Gegenangriff im Gebetsmantel

Eine Foto-Ausstellung in der Alten Synagoge Essen dokumentiert Juden im Bild der Bundesrepublik. Mit „Stern“ und „Spiegel“ allein läßt sich die Behauptung eines eingeengten Medien-Blickfeldes jedoch nicht belegen  ■ Von Boike Jacobs

Wenn man die Berichterstattung deutscher Medien verfolge, gewinne man den Eindruck, Juden vermehrten sich durch alte Männer und Grabsteine, hat die jüdische Theologin Dr. Pnina Navè Levinson einmal in einem Stern-Interview moniert. Fotografien jüdischer Frauen wurden in den vergangenen 40 Jahren nur selten in deutschen Zeitschriften abgedruckt, mit Ausnahme der ebenso attraktiven wie schwerbewaffneten Israelin – des Urbilds der männermordenden Judith. Israels Soldaten dagegen werden ganz anders präsentiert. „Mit dem Gebetsmantel zum Gegenangriff“ hat der Stern ein Foto unterschrieben, auf dem zwei uniformierte Israelis neben einem Panzer sitzen und offenbar in der Gefechtspause einen Gottesdienst abhalten. Ein Bild aus dem Jom-Kippur-Krieg, das nicht einfach Realität zeigt, sondern auf ein gängiges christliches Vorurteil zurückgreift: auf die hohe Gewaltbereitschaft der jüdischen Religion.

Den reißerischen Titel dieses Fotos haben die Mitarbeiter des Museums Alte Synagoge Essen gemeinsam mit der Leiterin Edna Brocke für ihre jüngste Ausstellung übernommen: „Mit dem Gebetsmantel zum Gegenangriff – Juden im Bild der Bundesrepublik“. „Fotografien spiegeln nicht nur Realität, sie erzeugen sie auch, indem sie dem Betrachter Vorstellungen von der Welt nahelegen“, lautet ihre Erkenntnis nach der Analyse von Reportagen im Spiegel und Stern. Jedes Bild hat ein Vor-Bild, ein Vor-Urteil, das das scheinbar objektive Foto bestärkt.

Das bezieht sich nach Ansicht der Aussteller bei der bundesdeutschen Berichterstattung nicht nur auf religiöse Vorurteile – als viel alarmierender haben sie bei ihren Recherchen „tiefsitzende Aufrechnungswünsche“ erfahren, die am deutlichsten bei der Berichterstattung über Israel zutage treten. „Israels Blitzkrieg“ lautet ein Spiegel-Titel, und im Stern heißt es in einer Reportage über die Intifada: „Killer gegen Kinder – Israels Todesschwadronen“. Auf die Spitze getrieben wird der Vergleich zwischen Israel und dem NS-Staat schließlich durch die Spiegel-Überschrift „Die Palästinenser sind die Juden der Juden“. Das Opfer, das zum Täter wird, heißt die heimliche Botschaft hinter der scheinbar sachlichenen Darstellung von Fakten.

Es ist allerdings nicht unbedenklich, daß diese Ausstellung vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Verfolgung auch die häufige Darstellung von Juden in der Opferrolle als subtile Verunglimpfung anprangert. „Die in der Bundesrepublik lebenden Juden werden in den Medien weniger als die Repräsentanten ihrer eigenen Gegenwart gezeigt, sondern vielmehr als die Stellvertreter des Todes, der Erinnerung an die NS- Verbrechen und das geographisch ferne Israel“, heißt es kritisch in dem Begleitbuch zu dieser Ausstellung.

Eine Rüge, die nicht unwidersprochen bleiben sollte. Zwar haben die prominenten Meinungsmacher Spiegel und Stern in der Vergangenheit nur wenig über jüdisches Leben von heute berichtet, aber aus der Einengung des Blickfeldes auf zwei Zeitschriften kann deshalb noch lange nicht auf ein eingeengtes Blickfeld gesamtdeutscher Berichterstattung geschlossen werden. Im Gegenteil, jüdisches Leben wird hierzulande ausführlicher und engagierter beobachtet und kommentiert als das irgendeiner anderen Minderheit. Vom Sender Freies Berlin bis zum Bayerischen Rundfunk strahlt jede Rundfunkanstalt allwöchentlich eine Sendung zum Sabbat aus, in der sich überwiegend Rabbiner zu religiösen Gegenwartsfragen äußern. Die beiden großen christlichen Wochenzeitungen Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt und Rheinischer Merkur informieren ihre LeserInnen immer wieder ausführlich über soziale Probleme der jüdischen Gemeinschaft: die Integration der Neuzuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die Folgen der rapide wachsenden jüdischen Mischehen oder die Frage, ob die jüdische Gemeinschaft sich auch in Zukunft eine eigene Presse wird leisten können. Die Lokalzeitungen schließlich nehmen sich in Wort und Bild der jüdischen Ereignisse vor Ort an, seien es nun besondere kulturelle Veranstaltungen wie ein Konzert russischer Juden, der Kampf um das ehemalige Friedhofsgelände in Hamburg-Ottensen oder jüdische Gedenkfeiern und Enthüllungen von Mahnmalen. Eine Berichterstattung, die zwar weder so plakativ und pointiert ausfällt wie die von Spiegel und Stern, aber dennoch in dieser Ausstellung nicht einfach hätte übergangen werden dürfen.

Suggerierte Selbst- und Fremdbilder

Und noch etwas anderes hätte nicht übergangen werden dürfen: Es waren nicht nur die Journalisten, die in Juden in erster Linie die Mahner an die NS-Verbrechen und an die besonderen Beziehungen zu Israel gesehen haben. Es waren nicht minder die Juden selbst, denn beide Themen haben in ihrer Öffentlichkeitsarbeit jahrzehntelang eine zentrale Rolle gespielt. Prominentestes Beispiel für diese Haltung ist Heinz Galinski. Hätte man die Exponate in der Alten Synagoge Essen durch eine Abteilung über jüdische Presse im Nachkriegsdeutschland erweitert, dann wäre eines sehr schnell deutlich geworden: Auch die Allgemeine jüdische Wochenzeitung hat Juden vor allem als Opfer des Nationalsozialismus dargestellt und ihre tiefe Bindung an Israel unterstrichen. Selbstbild und Fremdbild der Juden in der Bundesrepublik klaffen also durchaus nicht immer so weit auseinander, wie die Ausstellung in der Alten Synagoge Essen dies suggerieren möchte.

Und daß auch jüdische Selbstdarstellung nicht frei ist von Vorurteilen und Manipulationen, macht in dem umfangreichen Begleitbuch zur Ausstellung ausgerechnet ein Beitrag der Israelin Edna Brocke deutlich. Die Anzahl deutsch-jüdischer Remigranten nach 1945 sei verschwindend gering gewesen, erklärt die Leiterin der Alten Synagoge Essen. „Mitte der fünfziger Jahre ebbte auch diese Bewegung ab. In die frühere DDR kehrten allerdings weit mehr ehemalige deutsche Juden zurück als in die Bundesrepublik.“ Das ist eine gängige israelische Wunschvorstellung.

Die Zahlen, die die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland alljährlich veröffentlicht, sprechen allerdings dagegen. Deutsch-jüdische Rückwanderung setzte zur Hauptsache erst Mitte der fünfziger Jahre ein, als die Wiedergutmachungsgesetze den Vertriebenen endlich einen Neubeginn in der alten Heimat ermöglichten. Und aus ebendiesem Grunde blieb die Bundesrepublik in den vergangenen 40 Jahren auch immer das bevorzugte Terrain für jüdische Rückwanderer – zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung waren in der DDR nicht mehr als 400 Juden registriert.

Die Ausstellung „Mit dem Gebetsmantel zum Gegenangriff – Juden im Bild der Bundesrepublik“ ist noch bis zum 11. Dezember im Museum Alte Synagoge Essen zu sehen.

Der Katalog, Klartext Verlag, 115 Seiten, kostet 19,80 DM.