Springteufel und Furien

Cheerleader gelten beim American Football als Pausenclowns, doch sie betreiben einen harten Sport  ■ Von Herrn Thömmes

Am Wochenende verwandeln sich junge Frauen in wahre Springteufel und Furien. Dann werfen sie Arme und Beine in die Luft und brüllen, was die Stimmbänder hergeben: Angriff! Rammt sie in den Boden! Attacke! Auf englisch und in rhythmischem Stakkato. „The Seahawks gonna set the pace, gonna crack your face, gonna turn around, gonna drive your team into the ground.“

Das hört sich böse an, richtig aggressiv, aber Katja, Katrin, Jana und die anderen stecken in Kleidchen, wie sie auch Eiskunstläuferinnen tragen. Lauter zitronengelbe Falter mit glitzernden Pailletten. Jede Hand verschwindet im Pompon, einer Art Mop aus blauem Lametta – auch blutrünstige Sprüche werden so von einem Hauch Karneval in Rio umweht. Cheerleader beim American Football müssen immer charmant und fröhlich sein – und verbal manchmal total gemein.

Schließlich sollen sie ihr Team nach vorne treiben, ihm im Abwehrkampf den Rücken stärken, das Publikum zum Rasen bringen – und in den Pausen für Unterhaltung sorgen. Das ist nicht wenig verlangt, denn American Football hat unendlich viele Pausen. Eigentlich besteht es aus einer einzigen großen Pause, die von gelegentlichem Spiel unterbrochen wird. „Wir müssen“, sagt Katja, 17, von den Bremerhaven Seahawks, „zweieinhalb Stunden volle Power geben.“ „Wir müssen“, sagt ihr Coach Christel Weber, 38, „die Trägheit der Masse überwinden.“ Die träge Masse im heimischen Nordseestadion besteht aus rund 300 Zuschauern – Verbandsliga, vierte Klasse. Oder aus der eigenen Mannschaft. Wenn die gegen die Wolfsburg Bluewings schlappmacht, drehen die Cheergirls auf. „Attack, attack, get the ball back!“ Die Augen sind wach am Spielgeschehen. „Du kannst nicht einfach ein Programm abspulen“, sagt Petra, 27. „Wenn die Jungs noch einen Touchdown zum Sieg brauchen, gibt's Dampf. Zwei Minuten noch! Go...Fight...Win! Zeigt's ihnen! We gonna beat you!“ Dabei ist das Image der agilen Stimmungskanonen lausig: Hupfdohlen, Pausenclowns. Der 20jährigen Katrin hängt die Reaktion ihrer Mitschüler zum Hals raus. „Ach, Ihr seid die mit den kurzen Röckchen, die neben dem Spielfeld rumhopsen.“ Und wenn sie zum Training geht, heißt's: „Was, das Gehampel muß man auch noch üben?“

Die Seahawks gehören zu den Pionieren hierzulande, was den wohlorganisierten und regelgerechten Jubel angeht. 1980 begann eine Handvoll junger Frauen in Bremerhaven, Schlachtrufe mit den passenden Bewegungen einzustudieren. Inzwischen gibt es bundesweit schon etwa 130 „Squads“, wie die Gruppen genannt werden, mit rund 1.200 Aktiven; eine echte „Cheerleaderbeauftragte“ hat der American Football Verband Deutschland (AFVD) mittlerweile sogar.

Vier Mal die Woche bittet Trainerin Christel Weber für vier Stunden zum Üben in die Turnhalle des Bremerhavener Nordseestadions. Endlose Gymnastik, Dehnen, Kraftübungen. Dann die Kür. „Pompons down!“ – Katja gibt zackig das Kommando – „one, two ...“ In scharfem Rhythmus stampfen Füße auf den Boden, als würden in West Point die Marines zum Appell antreten. Rockmusik dröhnt, die acht Cheergirls stehen in zwei Reihen, wirbeln mit ein paar Tanzschritten durcheinander, formen ein Quadrat, eine Diagonale. Pompons rascheln und zucken hin und her, als müßte ein Fliegenschwarm vertrieben werden. Synchrone Bewegungen, die ein bißchen an Karate erinnern. Die Adern am Hals schwellen: „Watch out, fans, here we come! I guess, we're number one!“

Petra wird nach oben gedrückt und steht auf zwei Schultern in luftiger Höhe wie eine Statue, Christina legt einen Flickflack hin und knallt aus der schnellen Bewegung in den Spagat – lächelnd. „Yeah!“ Die weiblichen Seahawks trainieren weit mehr als die harten Kerle mit den vergitterten Helmen und den breiten Schultern, die vorwiegend aus Polsterung bestehen und auch normale Körper zu Rambomaßen aufplustern.

Etwa hundert solcher Cheers und kürzere Chants haben die Seahawks im Repertoire. Text, Choreographie, Körperspannung, Haltung – alles muß sitzen. Zwischendurch werden ruck, zuck, aus Leibern Pyramiden gebaut, daß die alten Ägypter ganze Steinquader staunen würden. Petra beginnt zu wackeln. Die Statik! Jana jault auf. Katja hat ihr den Turnschuh kräftig aufs Auge gedrückt, jetzt sucht sie erst einmal Kühlung unterm Wasserhahn. 7.000 verletzte Cheerleader jährlich melden die USA.

Was für ein Sport! Allein das Schreien. Tief aus dem Bauch muß die tiefe Stimme kommen, was nicht einfach ist für junge Damen, aber wer mit der Kehle piepst, kriegt danach tagelang kein Wort mehr raus. „Und im Sommer“, sagt Co-Coach Petra, „wird dir ganz schwindelig.“ Doch Cheerleader gehn raus, egal ob die Sonne brennt oder ob's schneit. „Wo die Jungs sind“, sagt Christel Weber, „sind wir auch.“ Alles klar: klassisch weibliche Rolle, Helfersyndrom, immer den Männern zur Seite stehen. Katrin macht große Augen. „So'n Quatsch.“ Früher hat sie geturnt, wie die meisten andern auch. „Immer allein, ohne Team, ohne Publikum.“ Jetzt kann sie sich den Leuten zeigen, richtig losfetzen, aus sich rausgehn – „das ist der Reiz dabei“.

Wie bei der Deutschen Cheerleader-Meisterschaft in Flensburg zum Beispiel, wo die Seahawks im vergangenen Jahr den zweiten Platz belegt haben. 1.300 Zuschauer in der Halle, lauter Sachkundige im sportlichen Anfeuern, Riesenstimmung. Oder bei der ersten Europameisterschaft im englischen Seebad Blackpool, zu der sie reisten; einzige Qualifikationshürde: den Fahrpreis für die Bahn zusammenzukratzen. „Weil wir wissen wollten“, wie die Trainerin bertimäßig formulierte, „wo wir international stehen.“

Die Standortbestimmung tags darauf zeigt dann, daß es unter Europas Cheerleadern zugeht wie im russischen Parlament. Orthodoxe gegen Liberale. Klassisch die Seahawks in Selbstgenähtem und die Dynamites aus Stockholm, die ihre züchtigen Kostüme aus den USA haben einfliegen lassen und in geschwindem Pyramidenbau glänzen. Klassisch auch die Falcons aus Blackpool, die sogar sechs kräftige Burschen dabeihaben und Mädchen wie Jonglierbälle in die Luft werfen. „Die machen's“, sagt Petra beeindruckt.

Aber dann kommen die Hotshots aus Birmingham und siegen. 15 Grazien aus einem Tanzstudio, knapp geschnittener blauer Dreß mit Rüschen überm Hintern, falsche Wimpern, Stiefeletten statt Turnschuhe, hochgebundene Haare mit gelb-roten Schleifchen – eine Show legen die hin, als wär's das Ballett aus dem Ostberliner Friedrichstadtpalast. „Perfekt“, brummt da Petra, „aber den Geist des Cheerleadings haben die nicht verstanden.“ Wie sollten die Hotshots auch, beim American Football waren die Tanzhäschen noch nie. Touchdown? Um ein Ei wird da gekämpft? Keinen blassen Schimmer haben Europas erste Titelträgerinnen.

Dieser Kontinent ist eben Diaspora, wenn auch immer mehr Jugendliche mit Jacken der „San Francisco 49ers“ herumlaufen. Cheerleading ist so amerikanisch wie Kaugummi und Jeans. Eine Million Kids und Twens in den USA wedeln mit Pompons, beliefert mit Zubehör von einer ganzen Industrie, wetteifern sie um die begehrten Plätze in den Squads, getrimmt von speziellen Trainern für Kraft, Tanz, Technik, Akrobatik, Stunts, Choreograhie. Es geht um Ehre, um Stipendien an Schulen und Colleges, und in Houston/Texas wanderte ein Mutter für 15 Jahre hinter Gitter, weil sie auf die Konkurrentin der Tochter einen Killer hetzte.

Das ist nun ganz und gar gegen den Geist dieses 100 Jahre alten Sports, denn die 300 Seiten des „Official Cheerleaders' Handbook“ lesen sich wie ein Leitfaden für den kleinen Pfadfinder: kein Sex, kein Alkohol, keine Zigaretten – immer lächeln, immer mit gutem Beispiel voran. Wer gegen den Kodex verstößt, fliegt. So eng können das die Bremerhaven Seahawks schon aus Personalgründen nicht sehen, aber immerhin: Auf der Fahrt zu Auswärtsspielen sitzen Katja, Katrin, Jana und die andern im Bus ganz vorn und die Spieler ganz hinten, fein nach Geschlechtern getrennt. Ein bißchen echte amerikanische Tradition soll schon sein.