Norwegens Walfänger schlachten wieder

■ Umweltschutzorganisationen protestieren, US-Handelssanktionen drohen

Oslo (taz) – Norwegens Regierung hat am Montag abend grünes Licht für die diesjährige Waljagd geben. Die 30 Walfangschiffe des Landes dürfen 301 Zwergwale abschlachten. 189 davon dürfen kommerziell verwertet werden – das sind 29 mehr als im vergangenen Jahr. Die restlichen 112 Tiere dienen dem „wissenschaftlichen“ Walfang. Das Fleisch dieser Tiere darf offiziell nicht vermarktet werden. Die Preise für Walfleisch liegen derzeit bei fast 50 Mark pro Kilo, die Walindustrie rechnet sich daher satte Profite aus. Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen kündigten umgehend neue Boykottaufrufe an. Im vergangenen Jahr hatten mehrere Handelsketten in der Bundesrepublik, Großbritannien, den USA und anderen Ländern norwegische Produkte aus den Regalen genommen. Vor allem beim Export von Lachs, Käse und Schlafsäcken haben die Hersteller- und Vertriebsfirmen über empfindliche Einbußen geklagt. Seitens der Exportindustrie ist der Regierung vorgeworfen worden, aus Rücksicht auf die Walfänger die Marktchancen und den Ruf des Landes im Ausland zu gefährden.

Offiziell versucht die Regierung, die Wirkung der Boykottaktionen herunterzuspielen. Handelssanktionen der USA waren von Präsident Clinton im vergangenen Jahr jedoch nur deshalb nicht gegen Norwegen verhängt worden, weil die entsprechenden formalen Prozeduren im Senat sich so lange hinzogen, bis die Walfänger ihre Saison abgeschlossen hatten. Der US-Präsident hatte daraufhin angekündigt, die Frage von Sanktionen wieder aufzuwerfen, falls Norwegen eine neue Waljagd genehmige. Wirtschaftskreise nehmen die Warnung ernst. Sie fürchten, daß es in diesem Jahr tatsächlich zu Sanktionen kommt.

Die wissenschaftliche Begründung ist umstritten, mit der das Fischereiministerium trotz des immer noch geltenden Moratoriums der Internationalen Walfangkommission (IWC) die Waljagd erneut freigegeben hat. Gegen die norwegische Zählmethode – von tatsächlich gesichteten 583 Walen wurde auf einen Bestand von 80.000 hochmultipliziert – bestehen international ernste Einwendungen. In der Vergangenheit hatten sich die Walfangnationen mit Norwegen und Japan an der Spitze immer „verzählt“, bis eine Walart nach der anderen ausgerottet worden war. Rußland hatte vor der letzten Jahrestragung der IWC eingeräumt, daß die sowjetische Walfangflotte die offiziell genannten Abschußzahlen tatsächlich immer mehrfach „überjagt“ habe. Alle bisherigen Hochrechnungen über Bestandszahlen gehen deshalb von falschen Voraussetzungen aus.

Während der letzten Walfangsaison konnten die norwegischen Walfangschiffe trotz intensiver Suche im ganzen Nordatlantik die ihnen von der Regierung genehmigte Abschußquote nicht einmal erreichen – sie bekamen nicht genügend Wale zu Gesicht. Von ExpertInnen wird dies als Alarmsignal gewertet, daß der tatsächlichen Bestand an Zwergwalen immer weiter abnimmt. Reinhard Wolff