■ Barsani fordert ein UN-Protektorat für Irakisch-Kurdistan
: Angst vor der Normalisierung

Drei Jahre nach der Loslösung Irakisch-Kurdistans von Bagdad zerfällt, was einst als Keimzelle eines kurdischen Staats erschien. Doch es wäre falsch, die Autonomie als gescheitertes Experiment eines kurdischen Staats zu werten. Die rund 3,5 Millionen KurdInnen in dem 40.000 Quadratkilometer großen Gebiet hatten kaum eine Chance auf eine bessere Entwicklung. Das Autonomiegebiet entstand aus einem humanitären Auffangbecken, das nicht den Grundstein zu einem Staat bilden, sondern die Herausbildung eines solchen gerade verhindern sollte. Die vom UN-Sicherheitsrat 1991 zum Schutz der KurdInnen verabschiedete Resolution 688 bekräftigt ausdrücklich die „territoriale Integrität des Irak“.

Ungeachtet der internationalen Ablehnung eines kurdischen Staats wagten die KurdInnen etwas, was im Nahen Osten revolutionär ist: Demokratie. Im Mai 1992 wählten sie eine Regierung. Doch kein Staat der Welt pflegt offizielle Kontakte zu ihr. Die meisten internationalen Hilfsorganisationen und UN-Vertreter halten Kontakte zu lokalen Stammesgrößen und Parteifunktionären. Weil die kurdische Regierung in der internationalen Wahrnehmung nicht existiert, kann sie auch nicht den Aufbau des eigenen Landes koordinieren. Ölfirmen, die unter der kurdischen Erde ruhende Erdölreserven erschließen könnten, fehlen die Vertragspartner. Eine lukrative Bewirtschaftung des fruchtbaren Bodens ist unrentabel, weil kein Außenhandel betrieben werden darf. Da Irakisch-Kurdistan als Teil Iraks gilt, lastet auf ihm das nach dem Einmarsch in Kuwait verhängte internationale Embargo. Daß unter all diesen Umständen die Regierung bei der eigenen Bevölkerung wenig Ansehen genießt, liegt auf der Hand. Wen wundert es, daß bei weitgehender Bewaffnung der Bevölkerung, chronischer Unterversorgung und Perspektivlosigkeit aus Alltagskonflikten Schießereien werden?

Den umliegenden Mächten kommen solche Konflikte gerade recht. Irakische Geheimdienstler verüben in Kurdistan Anschläge; iranische Truppen und türkische Bomber dringen in die von der UNO zur Schutzzone erklärte Region ein, ohne daß die UNO protestiert. Massud Barsani hat nun gefordert, den Norden Iraks zum „UN-Protektorat“ zu erklären. Durch die Abgabe von kurdischer Souveränität an die UNO würde diese zu größerem Engagement gezwungen. Jedoch spricht vieles gegen eine Zukunft der Autonomie. In Paris, Ankara, Bonn, Washington und anderswo sitzen Geschäftsleute in den Startlöchern für die Zeit nach der Nach-Golfkriegszeit. UN-Diplomaten reden über eine „Normalisierung“ der Verhältnisse zum Irak. Unter „normalen“ Verhältnissen wird aber weder für ein Protektorat noch für eine Schutzzone Platz sein. Thomas Dreger