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: Klassische Hingabe

■ "Wortwechsel"

„Wortwechsel“, Sonntag, 22.45 Uhr, Südwest 3

Was ist spannend daran, über 45 Minuten hinweg einem Ex- Verfassungsrichter zuzuhören, der als Erz-Evangele den Katholen behilflich war und deswegen vom Papst zum „Ritter des Ordens des heiligen Silvester“ geschlagen wurde? Daß hier tatsächlich eine Persönlichkeit befragt wurde – ein Protagonist der aussterbenden Gattung des redlichen Intellektuellen. Im Gespräch mit Ernst Elitz absolvierte Ernst Gottfied Mahrenholz einen „Wortwechsel“, der fast jede gängige Talk-Show überflüssig erscheinen läßt. Ganz untelegen inszenierte der Talk-Gast seinen Auftritt nicht mit zahllosen Beiläufigkeiten, erzählte keine dieser flippigen kleinen Geschichtchen, die man ansonsten im Fernsehen unentwegt hört, wenn sprechende Köpfe gezeigt werden.

Statt dessen wurde das Private und das Öffentliche einer Person so verhandelt, daß man nicht gleich den Eindruck gewinnt, der Betreffende habe nur fürs Fernsehen gelebt. Solches ist im Zeitalter des wuchernden postmodernen Medien-Intellektualismus tatsächlich ein Ereignis. Was Mahrenholz in diskreter Zurückhaltung und mit einer heute ausgestorbenen Hingabe an die Sache zu berichten hat, sind jene – längst aus dem Blickfeld geratenen – Einzelheiten aus der Feinmechanik der Demokratie.

Es ist uninteressant, daß jeder Schriftsteller in den Augen des Talk-Show-Touristen Reich-Ranicki ein „Casus“ ist. Statt dessen interessiert, wie ein tatsächlicher — und kein selbsternannter — Richter über Kultur denkt. In den Fragen, wie Mauerschützen juristisch behandelt werden sollen und ob zur lebenslänglichen Haftstrafe verurteilte NS-Verbrecher ihre Familien sehen dürfen, bezieht Mahrenholz präzise Stellung. Und nicht nur das. Seine Ausführungen sind nachvollziehbar, weil sie Grundprinzipien des Zusammenlebens tangieren und sogar dann Sachfragen bleiben, wenn sie vor der Kamera erläutert werden.

Es ist vielleicht altmodisch: aber hier läßt sich Fernsehen wieder über seinen Inhalt definieren und nicht bezüglich der mediengerechten Präsentation von eigentlich Belanglosem. Schade nur, daß Elitz das Thema Gewalt in den Medien nicht ansprach, denn auch hier vertritt Mahrenholz eine kritisch-unpopulistische Meinung. Gleichwohl – angesichts derartiger „Wortwechsel“ kann man darüber nachdenken, ob man nicht die Mündigkeit des Zuschauers wieder einführen sollte. Manfred Riepe