandenburgs Chancen stehen nicht schlecht. Sollte die Treuhand das Areal vor einer endgültigen Klärung an Alteigentümer veräußern, so verlautet aus Potsdam, „werden wir uns erheblich zur Wehr setzen“.

Alteigentümer sind gegen Entschädigungsregelung

Erhebliche Gegenwehr droht der Entschädigungs- und Ausgleichsregelung auch von der Gegenseite. Obwohl sie mit ihrem Begehren nach vollständiger Restitution ihrer Güter bereits 1991 vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) gescheitert sind, geben die Alteigentümer nicht auf. Bei zwei Beschwerden, die seinerzeit vom BVG nicht mit entschieden worden sind, wurden nun vom Gericht die Stellungnahmen der Parteien erbeten. Der Anwalt der Grundbesitzer, Albrecht Wendenburg, macht neue Erkenntnisse geltend, die die Bundesregierung dem BVG bei seiner 91er Entscheidung vorenthalten habe, weil „Kohl und de Maizière (zwecks Erhaltung sozialistischer Strukturen in der ehemaligen DDR) gleichermaßen an der Festschreibung der Unrechtsenteignungen interessiert waren“. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, so Wendenburg gegenüber der taz, habe seinerzeit eine falsche Aussage gemacht und das BVG unter Verzicht auf Vorlage der maßgeblichen Dokumente den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt.

Im Kern bezweifeln die Beschwerdeführer, daß die Sowjetunion bei den „2 plus 4“-Verhandlungen verlangt habe, ihre Besatzungsmaßnahmen zwischen 1945 und 1949 nicht zu revidieren, und davon ihre Zustimmung zur deutschen Einheit abhängig gemacht habe. Dies war von den Vertretern der Bundesregierung gegenüber dem BVG behauptet worden und eine Begründung des damaligen Beschlusses gewesen. Nach der Analyse verschiedener Vertragstexte will Wendenburg herausgefunden haben, „daß die Sowjetunion nur die Anerkennung der Legitimität und die Nichtrevision der Rechtmäßigkeit gefordert hat, aber nicht die faktische Unumkehrbarkeit der getroffenen Enteignungsmaßnahmen“. Es handele sich „um den größten Verfassungsskandal in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“.

Dieser Version widerspricht de Maizière als einer der damals Verhandlungsbeteiligten vehement gegenüber der taz. Den Sowjets sei es ausdrücklich um die Irreversibilität der Maßnahmen, die auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgt sind, gegangen.

Interview mit de Maizière Seite 12