■ Literatur-Preisverleihung an Radovan Karadžić
: Vom Don an die Drina

Wer hätte nicht gerne mal einen Preis? Zumal einen literarischen? Schaut man die Laureatenlisten durch, wird eigentlich jeder bedacht. Die internationale Milchwirtschaft zeichnet aus für Sahniges und Entrahmtes. Jede Minderheit hat ihre Preisgekrönten. Der österreichisch-kroatische Literaturpreis ging dieses Jahr schon an Viktor Meyer. Der weniger attraktive Ciceropreis wurde ebenfalls anderweitig vergeben. Der Lorbeer für Rhetorik ist nicht übermäßig begehrt mit einer „künstlerisch gestalteten Skulptur“ als Siegertrophäe. Der römische Senator wäre liquider gewesen. Da mußten die Russen in die Bresche springen, um die Literatur auf dem Balkan zu retten, – und weltweite Präsenz zu beweisen. Ohne sie wäre Radovan Karadžić leer ausgegangen.

Den meisten dieser Ausgezeichneten haftet eine Besonderheit an: keiner kennt Werk und Autor. Sie sind nur einer interessierten – pardon – interessengebundeneren Minorität vertraut. Im harmloseren Fall den Joghurtherstellern aus Lünen. Die Verleihung des Scholochow-Preises an Karadžić kann die Fachwelt nicht bestürzen. Sie kennt Autor und Werk. Leider nur das prosaische. Diesjährig wurde der „Scholochow“ für Lyrik vergeben. Weder Preisträger Karadžić noch der Namensspender sind als Lyriker eingeführt. Doch mit ein wenig Phantasie erschließt sich einem die Logik der Preisverleihung.

Scholochow phantasierte über „Neuland unterm Pflug“ – Karadžić setzt es um. Der Russe stellt seinem Don ein Kosakenlied voran: „... Gesät ist Mütterchen Erde mit Kosakenköpfen, geschmückt ist unser stiller Don mit Waisenkindern, gefüllt sind die Wellen des stillen Don mit Tränen....“ Karadžić wechselt nur die Silben aus. Aus Kos- werden Bosniaken. Unter seinen Händen gerät Literatur zum Leitmotiv der Politik. Wie es sich für einen künstlerisch ambitionierten Psychiater gehört, verdichtet er sein Tun. Er wird lyrisch. Dafür belohnten ihn die Mitglieder des russischen Schriftstellerverbandes jetzt.

Die Juroren haben dem Staat nie verziehen, daß er ihnen die Kostgelder kappte. Was sich heute hinter diesem russischen Verband versteckt, verdient keinen Ehrentitel. Sie denken immer noch, mit dem Territorium wächst die Auflage: Reicht der russische Einfluß bis ans mare nostrum, steigen die Zwangsveröffentlichungen. Bellizisten statt Belletristen. Ihr Vorsitzender Prochanow hat außer antidemokratischen Tiraden und saumäßiger Journaille nichts geliefert. Trotz allem wollen wir die „Poetik und den Humanismus“ des Preisbedachten kennenlernen. Wahrscheinlich zögern deutsche Verlage mit der Übernahme. Sie behaupten, es gäbe keine Geschichtenerzähler mehr. Wäre der Preisgekrönte nicht einen Versuch wert? Klaus-Helge Donath