Helden des postheroischen Zeitalters Von Mathias Bröckers

Wer bei WWF den World Wide Fund for Nature und ein Pandabärchen assoziiert, lag bei der WWF- Veranstaltung in der Berliner Deutschlandhalle falsch. Richtig waren vor allem 8- bis 14jährige, die unter WWF natürlich „World Wrestling Federation“ verstehen und statt putziger Bärchen Schwergewichts-Catcher erwarteten, allen voran den derzeitigen Champion Bret „Hitman“ Hart.

Seit amerikanische Wrestling- Shows regelmäßig im Fernsehen übertragen werden, ist auch in Deutschland aus der ehemaligen Jahrmarktsattraktion ein Millionen-Business geworden; statt in schmuddeligen Buden treten die Catcher in den größten Arenen auf, trotz 35 bis 75 Mark Eintritt stets vor ausverkauftem Haus. „Hab' ich's nicht gesagt“, mosert mein Sohn los, als ich ohne Karten vom Vorverkauf zurückkomme. Wer rechnet schon damit, daß die riesige Halle nach wenigen Tagen ausverkauft sein könnte. „Daß so viele Leute für so einen Schwachsinn soviel Geld ausgeben, hätte ich nicht gedacht“, verteidige ich mich. Statt sich auf die übliche Diskussion über das von vorne bis hinten abgekartete Spiel dieser Kämpfe einzulassen, wird Sohnemann ganz ernst: „Jetzt hör mal zu: Bret Hitman Hart kommt in die Stadt, zweifacher World-Champion, zweifacher Tag- Team-Champion und zweifacher Intercontinental-Sieger – den muß ich einfach sehen, verstehst du. Außerdem hast du's versprochen!“

Vor der Halle ergattern wir für 20 Mark Aufschlag zwei Karten, und als drinnen das Licht ausgeht und der Ansager in den Ring steigt, ist schon die Hölle los. Und es sind keineswegs nur Kids, die den Einmarsch des ersten Gladiators bejubeln, die Mehrzahl des Publikums sind Erwachsene, darunter erstaunlich viele Frauen. Sechs Kämpfe werden an diesem Abend geboten, wobei der An- und Abmarsch oft fast so lange dauert wie der eigentliche Kampf. Jeder Catcher ist ein Charakter, mit spezieller Musik, Kostüm und Requisiten. Der „Undertaker“ kommt nie ohne seine Urne, der Steuereintreiber „IRS“ immer mit Schlips und Aktenkoffer, die drei schwarzen Kolosse von „Men of the Mission“ intonieren den Gangsta-Rap, und der Sumo-Ringer „Yokozuna“ schiebt leibhaftige 500 Pfund im meditativen Watschelgang durch die Halle. Die Kunst der Brachial-Artistik, die sie im Ring zeigen, besteht darin, dem Gegner trotz brutaler Schläge und übelster Würgegriffe kein Haar zu krümmen. Jeder im Publikum weiß, das nichts Ernsthaftes passiert, und doch kann die Stimmung im alten Rom, als die Gladiatoren noch auf Leben und Tod kämpften, kaum besser gewesen sein. Je akrobatischer ein Wurf, desto tosender der Jubel – und wenn der bad guy „IRS“ dem guten Indianer „Tatanka“ den Metallkoffer überzieht, während der Ringrichter ostentativ wegschaut, wird er tausendfach und aus tiefstem Herzen ausgebuht.

Die Simulation ist perfekt. „Wat im Ring ablooft, is lächalich, aba die Stimmung is voll dufte“, kommentieren zwei 50jährige. Tatsächlich hat das Geschehen weniger mit Kampf und Gewalt als mit Action- Theater und Zweikampf-Choreographie zu tun. Die zivilisatorische Meisterleistung des Publikums, diesen Fake als wahr zu akzeptieren (um Blutvergießen zu vermeiden), kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden – die WWF-Stars sind die Helden des postheroischen Zeitalters.