Landung, Invasion oder Befreiung?

■ Nazi-Propaganda in der offiziellen deutschen Wortwahl

Anne-Marie Le Gloannec ist Deutschlandspezialistin an der Pariser Eliteuniversität Science Po. Etwas früher als die meisten Franzosen hatte sie daher erfahren, wie Deutsche über den Jour J sprechen. „Zusammen mit einem deutschen Wissenschaftler, der noch dazu aus eine Widerstandsfamilie stammt, war ich in die Normandie gereist“, erzählt sie. „Plötzlich sprach er über die Invasion. Zuerst verstand ich gar nicht, wovon er redete. Als es mir klar wurde, war ich zuerst einmal geschockt.“ Die meisten Franzosen hörten erst vor einigen Wochen in den französischen Medien, daß selbst die Bundesregierung vom „50. Jahrestag der britisch-amerikanischen Invasion in Frankreich“ spricht.

Für den Historiker Joseph Rovan übernimmt das Wort „Invasion“ ganz eindeutig „den Blickwinkel der Nazis“. Und von denen stammt das Wort auch, wie eine Anweisung des deutschen Propaganda-Ministeriums vom 6. Juni 1944 beweist: Bei der Behandlung des Feindes sollten die Zeitungen die Begriffe „Aggressoren, Invasoren“ und „Überfall“ verwenden.

Und wie halten es die USA? „Invasion“, sagt ein Paris-Korrespondent der International Herald Tribune, „das ist das exakte Wort: D-Day-invasion!“ Selbst der US- Spezialistin der Science Po, Marie- France Toinet, die die deutsche Wortwahl empört zur Kenntnis genommen hatte, war der amerikanische Sprachgebrauch überhaupt nicht aufgefallen. „Die Amerikaner haben offenbar auch das Gefühl gehabt, daß sie uns besetzen wollten. Das haben wir wohl vergessen, weil sie unsere Befreier sind“, meint sie erstaunt.

In Frankreich wird heute schlicht débarquement gefeiert, die „Landung“. Neben 155.000 Amerikanern, Kanadiern und Briten waren die Franzosen in lächerlich geringer Zahl an der „Operation Overlord“ beteiligt: 177 Marinesoldaten durften unter britischem Kommando landen. Präsident Roosevelt wollte de Gaulle keine zusätzliche Bedeutung verleihen, so wurde der erst in letzter Minute über die bevorstehende Landung informiert. Dennoch verkündete der französische General am Abend des 6. Juni in London vor den Mikrofonen der BBC: „Frankreich steht aufrecht, um an der Offensive der Freiheit teilzunehmen. (...) Das ist die Schlacht um Frankreich, und es ist Frankreichs Schlacht.“ Die Alliierten kommen in dieser Ansprache überhaupt nicht vor. De Gaulles Strategie ging auf: Frankreich wurde als Siegermacht akzeptiert. Tatsächlich glauben heute zwei Drittel der Franzosen, daß die Résistance zu gleichen Teilen wie die Alliierten an der Befreiung beteiligt war.

Trotzdem feiert Frankreich heute nur die „Landung“. Den Begriff libération sparen sich die Franzosen für den 24. August auf: An diesem Tag wurde Paris von der deutschen Besatzung befreit, und zwar ohne direkte Hilfe der Anglo-Amerikaner. Der General war inzwischen allgemein als Regierungschef anerkannt worden und konnte triumphierend die Champs-Élysées abschreiten.