Bremerhaven: Nun gehen auch die Jusos

■ Die letzten aktiven Jusos gründen eine „Sozialistische Alternative VORAN“

„Die Bremerhavener SPD ist in einem Auflösungsprozeß begriffen“, sagt Michael Müller. Er ist einer derjenigen, die es wissen müsen: Als Juso-Vorsitzender ist er bei den Vorstandssitzungen der örtlichen SPD dabei. „Die sehen das selber so“, findet Müller. Im Bremerhavener SPD-Unterbezirksvorstand gehe es nur um den parteiinternen Klüngel und um Vorgaben der Stadtverwaltung. Initiativen von unten - Fehlanzeige. Der Abbau von 1000 Werft-Arbeitsplätzen rangiert unter Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“.

Und auch die Delegiertenkonferenz der SPD sei zum Akklamationsgremium für den Vorstand verkommen. Müller: „Da sind bei den Parteiwahlen in diesem Frühjahr nur die rechten Ja-Sager durch sogenannte linke Ja-Sager ausgetauscht worden.“

Dies sieht übrigens, weiß auch der Juso-Vorsitzende Müller, der eher parteirechte „Helmut-Schmidt-Kreis“ um den Wirtschaftsstadtrat Werner Lenz ganz genauso. Während die Bürgerschaftsabgeordnete Karin Tuczek im Mai Richtung CDU aus der Partei austrat, wollen die Jusos nach links gründen: „Sozialistische Alternative Voran“ (SOV) heißt die Organisation, die sie gestern abend aus der Taufe hoben. „Die SOV ist eine neue sozialistische Organisation links von SPD und PDS.“ Als Zeitschrift war „Voran“ seit Jahren das Organ marxistischer Linker in der SPD, großes Vorbild ist die Partei „Militant Labour“ in Großbritannien. In England sind sie in diversen Kommunalparlamenten vertreten.

An die 20 der Bremerhavener Jusos stehen hinter ihm, sagt der Vorsitzende Michael Müller. Wenn die Jusos sehr mobilisieren, kommen gerade mal 30 auf die Mitgliederversammlungen. Daß in den SPD-Ortsvereinen Juso-Delegierte gewählt werden, gehört längst einer fernen Vergangenheit an. Diese Lähmung ist der Hintergrund für die Gründung einer eigenen Struktur: Wenn Jugendliche für die Sache des Sozialismus aktiv werden wollen, sei heute von ihnen meist nicht mehr zu verlangen, daß die in die Jusos oder gar in die SPD eintreten.

Dabei gibt es für Michael Müller nicht nur in Bremerhavenen reichlich Anlaß für entschiedenen Widerstand: Etwa die Sparpolitik, ein Manöver der konservativen Bundesregierung zur Senkung der Kosten der Arbeit. Dagegen will die SOV bundesweit in den Kommunen den Widerstand organisieren. Oder der Werften-Kahlschlag: Da Gewerkschaften und SPD in Bremerhaven es nicht zu mehr bringen als zu Protest-Erklärungen, hat sich ein Arbeitskreis Junger Arbeitnehmer (AJA) gegründet, den die SOV in der Forderung unterstützt: Kein einziger Werft-Arbeitsplatz darf wegfallen in Bremerhaven. Eine in die Schichau-Werft integrierte Lloyd-Werft würde spätestens 1996, wenn in Wismar die moderne Konkurrenz im eigenen Vulkan-Konzern fertig ist, keine Chance mehr haben.

Die Geschäftsführerin der SPD Bremerhaven, Lilo Rehberg, wußte gestern nachmittag noch nichts von der geplanten Neugründung am gestrigen Abend. Sie verwaltet die abnehmende Zahl von Partei-Büchern, Jahr für Jahr werden es ca. 100 weniger: Anfang 1992 waren es noch 2600, 1993 noch 2450, Anfang 1994 noch 2377, aktueller Stand: 2300. Aber das sind nicht alles echte Austritte, sagt Geschäftsführerin Rehberg, einige bauen auch ein Häuschen im Grünen und ziehen ins niedersächsische Umland, und „es sterben auch sehr viele“.

Nur: es kommen keine Neuen hinzu. Und jetzt gehen auch die letzten Jusos auf Abstand. K.W.