Requiem für einen Genossen

■ In Ziegenhals bei Berlin trauerten in erster Linie Rentner öffentlich um den „warmherzigen Genossen Honecker“

Ziegenhals (taz) – Um kurz vor zehn ist kein einziger Platz mehr frei in der Gaststätte „Sporthaus Ziegenhals“. Noch anderthalb Stunden, bis der Neuköllner Arbeiterchor sein Requiem singt für den verstorbenen Erich Honecker, die „historische Mücke“ (Wolf Biermann). Der Lärmpegel in der engen Sporthausgaststätte steigt mit dem Alkoholkonsum. Es soll eine „würdige Gedenkstunde“ werden, sagt Klaus Feske, der Vorsitzende eines Solidaritätskomitees, das noch bis letzten Dezember den Namen Erich Honeckers im Titel führte. Feske war vor zwei Jahren first class mit Honecker nach Santiago de Chile geflogen.

Durch den Haupteingang des Sporthauses, in dem 1933 Ernst Thälmann illegal mit der KPD konferierte, werden die etwa 400 Gedenkgäste gebeten. Den Journalisten ist der Lieferanteneingang vorbehalten. Eine Berliner Agentur hat im Auftrag des Solidaritätskomitees dem NDR exklusiv die Fernsehrechte übertragen – irgendwie müssen die Prozesse ja finanziert werden, die das Komitee unterstützt. Prozesse, so Feske, in denen „unschuldige Kommunisten“ vor Gericht stehen. Auch durch den Verkauf von Buttons füllt das Solidaritätskomitee an diesem Sonntag morgen seine Spendenkasse. Auf rotgezackten Ansteckern die geballte Faust. Darunter steht zu lesen: „Wählt KPD, dann werden deine Träume wahr“. Unter den Gästen befinden sich ehemalige Politbüromitglieder wie Kurt Hager, Honeckers Interimsnachfolger Egon Krentz, in erster Linie aber Rentner und Rentnerinnen – Menschen, die die Erinnerung an ihre Heimat unverbesserlich konserviert haben. „Natürlich hat die DDR auch ihre Fehler gehabt“, gibt eine 67jährige ruppig zur Antwort, „aber Ihr Staat ist auch nicht ohne Schand' und Tadel.“

Die Reden der Solidaritätsaktivisten Feske und Günther Jahn bilden die Höhepunkte eines Vormittags der Reminiszenz. Sie sind gespickt mit Lenin-, Engels- und Marx-Zitaten und werden zäsiert durch Gesänge des Arbeiterchors. Die Redner wissen genau, mit welchen Assoziationen sie ihre Zuhörer aus der Reserve locken können. Dann etwa, wenn sie sagen, „mit dem Tode Honeckers, des gelernten Dachdeckers“, sei „ein überaus bewegtes Leben mit gipfelgleichen Höhen erloschen“. Jegliche Kritik an dem Wirken des „warmherzigen Genossen Honecker“ verbietet sich von selbst, denn auch er war nur ein Mensch aus Fleisch und Blut. In der Sprache des Solidaritätskomitees lautet das so: „Auch dem Menschenmöglichen eines Erich Honecker waren Grenzen gesetzt. Auch er konnte sich nur zwischen den Verzahnungen der vielen Ursachenbündel und Zufallsknäuel bewegen.“

Der „teure Tote“, sagt Feske und denkt dabei nicht ans Flugticket, habe einen würdigen Ablauf der Veranstaltung verdient. Die linkisch formulierten „Kopf hoch!“-Appelle eines Günther Jahn allerdings bereiten sogar einigen Genossen Bauchschmerzen. O-Ton Jahn: „Bewahren wir die sozialistischen Körner der Wahrheit vor Verderb und Vergiftung für eine nachkapitalistische Saat der Humanität.“ Thorsten Schmitz