: „Wir brauchen eine gerechte Verteilung“
■ Drogenhilfe und Marktwirtschaft: taz-Interview mit dem Drogenbeauftragten Horst Bossong
taz: Wenn man Ihren Suchtbericht liest, hat man den Eindruck, daß sich die Drogensozialarbeiter auf einiges gefaßt machen müssen. Ein Punkt: Sie kritisieren die „traditionelle Komm-Struktur“ in den Beratungsstellen als überlebt. Hat die Sozialarbeit nichts Adäquates mehr zu bieten?
Horst Bossong: Fakt ist, daß wir Suchtkranke im allgemeinen erst sehr spät erreichen. Wir müssen uns deshalb Gedanken über Wege machen, mit denen wir früher an sie herankommen. Dabei könnte aufsuchende Sozialarbeit eine wichtige Rolle spielen.
Haben die Sozialarbeiter denn bis heute gepennt, oder hat sich die Drogenszene geändert?
Wir haben 1990 bis –93 die Suchtkrankenhilfe erst einmal auf-und ausgebaut und in den Stadtteilen etabliert. Jetzt muß das Maximum an Professionalität und Output erreicht werden.
Erst etablieren und dann merken, es war auf die falsche Weise?
Nein, etabliert heißt, daß sich die Teams gefunden haben und sich die Projekte im Stadtteil vernetzt haben. Auf dieser guten Basis heißt es nun, in die Szene reinzugehen.
Sie wollen in den Beratungsstellen Soll-Fallzahlen für Klientenkontakte festsetzen und außerdem die Öffnungszeiten auf acht Stunden täglich ausweiten. Sind Ihnen die Sozialarbeiter zu faul?
In Hamburg werden in Zukunft öffentliche Mittel nicht mehr in dem Maße fließen wie bislang. Und da muß auch die Suchtkrankenhilfe ihren Beitrag leisten. Im übrigen gibt es keinen Grund, die Einrichtungen nicht acht Stunden lang geöffnet zu halten. Derzeit gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen den Projekten bezüglich der Auslastung. Da muß man fragen, warum einige nicht ausgelastet sind, um dann zu einer gerechten Verteilung zu kommen. Die Zeiten werden auch in der Suchtkrankenhilfe härter.
„Profi-Hilfesystem mit maximalem Output“
Wenn man Fallzahlen festlegt, muß man auch kontrollieren, ob sie eingehalten werden.
Da haben wir zwei Systeme. Einmal wollen wir die therapie-vorbereitenden Leistungen einzelfallbezogen abrechnen. Für jeden erfolgreich in eine Behandlung vermittelten Abhängigen soll es entsprechende Entgelte geben. Bei der Suchtbegleitung müssen wir mit den Einrichtungen Orientierungsmarken erarbeiten.
Und wie wird deren Einhaltung kontrolliert?
Ich gehe davon aus, daß die Projekte ehrlich sind. Sollte sich herausstellen, daß sie uns betrügen, wäre dies das Aus für die Einrichtung.
Bei der Spezialisierung der Angebote sei in Hamburg die Grenze der Angemessenheit erreicht, lese ich in Ihrem Bericht. Also: Spezialisten in der Drogensozialarbeit komplett überflüssig?
Nein. Spezialisierung ist im Grundsatz vernünftig. Aber es gibt eine Grenze, wenn ein Suchtkranker eine eigene Einrichtung braucht, die ihm sagt, wo er mit seinem Problem landen kann. Wir müssen vermeiden, daß für jedes Problem-Segment jeweils neue komplette Sondersysteme aufgebaut werden. Durch ein Zuviel an Spezialisierung kann die Ausgrenzung begünstigt und die Eigenkompetenz des Einzelnen letzlich sogar untergraben werden.
Das heißt, daß es keine neuen Einrichtungen in Hamburg mehr geben wird?
Was wir schleunigst brauchen, sind mehr Entgiftungsplätze und einen erleichterten Zugang zur Methadonsubstitution. In puncto Beratung und niedrigschwelliger Arbeit haben wir fast den Sollstand erreicht, den die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren für notwendig befindet. Insofern gibt es aktuell keine Notwendigkeit für neue Einrichtungen. Es gibt aber die Notwendigkeit, die Kapazitäten so optimal wie möglich einzusetzen.
Und noch ein Tabu-Bruch: Sie wollen Marktwirtschaft in die Drogenhilfe einführen. Als gelungenes Beispiel führen sie das Büro für Suchtprävention an. Wo sind die Vorteile des Prinzips „Dienstleistung gegen Geld“ ?
Für den Empfänger, daß er die erbrachte und bezahlte Dienstleistung sehr viel kritischer überprüfen kann. Entscheidend dabei ist auch, daß die Suchtprävention auf eigene Füße gestellt wird und nicht mehr nur Anhängsel der Beratungsstellen-Arbeit ist.
Und die Junkies müssen künftig auch für Beratung zahlen?
Nein, aber wir haben bei der Substitution bereits ein ähnliches System eingeführt. Dort wird nur die erbrachte Beratungsstunde entgolten. So kann der Junkie selber entscheiden, in welche Einrichtung er geht. Umgekehrt bedeutet dies mit Blick auf die Projekte, daß niemand dahin geht, wo die Arbeit schlecht ist. Also hätten schlecht arbeitende Projekte auf Dauer keine Überlebenschancen.
Da gibt es noch eine Spitze in dem Bericht: Maßnahmen wie „langfristig lose Dauerbetreuung“ seien unprofessionell.
Ich betone im Suchtbericht ausdrücklich, daß wir gute und engagierte Sozialarbeiter haben. Das kann jeder beurteilen, der sich zum Beispiel mal im Drob-In die Arbeit angesehen hat. Auf der anderen Seite wird es immer dann unprofessionell, wenn ein Berater mit dem Klienten nicht klar abspricht, was wie lange gemacht werden soll. Es macht überhaupt keinen Sinn, an eine langfristige Suchtkarriere eine langfristige Betreuungskarriere anzuschließen.
Und die Behörde definiert, wie lange sowas zu dauern hat?
Nein, das muß jeder Suchttherapeut mit seinem Klienten eingrenzen.
Wenn der Bericht umgesetzt ist, gibt es großes Heulen und Zähneknirschen und man erkennt nichts mehr wieder?
Wenn alles umgesetzt ist, erkennt man ein höchst professionelles Suchthilfesystem mit maximalem Output.
Die Stoßrichtung wird die Einführung von Marktwirtschaft sein? Die Stoßrichtung ist das Umstellen von Input-Finanzierung, bei der das Vorhandensein von Einrichtungen und Sozialarbeitern bezahlt wird, in eine Output-Finanzierung, bei der die erbrachte Leistung finanziert wird. Das ist ein fundamentaler Unterschied und wirkt effizienzsteigernd.
Schimmert da ein bißchen „Außer Spesen nix gewesen“ durch Ihren Bericht?
Angesichts der Haushaltslage gibt–s Spesen sowieso nicht mehr. Suchthilfe ist ein Prozeß, der laufend verbessert werden kann. Das heißt aber nicht, daß das, was wir bislang haben, nicht gut ist.
Das Interview führte Sannah Koch
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