Die stumpfe Oscar-Kopie im Kreuzfeuer der Kritik

■ Morgen fällt in Berlin die Entscheidung über den Deutschen Filmpreis 1994. Die Kinoverbände wollen Publikumserfolge gekrönt wissen - Filmkritik und Jury wehren sich gegen die Einmischung...

Die Fachkritik straft den alljährlichen Vorgang mit notorischer Ignoranz oder mildem Spott. Auch diesmal werden die Filmkritiker der Nation erläutern, was im Theater des Westens bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises wieder falsch lief, welche ihrer Favoriten schmählich übergangen wurden, welche unwürdigen Kandidaten das Rennen machten, wie die lärmende Lustigkeit und der tapfere Optimismus der Zeremonie die tiefe Krise des deutschen Films zu übertünchen versuchten. Alle Jahre wieder die gleiche Polemik.

Seit 1951 das Bundesinnenministerium den Deutschen Filmpreis begründete und die Auszeichnungen ab 1955 auch mit ansehnlichen Geldprämien versah, wird über den wichtigsten deutschen Preis im Sektor Film lamentiert, polemisiert, diskutiert. Immer die gleichen Einwände: fragwürdige Nominierungen, ungerechte Preisentscheidungen, inkompetente Gremien, Einflußnahmen der Politik und der Branche.

Nationale Filmpreise gibt es überall. Die Gala für die „Césars“ in Paris prangt auf Postern, Titelgeschichten, Bildschirmen, langen Farbstrecken in den Illustrierten. Selbst der „Goldene Kader“, letzte Woche in Wien vergeben, hatte eine sympathische Atmosphäre von maßvollem Glamour und Familientreffen. Der Bundesfilmpreis hingegen verbreitet die müde Aura eines Gewerkschaftstreffens in Hessen Mitte. Ein miserabel informierter und garantiert desinteressierter Minister, verbale Peinlichkeiten in Serie, staksiges Gewurstel bei der Preisübergabe. Und wie überall die stumpfe Kopie des „Oscar“-Rituals mit versiegelten Kuverts, ungläubigem Staunen der Auserwählten, gestammeltem Dank an die Großmutter, den lieben Pförtner im Studio, die geduldige Hauskatze ...

Acht Titel sind nominiert und bekommen je 300.000 Mark für die Produktion eines neuen Films: ein kulturelles Äquivalent zur sogenannten Referenzförderung der Filmförderungsanstalt, die allein den Publikumszuspruch eines Films honoriert. Zwei Titel können ein Filmband in Silber und je 600.000 Mark, einer ein Filmband in Gold oder die Goldene Schale bekommen (800.000 beziehungsweise 900.000 Mark).

Dümmliche Einmischungen der Schwerverdiener

Dem Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) fehlen in der Liste diesjähriger Nominierungen Kommerztitel wie „Das Geisterhaus“ von Bille August, Schneiders „Doc Snyder“, Vilsmaiers „Doppeltes Lottchen“. Erfolg habe im deutschen Film „anscheinend etwas Anrüchiges ... Einen solchen Filmpreis brauchen wir nicht.“ Was wir nicht brauchen, sind dergleichen dümmliche, unqualifizierte Einmischungen der Schwerverdiener des maroden deutschen Filmbetriebs in das Gebaren eines reinen Kulturpreises. Wird allein der Publikumsgeschmack zum Kriterium erhoben, wie bei der vom HDF vergebenen „Goldenen Leinwand“, braucht man kein hochkarätiges Fachgremium. Schon 1993 monierte der HDF, daß Vilsmaiers „Stalingrad“ und Timms „Mann für jede Tonart“, ebenfalls zwei Kassenerfolge, nicht nominiert wurden. Im gleichen Jahr irritierten die Kinoverbände viele Deutsche und düpierten viele europäische Partner, als sie sich während der Debatte um das Welthandelsabkommen Gatt den Forderungen der USA nach völliger Aufgabe der Protektion des europäischen Films anschlossen: Man verwahre sich gegen einen „europäischen Kulturzoo“, hieß es damals, und wolle sich „nicht dazu verGATTern lassen, europäische Quotenfilme zu spielen“. Reaktionäre Kommentare waren das, von Interessenverbänden, die sich aus kulturpolitischen Entscheidungen doch besser heraushielten. Immerhin wurde damals klar, wer die wirklichen Gegner des deutschen und des europäischen Films sind.

Armer deutscher Film. Ohne Förderung kann er nicht überleben, mit ihr züchtet er eine weitere Generation falscher, fauler Produzenten heran. Und weil die Kulturhoheit der Länder, politisch ein Segen und für die Medien ein Fluch, auch die Filmförderung fest in ihren Klauen hat und die Produktionsfirmen zu aberwitzigen Manövern kreuz und quer durch die Republik hetzt, wird der Kleckerbetrieb des deutschen Films und der deutschen Filmförderung auch in der Zukunft das Geschehen bestimmen. Die Attacken auf den deutschen Filmpreis sind nur ein Spiegel dieser Situation, nur ein Nebenschauplatz der heillosen, grundsätzlichen Auseinandersetzung.

Zu diesen grotesken Sachzwängen, die das europäische Ausland nur noch kopfschüttelnd und resigniert zur Kenntnis nimmt, kommt die besonders beklemmende Tradition einer unseligen Staatsnähe im deutschen Film, der seit 100 Jahren majorisiert, kontrolliert, zensiert, zum vorauseilenden Gehorsam gezwungen wird. Vom Kaiserreich, das ein neues, aufmüpfiges „Theater des kleinen Mannes“ sofort unter die Fittiche konservativer Bildungsfunktionäre verwies, von der UFA-Gründung durch General Ludendorff als Propaganda-Instrument bis zu Goebbels' Staatskino, von den ideologischen Ge- und Verboten des DDR-Regimes über die verschleierte Zensur der Freiwilligen Selbstkontrolle im Westen bis zu Bundesfilmpreisen für politisches Wohlverhalten reichen die Versuche, einen ganzen Kulturzweig auf Staatsräson zu konditionieren.

Hoffentlich hat Herr Kanther einen guten Redenschreiber. Die Filmszene wird ihm aufmerksam zuhören, wenn der CDU-Innenminister zur Verleihung spricht. Den Konflikt, sich morgen im Theater des Westens in den Hofstaat eines strammen Rechten einzureihen, muß jeder mit sich selbst ausmachen. Armer deutscher Film. Weil er chronisch unterfinanziert ist und an einem viel zu spärlichen Tropf hängt, hat er kaum eine Alternative. Er braucht jede Mark, wer immer sie verwaltet, bewilligt und hoheitsvoll gewährt. Wolf Donner