: Poker um olympisches Erbe
■ Das Land Berlin soll vom Bund das frühere Reichssportfeld am Olympia-Stadion übernehmen / Die Konditionen und die spätere Nutzung sind noch unklar
17.200 Tonnen Zement lasten derzeit auf dem Verhältnis zwischen Bonn und Berlin. Soviel Material wurde benötigt, um in den dreißiger Jahren die Pläne Werner Marchs für das Berliner Olympia- Stadion in die Realität umzusetzen. Damals galt der Propagandabau der Nationalsozialisten für die Olympischen Spiele von 1936 als modernste Arena in Deutschland. Heute streiten sich der Bund und das Land Berlin darum, wer den Koloß aus Beton, Walzeisen und Naturstein mitsamt dem früheren Reichssportfeld in Zukunft verwalten darf.
Denn spätestens wenn die britischen Alliierten in unmittelbarer Nachbarschaft des Olympia-Stadions abgezogen sind, ist das seit Kriegsende zum Teil vom Bund verwaltete Reichsvermögen in seiner ursprünglichen olympischen Ausdehnung wieder komplett: 1,3 Millionen Quadratmeter Fläche rund um das riesige Sportstadion in Neu-Westend (wozu sowohl das Hockey- und Reitstation als auch Maifeld, Waldbühne sowie das noch unter britischer Verwaltung stehende Ex-Territorium zählen) suchen dann einen neuen Eigentümer.
Fest steht, daß das Bundesfinanzministerium, dem der gesamte Brocken nach Auszug der britischen Streitkräfte zufallen würde, seinen Teil so schnell wie möglich loswerden möchte. Der Umzug an die Spree verschlingt ohnehin genug Geld, da muß Bares in die Kasse. Bisher sollen erst 100 Millionen Mark für den Hauptstadttransfer zur Verfügung stehen. Handeln tut not – also: weg mit dem olympischen Restposten aus grauer Vorzeit. Eingebracht hat er dem Bonner Kassenwart ehedem nur Unkosten. Von 1968 bis 1991 investierte die BRD als Nachlaßverwalter des Reichsvermögens rund 41 Millionen Mark allein in die Erhaltung des Olympia-Stadions. Nur 27 Millionen Mark erstattete Berlin, der eigentliche Nutzer des Anwesens, an die Bundeskasse zurück.
„Es gab teilweise vertragslose Zustände, weil wir damals andere Prioritäten setzten. Bis 1989 wollten wir in der Mauerstadt politisch Flagge zeigen. Nirgendwo sonst besitzt der Bund Sportstätten. Sport ist an sich Sache der Länder und Kommunen“, bedauert Herbert John, Pressesprecher der Bundesfinanzdirektion, die Versäumnisse von damals. Der Senat von West-Berlin tat seinerseits ebensowenig, um die Nutzung der riesigen Immobilie halbwegs rentabel zu gestalten. Der Bund berappte sein „Notopfer“ – und der Finanzsenator ging mehr als großzügig mit der Bonner Morgengabe um: Erst wenn mehr als 25.000 Menschen die Stadionkassen passierten, mußte der jeweilige Veranstalter Miete für das 75.000 Besucher fassende Oval bezahlen. Solange der städtische Fußball noch halbwegs in der Spitzenklasse mitspielte, ging die Rechnung einigermaßen auf. Aber seit mehreren Jahren wollen nur noch wenige Berliner die Heimspiele ihrer zweitklassigen Fußballer sehen. Einnahmen für den Landeskämmerer? Pustekuchen! Eigentlich erfüllt das Olympia-Stadion nur dreimal im Jahr seinen finanzpolitischen Zweck: Beim traditionell ausverkauften DFB-Pokalfinale im Fußball (Frühsommer) sowie beim American Bowl (Football) und dem Leichtathletik-Gipfeltreffen Istaf, die beide im August stattfinden und für volle Ränge sorgen.
Am olympischen Rund hat dieser sportliche Niedergang Berlins deutliche Spuren hinterlassen: Der Beton bröckelt, das Regendach über der Haupttribüne zeigt Risse, die vor wenigen Monaten fast zur Schließung der Anlage geführt hätten. Auf rund 300 Millionen Mark werden die Instandsetzungskosten für das Hauptspielfeld des Olympia-Stadions geschätzt. Eine gigantische Summe, für die verständlicherweise weder Bonn noch Berlin aufkommen möchten.
„Der Bund hat das Stadion nicht verkommen lassen“, schiebt Herbert John von der Bundesfinanzverwaltung den Schwarzen Peter weiter nach Berlin. „Denn der Nutzen lag stets bei der Gemeinde Berlin, der das Gelände unentgeltlich zur Verfügung stand.“ „Berlin kann diese Summe nicht aufbringen, das ist angesichts der schwierigen Haushaltslage unmöglich“, weist Klaus-Hubert Fugger, Pressesprecher des Finanzsenators, derart hohe Erblasten strikt zurück.
Ohnehin wären die Renovierungskosten nur ein Teil der rheinischen Morgengabe, die sich für Berlin rasch als Trojanisches Pferd und Danaergeschenk in einem herausstellen könnte. Hinzu käme die Ablösesumme für den betreffenden Grund und Boden, auf dem die mitunter renovierungsbedürftigen Sporthallen, Schwimmbäder, Stadien, die Waldbühne und Reitschule des früheren Reichssportfelds stehen; hierfür müßte die Landesregierung nochmals tief in das leere Haushaltssäckel greifen. Laut Verkehrswert würde sich die Bundes-Rechnung für das Immobilienpaket auf schätzungsweise 300 Millionen Mark belaufen. Klaus-Hubert Fugger verschlägt es am Telefon hörbar die Sprache: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich nichts dazu sagen“, meint er. „Wer steckt schon soviel Geld in ein Pleiteunternehmen wie das Olympia-Stadion“, wird Fuggers Kollege aus der Senatsverwaltung Umwelt und Stadtentwicklung, Klaus Kundt, wesentlich deutlicher.
Fuggers „Kontrahent“ Herbert John, der die Bonner Interessen vertritt, gibt sich konziliant. „So hoch wird unser Angebot, das wir in den nächsten Tagen dem Senat unterbreiten, gewiß nicht liegen.“ Nähere Einzelheiten will er nicht preisgeben. John ist jedoch sicher, daß es daraufhin zu einer Entscheidung kommen wird: „Unser Angebot ist für Berlin sehr attraktiv!“
Vom Tisch scheint hingegen das Gerücht, Berlin könne für eine symbolische Deutschmark (zuzüglich der Ausbesserungskosten!) Herr der olympischen Hinterlassenschaft werden.
Wie der Poker um die 1,3 Millionen Quadratmeter Westend auch ausgehen mag: Gedanken, wie man die Fläche nutzen könnte, um die fälligen Investitionen rasch zu amortisieren, machen sich diverse Berliner Behörden und Kreise schon jetzt. Charlottenburgs Baustadtrat Klaus Dyckhoff beispielsweise schlägt den Bau eines Naherholungsgebietes auf dem derzeit noch alliierten Grund und Boden vor. Aus der Bundesfinanzverwaltung war zu vernehmen, man soll just diesem (britischen) Teil des Geländes, der noch in der Zwischenkriegszeit die Hochschule für Leibesübungen beherbergte, dem Universitätssport vermachen. Dagegen stemmen sich kurioserweise vor allem die Reps, die allzu gerne den jetzigen Schießplatz der Briten in die Post-Besatzerzeit hinüberretten möchten. Aus der Betonfraktion der CDU stammt die Anregung, der Flecken böte sich an als Standort für den Wohnungsbau.
„Letzteren Vorschlag werden wir vertraglich ausschließen“, beugt Pressesprecher John von der Bundesvermögensverwaltung weiteren „vertragslosen Zuständen“ entschieden vor: „Etwaige Planungsgewinne durch Umwidmung des Anwesens werden wir abschöpfen.“ Jürgen Schulz
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